Besuch einer bedeutenden Baustelle in Prag

Verehrte Hörerinnen und Hörer im heutigen Schauplatz besuchen wir eine Baustelle, selbstverständlich nicht irgendeine. Am Mikrophon begrüsst Sie Marcela Pozarek.

Es handelt sich um eine Baustelle, die in Tschechien in den vergangenen Monaten wohl am meisten Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie befindet sich mitten im Zentrum Prags, in der Nähe der bekannten Narodni Trida. Hinter einer Schranke sieht man in eine tiefe riesige Baugrube und genau dort hat man im Jahre 1998 einen ehemaligen jüdischen Friedhof entdeckt, der noch älter ist als der bekannte " Alte jüdische Friedhof" im Stadtteil Josefov. Man wusste aus Archivmaterial, dass es da einen Judengarten gab, der aber im Jahre 1478 aufgelassen worden war.

Mit diesem einmaligen Fund begann ein langwieriges Tauziehen zwischen dem Eigentümer des Grundstücks, der Versicherungsanstalt Ceska Pojistovna, dem Staat und der Jüdischen Gemeinde. Die Causa hatte interessante Peripetien, über die wir mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Prager Jüdischen Gemeinde Tomas Jelinek sprachen. Zu Beginn erzählt er, was man bei den Bauarbeiten schrittweise gefunden hat.

"Zuerst waren da nur einzelne Knochen, die man nach der Ausgrabung auf dem neuen jüdischen Friedhof beerdigt hat. Im Jahre 1998 hat man aber eine Fläche völlig intakter Gräber gefunden. Damit änderte sich die Position der Prager Jüdischen Gemeinde, die sich für die Erhaltung dieser Gräber zu interessieren begann. Die Verhandlungen dauerten mehr als ein Jahr, bis sie in den Regierungsbeschluss im März 2000 mündeten. Formal begann es damit, dass im Januar 1999 die Akademie der Wissenschaften dem Kulturministerium einen Entwurf unterbreitet, den ehemaligen Friedhof als Kulturdenkmal zu deklarieren."

Eine grosse Parzelle in der Prager Innenstadt wurde daraufhin offiziell zum Kulturdenkmal erklärt, das Grundstück, auf dem weiterhin gebaut wurde, zu einem bedeutenden archäologischen Fund deklariert. Es war aber lange unklar, wie mit dem Gräberkomplex zu verfahren sei, so schlug die Versicherungsanstalt vor, dass man den ehemaligen Friedhof unter die entstehenden Tiefgaragen in der Vladislavova Strasse verlegen sollte. Mit dieser Lösung war die Jüdische Gemeinde einverstanden, es kam aber zu Protesten von internationalen jüdischen Organisationen, die eine Entweihung des Ortes befürchteten, die Sache wurde komplizierter...

"Es kann da viele Interpretationen geben, da ist meine eigene. Das Prager Rabbinat wandte sich im vergangen Jahr in der Frage des Friedhofs an englische und amerikanische jüdische Partnerorganisationen, als nämlich drohte, dass man mit den Grabungen fortfahren würde, so dass die Gräber auseinandergenommen würden und hinterher nichts mehr zu schützen wäre. Oberrabbiner Sidon wandte sich an seine Kollegen und so entstand eine Reihe von Protesten, es kam zu einer Demonstration vor dem Gelände der Bauarbeiten. Das war in einer Phase, als Oberrabiner Sidon zusammen mit der Versicherungsanstalt und den Archäologen nach einer Lösung suchte. Diese Gespräche scheiterten und so wandte sich Rabbiner Sidon an den aschkenasischen Oberrabbiner Israels Meir Lau. Dieser fällte folgendes Urteil: Der Friedhof müsse erhalten bleiben so, wie er ist, die Gebeine dürften nicht umgelagert werden."

Mittlerweile waren die Querelen um den Friedhof zu einem attraktiven Fall für die in - und ausländischen Medien avanciert. In tschechischen Tageszeitungen machten Bilder die Runde, welche orthodoxe Rabbiner mit Wünschelruten auf der Baustelle zeigten. In der ausländischen Presse wurde das Gelände irrtümlich mit dem "Alten jüdischen Friedhof", wo Rabbi Löw begraben liegt, verwechselt, es hagelte Proteste. Orthodoxe Rabbiner drangen auf das Gelände ein und wollten die archäologischen Funde wieder begraben. Als ihnen dies nicht ermöglicht wurde, hat man die Gebeine in Kisten auf den neuen jüdischen Friedhof in Olsany überführt. Im März diesen Jahres kam es aber dann doch zu einer für alle Seiten befriedigenden Einigung. Tomas Jelinek dazu.

"Dieser ganze Fall hat Winkel, die ein bisschen ausschauen als würde man in den Gängen von Kafkas Schloss wandeln. Die Regierung fasste im März einen Beschluss, in dem folgendes entschieden wurde. Man müsste das Projekt so ändern, dass ein Betonsarkophag gebaut werden kann, in dem die Gebeine zu liegen kämen, der Staat käme für Mehrkosten auf. Das war eine Lösung, die die Prager Jüdische Gemeinde akzeptierte, da sie gar nicht anders konnte, weil sie nicht an den Verhandlungen teilnahm."

Obwohl im vergangenen Juli das Londoner Komitee für die Bewahrung jüdischer Friedhöfe in Europa an einer Pressekonferenz in Prag bekannt gab, dass man strikt gegen jegliche Bauarbeiten auf dem Gelände des Friedhof sei, sieht es so aus, als könnten im September die Gebeine auf der Baustelle wiederbestattet werden und der Betonsarkophag würde den Fall ein- und abschliessen.

Am 14. Juli veröffentlichte aber Kulturminister Dostal einen Artikel, der sowohl die israelische Botschafterin, als auch den amerikanischen Botschafter in Prag entrüstete. Wir zitieren im folgenden den Beginn dieses Artikels, der in der linksliberalen Zeitung Pravo publiziert wurde.

Autor: Marcela Pozarek
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