Weihnacht anno dazumal: Üppiges Festmahl, Heiratswunsch und Hackebeil

Foto: Anton Kajmakow

Das Weihnachtsfest hat auch hierzulande eine lange Tradition. Aber nicht alle Bräuche haben sich über die Jahrhunderte erhalten. Daher wollen wir Sie in den kommenden Minuten auf eine kleine Zeitreise mitnehmen – mitten hinein in das weihnachtliche Böhmen des 18. und 19. Jahrhunderts.

Dlask-Gut  (Foto: Anton Kajmakow)

Foto: Anton Kajmakow
Wenn man sich die Weihnachtsbräuche der Böhmen aus vergangenen Jahrhunderten in Erinnerung rufen will, muss man hinaus aufs Land fahren. Doch das Dorf von heute bringt einen auch nicht weiter. Es muss schon ein wirklich alter Bauernhof sein, um den sich noch so manche Geschichte rankt. Wie beispielsweise das sogenannte Dlask-Gut in der Gemeinde Dolánky bei Turnov / Turnau in Nordböhmen.

Der Gutshof wurde hier 1716 erbaut. Er gehörte über mehrere Generationen der Bauernfamilie Dlask und gilt heute als ein sehr gut erhaltenes Beispiel der sogenannten Volksarchitektur. Das bekannteste Familienmitglied war Josef Dlask, ein damals sehr gebildeter Chronist. Das Museum des Böhmischen Paradieses in Turnov, das den Bauernhof verwaltet, besitzt Mitschriften des Geschichtsschreibers. Sind dort etwa auch Notizen über damalige Weihnachtsbräuche verewigt? Michaela Havelková ist Ethnographin des Museums und Kuratorin für Ausstellungen im Dlask-Gut.

Michaela Havelková  (Foto: Anton Kajmakow)
„Ich halte gerade eine Ausgabe in den Händen, die von meiner Kollegin Alžběta Kulišková bearbeitet wurde. Das Buch enthält die Aufzeichnungen von Josef Dlask, diese beginnen mit dem Jahr 1500. Er versuchte damals, längst vergangene Ereignisse auf dem Gut zu rekonstruieren, Dlask selbst wurde 1782 geboren. In seinen Notizen vermerkte er alles, was sich in welchem Jahr ereignet hat. Zu alten Sitten und Bräuchen hat er jedoch nichts aufgeschrieben.“

So bleibt keine andere Möglichkeit, als sich auf die jahrhundertealten Erzählungen und Überlieferungen über das Dlask-Gut zu stützen.

Den Bauernhof betritt man durch ein großes Tor. Das Museum hat auf dem Anwesen im Dezember eine Ausstellung eingerichtet, die zeigt, wie Weihnachten seinerzeit auf dem Gut gefeiert wurde. Michaela Havelková führt zuerst in die Bauernstube, deren Tisch zum Fest stets reichlich gedeckt war:

Getrocknete Äpfel  (Foto: Anton Kajmakow)
„Die Mägde tischten kräftig auf. Sie brachten Brot und weitere Speisen wie Brei, Pflaumenmus, getrocknete Äpfel, Nüsse und einen Pilzauflauf. In dem Raum hier steht auch ein klassischer Brot-Ofen. Er wurde vom Flur aus beheizt, und zwar alle 14 Tage. Das geschah für einen halben bis ganzen Tag, bis der Ofen fast glühte. Dann wurde er ausgekehrt und der Brotlaib hineingelegt. Heute machen wir dies aus Sicherheitsgründen nicht mehr. Doch es wäre schön, wenn im Ofen eines Tages wieder gebacken würde.“

Beim Essen zu Heiligabend wurde Gemeinschaft gepflegt, erläutert Havelková:

Foto: Anton Kajmakow
„Zum Abendessen bediente man sich in einigen Gegenden Böhmens noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus denselben Schüsseln. Vor allem wurde Brei gegessen, er galt damals als heiliges Festmahl. Und diesen Brei füllte man eben in gemeinschaftliche Schüsseln.“

