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3) Jaroslav Hašek: „Der brave Soldat Schwejk“

Schwejk (Foto: Steve Collis, Flickr, CC BY 2.0)

Es ist das meistübersetzte tschechische Buch überhaupt: „Die Abenteuer des guten Soldaten Schwejk“ kann man in sage und schreibe 58 Sprachen lesen. Dabei ist es für die Tschechen viel mehr als nur ein Stück Literatur. Doch wie schaut man beispielsweise in Österreich auf den tragikomischen Prager? Mehr dazu in einer neuen Folge unserer Serie über tschechische Bücher, die Sie lesen müssen.

Schwejk  (Foto: Steve Collis,  Flickr,  CC BY 2.0)

Pavel Janoušek  (Foto: Archiv der tschechischen Akademie der Wissenschaften)
„Also, sie ham uns den Ferdinand erschlagen…“– mit diesem Satz beginnt das Abenteuer des attestiert blöden Pragers Josef Schwejk im Ersten Weltkrieg. Der Schwejk des Anarcho-Schriftstellers Jaroslav Hašek ist Kult in Tschechien. Davon zeugt nicht nur, dass gefühlt jedes zweite Wirtshaus in der Hauptstadt nach dem braven oder guten Soldaten benannt ist. Und seine Aussagen sind seit nunmehr fast 100 Jahren fester Bestandteil des Volksmunds. Dabei gibt es aber ein Problem:

„Vielleicht sollte ich damit anfangen, dass der Schwejk ein Roman ist, den jeder kennt, aber niemand gelesen hat. Das kann ich an meinen eigenen Studenten bestätigen. Der Schwejk hat sein Buch verlassen, nach ihm sind Kneipen benannt, und es ist ein Werk, das jeder im Kopf hat. Jeder weiß, was der Schwejk zumindest im ersten Teil alles gesagt hat und wo die Fliegen hingeschissen haben. Kurz gesagt: Jeder weiß, was der Schwejk ist, ohne ihn gelesen zu haben.“

Das sagt der Literaturhistoriker Pavel Janoušek, einer der größten Kenner des tölpelhaften Soldaten hierzulande. Der Schwejk ist also das bekannteste ungelesene Buch der tschechischen Literatur. Dabei gehört er eigentlich von Anfang an zum Kanon. In der Ersten Tschechoslowakischen Republik wegen seines anti-österreichischen Untertons, später im Kommunismus als Hauptwerk des radikal linken Schriftstellers Jaroslav Hašek, und im kapitalistischen Tschechien dann als Marke, vor allem im Gastgewerbe. Pavel Janoušek erinnert sich aber an Zeiten, da kannte man die Abenteuer des tölpelhaften Soldaten noch aus dem Effeff:

Fritz Muliar als Schwejk  (Foto: Archiv ORF/ORF III)
„Ich selbst habe mir ja untersagt, irgendein Lieblingszitat aus dem Buch zu benennen. Als ich klein war, fanden in Lipnice Schwejk-Zitier-Wettbewerbe statt. In dem Ort hat Jaroslav Hašek sein Lebensende verbracht. Ich selbst mag diese Zitate-Kultur nicht, wobei das heute ja auch nicht mehr so aktuell ist. Nichtsdestotrotz gab es eine Zeit, als das doch recht schön war.“

Wer den Schwejk heute noch sehr gut kennt, das ist der österreichische Schauspieler Wolfram Berger. Er hat den gesamten Roman vor drei Jahren für den MDR eingelesen – entstanden ist ein Mammut-Hörbuch von 563 Minuten Länge. Berger wusste dabei ganz genau, worauf er sich einlässt:

„Den Schwejk kenne ich schon sehr lange, ich hatte ihn bereits vor vielen, vielen Jahren gelesen. Dann gab es noch die Filme, in Österreich mit dem Fritz Muliar und in Deutschland mit Heinz Rühmann. Ich war sehr überrascht und froh, dass ich das lesen durfte. Denn die früheren Interpretationen haben sich sehr an der Komik festgehalten, ich fand den Roman aber noch viel intensiver als nur komisch.“

Mehr als nur eine Witzfigur

Quelle: Verlag Null Papier
Der Schwejk ist mit der Zeit zur Klamauk-Figur geworden. Nicht zuletzt wegen der niedlichen Illustrationen von Josef Lada und den witzigen Filmen später. Dabei ist Hašeks Hauptwerk eigentlich ein knallharter Anti-Kriegsroman, der im Hintergrund ungemein schrecklich ist. Nur zu Erinnerung: Einer der Ersten, die sich an eine Illustration des Buches gewagt haben, war mit einigen Entwürfen der Expressionist George Grozs. Außerdem hält der Schwejk den Tschechen einen Spiegel vor und stellt ihnen schonungslos die Identitätsfrage. Dazu Literaturhistoriker Pavel Janoušek:

„Der Schwejk ist eine Art Ikone, die man auf verschiedene Arten interpretieren kann. So zum Beispiel als radikalen Kriegsgegner oder als Figur, die jede Notlage mit viel Humor irgendwie überlebt. Seit es den Schwejk gibt, zieht sich folgende Diskussion durch die tschechische Gesellschaft: ‚Sind wir ein Volk der Schwejks, und ist das jetzt gut oder schlecht?‘ Es steht die Frage im Raum, in welchem Maß der Schwejk überhaupt eine literarische Figur ist und nicht eher eine narrative Funktion. Und vor allem, wie man damit fertig werden soll. Auf jeden Fall ist er Teil der tschechischen Selbstreflexion. Über den Schwejk definiert man das tschechische Verhalten, den tschechischen Humor und den tschechischen Umgang mit der Geschichte.“

Jaroslav Hašek  (Foto: Wikimedia Commons,  CC0)
Heute gilt der Schwejk tatsächlich als Sinnbild des Tschechen, ob nun im positiven oder negativen Sinne. Nichtsdestotrotz ist er ein Kind Österreich-Ungarns. Erkennt man sich in ihm vielleicht auch als Österreicher irgendwie wieder?