Doch nicht nur die Bauernfamilie und ihr Gesinde, sondern auch die Tiere des Hofes sollten merken, dass Weihnachten ist:

„Zu Heiligabend bekamen alle männlichen Tiere wie der Hahn, der Ochse oder der Rüde Knoblauch zu essen. Beim Hund sollte dies zum Beispiel bewirken, dass er den Hof gut schützt und mutig ist. Zumeist erhielten sie den Knoblauch auf nüchternen Magen, noch vor der ersten Morgenfütterung. Damit die Hühner gesund blieben und viele Eier legten, gab man ihnen Hülsenfrüchte. Diese wurden in einem Kreis ausgestreut, damit das Federvieh nicht davonlief und seine Eier woanders legte. Nach dem Abendessen schenkte der Gutsherr dem Vieh die übriggebliebenen Speisen. Das geschah allerdings vor Mitternacht. Denn um diese Zeit ging man gewöhnlich zur heiligen Messe in die Kirche. Wäre der Bauer aber zufälligerweise um diese Zeit bei den Tieren gewesen, dann hätte er sie dem Glauben nach wohl sprechen gehört. So hieß es, dass die Tiere an Heiligabend zu Mitternacht mit menschlicher Zunge redeten, und wer ihnen dabei zuhörte, würde binnen eines Jahres sterben.“

Foto: Anton Kajmakow
Solche Sorgen waren bei den Pflanzen des Hofes jedoch nicht nötig. Sie wurden aber zu Heiligabend ebenfalls nicht vergessen:

„Auch die Obstbäume im Garten gehörten praktisch zur Familie. Sie bekamen ebenfalls einen Teil des Abendessens. Dieses kam entweder an die Wurzeln der Pflanzen oder wurde einfach im Boden vergraben. Noch vor Weihnachten, wenn die Bäuerin den Weihnachtskuchen buk, wischte sie ihre teigverschmierten Hände an einem Baum ab. Das sollte der Familie eine reiche Ernte mit guten Früchten bescheren.“

Der Glaube beziehungsweise Aberglaube spielte zu Weihnachten überhaupt eine wesentliche Rolle. Michaela Havelková:

Foto: Anton Kajmakow
„Ich denke, und das behaupte ich nicht allein, dass unsere Vorfahren zu Weihnachten tief in sich gekehrt waren und über vieles nachgedacht haben. Die Wahrnehmung von Zeit und Raum hatte dabei eine besondere Symbolkraft. Es gab daher eine gewisse Zeit, in der die Welt der Lebenden ein wenig von der Welt der Toten durchdrungen wurde. Das Gleiche galt für die Welt der Menschen und der Tiere. Man glaubte daran, dass die Behausungen der Lebenden zu Weihnachten von ihren verstorbenen Familienangehörigen besucht würden. Und ebenso glaubte man daran, dass in der Heiligen Nacht die Tiere sprechen könnten.“

Sehr wichtig für ein gelungenes Weihnachtsfest war das gegenseitige Geben und Nehmen, also das Schenken und Erhalten von Gaben.

Foto: Anton Kajmakow
„Bis heute hat sich erhalten, dass man seinen Liebsten etwas schenkt. Früher geschah die Bescherung jedoch auf andere Weise als heute. Sie war an das Singen von Weihnachtsliedern geknüpft. Die Lieder wurden vor allem von bestimmten Vertretern eines Dorfes gesungen oder intoniert. Zum Beispiel von den Gemeindehirten, Lehrern, Geistlichen oder Kirchendienern. Die Hirten spielten dabei nicht selten Horn, die Geistlichen gingen wiederum mit Weihrauch durch die Gebäude und Ställe. Als Belohnung wurden ihnen Naturalien geschenkt. Früher glaubte man fest daran, dass etwas gut beginnen musste, damit es auch ein erfolgreiches Ende nahm. Und so schenkten die Menschen zu Weihnachten, damit sie in Zukunft selbst beschenkt würden. Dies ist auch einer der Gründe dafür, dass das Festessen zu Heiligabend besonders üppig sein sollte. Es wurden so viele Speisen wie möglich aufgetischt, um sich eine Zukunft mit ausreichend Essen und reichlich Speisen zu sichern.“

Foto: Anton Kajmakow
Zum Weihnachtsfest wurde schließlich auch die Familienplanung ein wenig vorangetrieben. Vor allem die jungen Mädchen mussten dabei gleich mehrere Bräuche über sich ergehen lassen. Michaela Havelková:

„Die Mädchen sind beispielsweise zu Heiligabend hinausgelaufen, um einen Holunderbusch zu schütteln. Sie fragten ihn, wo denn ihr Liebster sei. Wenn die Mädchen um Mitternacht in einen gefrorenen Tümpel schauten, konnten sie in die Zukunft sehen und ihren Liebsten erblicken. Um festzustellen, ob sie bald heirateten, warfen sie einen Pantoffel hinter ihren Rücken. Wenn er in Richtung Tür fiel, dann heirateten sie. Landete er aber im Zimmer, dann blieben sie noch Zuhause. Hier am Hof verschafften sich die Mädchen auf eine andere Weise Gewissheit. Sie legten ein Stück Brot auf eine Schaufel und hielten es dem Hund hin. Wenn der Hund das Brot von der Schaufel fraß, dann stand die Heirat ins Haus. Wenn er es verschmähte, wurde nicht geheiratet. Wenn zwei Brotstücke auf der Schaufel waren, dann heiratete das Mädchen als Erstes, dessen Krumen der Hund zuerst verspeiste.“

Foto: Anton Kajmakow
Ein weiterer Brauch hing einmal mehr mit dem Festessen zusammen:

„Für Heiligabend war Geselligkeit sehr wichtig. Alle speisten gemeinsam, doch es gab eine Ausnahme. Wenn ein Mädchen herausfinden wollte, ob es sich bald vermählen werde, ging es in den Flur, um alleine vor dem Kamin zu essen. Wenn das Mädchen mit dem Essen früher fertig war als der Rest der Familie, wurde nicht geheiratet. War es umgekehrt, dann sollte der Hochzeit nichts mehr im Wege stehen.“

Von dieser Art von Bräuchen habe es wirklich unzählige gegeben, sagt die Ethnographin. Und sie ergänzt, dass ein Mädchen, das nicht heiratete oder mit der Hochzeit zögerte, sehr schnell zum Gespött der Leute im Dorf werden konnte. Schließlich schildert Havelková noch einen etwas seltsamen Brauch, der auf die Armut der Menschen damals in Böhmen zurückzuführen ist:

Foto: Anton Kajmakow
„Am absonderlichsten war meiner Meinung nach, dass ein Beil unter den Tisch gestellt wurde. Während des Abendschmauses hat dann jeder versucht, das Beil mit seinen Füßen zu berühren, um es am weitesten von sich zu stoßen. Davon versprach man sich, dass die Füße in der nächsten Zeit heil blieben und die Zehen nicht gequetscht wurden. Dazu muss man wissen, dass unsere Vorfahren damals meist barfuß gingen, und das selbst bei starkem Frost. Verletzungen an den Füßen gab es daher zuhauf, und sehr oft konnte das auch fatale Folgen haben.“

Diese Erinnerung ist fürwahr nicht die Schönste. Sie dürfte aber auch jedem, der heute das Weihnachtsfest in einer beheizten Wohnung mit seiner Familie feiern kann, vor Augen halten, in welch Wohlstand wir mittlerweile leben. Vielleicht könnte das ein Anlass sein, dass wir uns etwas besinnen und die Feiertage ebenso gesellig im Kreise unserer Nächsten verbringen.