„Ja, sicher. Ich weiß jetzt nicht bei mir persönlich, ob direkt als Österreicher, aber es ist schon irgendwo eine Verwandtschaft da. Allein in Wien gibt es ja sehr viele Tschechen und Böhmen. Mir selbst liegt diese Mentalität. Es ist eine Freude, wenn man mit dem Leben umgehen kann wie der Schwejk.“

Böhmakeln und Schwejks russische Seele

Dass die Österreicher es recht nah zum Schwejk haben, liegt vielleicht auch an der Übersetzungsgeschichte des Werkes. Erstmals machte sich in den 1930er Jahren die Pragerin Grete Reiner daran, dem braven Soldaten eine deutsche Stimme zu geben. Für preußische Ohren blieb das Buch aber trotzdem ein böhmisches Dorf, denn Reiner kompensierte die rüde Umgangssprache des Josef Schwejk durch exzessives Böhmakeln – also dem Sprach-Mix der Wiener Tschechen. Erst Antonín Brousek neutralisierte das vor wenigen Jahren in einer Neuauflage durch glattes Bundesdeutsch. Der MDR orientierte sich beim Hörbuch mit Wolfram Berger aber trotzdem an der Erstübersetzung:

Wolfram Berger  (Foto: Manfred Werner,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Ich habe die ursprüngliche Version verwendet, zumindest hat sie der MDR mir angeboten. Ich weiß nicht, ob das jetzt aus Rechtsgründen war. Die ist schon irgendwie saftiger. Zwar finde ich die neue Übersetzung interessant, bei der alten spüre ich aber noch so ein bisschen die Monarchie durch.“

Wolfram Berger hat sich letztlich darum bemüht, das Buch auch für „Piefkes“ und andere Nicht-Wiener verständlich zu machen:

„Ja ich habe das nicht so übertrieben und nicht so stark geböhmakelt. Zumindest nicht so schlimm wie seinerzeit der Fritz Muliar. Aber doch so, dass man eine Ahnung bekommt von der anderen Welt damals. Man versteht das, denke ich, dennoch.“

Esperantische Übersetzung des Romans  (Foto: Tereza Brázdová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Doch der Schwejk hat es auch anderswo in der Welt nicht leicht, wenn es um Übersetzungen geht. Das ist auf den ersten Blick kaum zu glauben, denn immerhin gibt es ihn in 58 Sprachen. Laut Janoušek hat er vor allem im Englischen sehr viel Pech mit seiner Übertragung gehabt. Die Engländer täten sich schwer mit seiner Vulgarität, schätzt der Literaturhistoriker. Deshalb sind die „Abenteuer des guten Soldaten Schwejk“ in Großbritannien oder den USA eher etwas für Feinschmecker. Dafür ist er woanders genauso Kult wie in Tschechien:

„Aus dem russischen oder allgemein östlichen Blickwinkel sieht der Schwejk etwas anders aus, wobei er zu der Mentalität dort passt. Übrigens wird ein großer Teil der Sprachen, in die der Schwejk übersetzt worden ist, auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gesprochen. Die Beliebtheit des Buches wurde zudem durch das Leben von Jaroslav Hašek verstärkt. Er hat sich ja auf die Seite der Revolution geschlagen, wobei er aber auch über sie gelacht hat. Und wir wissen nicht, wo der Schwejk gelandet wäre, wenn Hašek ihn fertiggeschrieben hätte. Auf jeden Fall wird der Krieg an sich in Russland oft als sehr absurd wahrgenommen, wobei es da eine klare Überschneidung mit dem Schwejk gibt. Woher aber wirklich die unglaubliche Beliebtheit des Buches dort kommt, das ist schwer zu erklären.“

Heute wichtiger denn je

Quelle: Archiv MDR
Wie gesagt, kaum einer hat den Schwejk wirklich gelesen. Warum es sich aber dennoch lohnt, den Roman von Jaroslav Hašek in die Hand zu nehmen, das erklärt Wolfram Berger:

„Es ist eines der gescheitesten Bücher, die ich kenne, was diese Thematik anbelangt. Es strotz nur so vor Humor, Witz und einfach Gescheitheit. Und es stellt all die Dummheit, die uns regiert rund um die Welt, dermaßen bloß. Deshalb ist es ein ganz wichtiges Buch für die Menschheit.“

Ihn selbst hat der Schwejk nie wirklich losgelassen, auch wenn er so viel Zeit mit ihm in den Studios des MDR verbracht hat:

„Ich habe mit meinem Sohn zusammen eine weitere Fassung erstellt, und er hat die Musik dazu gemacht. In der Weise bin ich ja schon lange befasst mit Dichtern, die mir Freude machen – das reicht von Ringelnatz über Kästner bis hin zu Hrabal und eben Hašek. Mit den jeweiligen Fassungen reisen wir durch die Welt, derzeit von Dresden bis in die Schweiz. Das bietet eine große Vielfalt an Figuren, die so zu spielen sind. Ein Lieblingscharakter von mir ist der Feldkurat aus dem Schwejk. Da tut es richtig weh, wenn man einige Passagen wegstreichen muss. Dennoch ist es eine unglaubliche Freude, das zu spielen.“

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