Brünner Revue für Politik und Kultur "Proglas"

In unserer heutigen Sendung kommen wir nach längerer Zeit wieder einmal dem Versprechen nach, das wir Ihnen in einer unserer ersten Sendungen vor fast einem Dreiviertel Jahr gegeben hatten. Damals nahmen wir uns vor, uns im Medienspiegel auch mit jenen tschechischen Medien zu beschäftigen, die nicht primär auf eine größtmögliche Breitenwirkung ausgerichtet sind und auch abseits der Tagesaktualität ganz einfach mehr Zeit haben, den Dingen und Sachverhalten gründlicher nachzugehen. Die meisten davon sind Monats- oder Zweimonatsschriften und einige haben wir Ihnen bereits vorgestellt, wie z.B. "Listy", "Nova Pritomnost" oder "Stredni Evropa". Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in Prag, also dem politischen und gesellschaftlichen Zentrum Tschechiens erscheinen. Auch deshalb möchten wir Ihnen, verehrte Hörerinnen und Hörer, heute mit der Revue "Proglas" eine Zeitschrift vorstellen, die in Brünn, also der zweitgrößten tschechischen Stadt und gleichzeitig Metropole Mährens erscheint.

Begonnen hatte alles Mitte der 80er Jahre, als sich in Brünn regimekritische Intellektuelle in verschiedenen Wohnungen zu den berühmten Hausseminaren trafen. Ähnlich wie in Prag, bildeten auch dort diese informellen Zirkel die Grundsteine für die Herausgabe von Samizdat-Schriften. Eine Gruppe von katholisch ausgerichteten Brünner Dichtern und Philosophen, die zudem stark an dem Gedanken der kulturellen Wiederherstellung Mitteleuropas hingen, schlossen sich der bereits damals in Prag erscheinenden Revue "Stredni Evropa" (auf Deutsch Mitteleuropa) an und gaben eine eigene Brünner Ausgabe dieser Zeitschrift heraus. Zu einer Verselbständigung kam es dann unmittelbar nach der Wende, wobei die Zeitschrift die Bezeichnung "Proglas" annahm, in Anlehnung an die erste auf altslawisch verfasste Schrift, die von den christlichen Missionaren Kyrill und Method im 9. Jhr nach Christi verfasst wurde.

Die Namensfindung für die neue Zeitschrift war jedoch kein leichtes Unterfangen, spiegelte doch die lange Suche einen Konflikt wieder, der von Beginn an innerhalb der Redaktion schwelte, wie sich Pavel Pšeja im Gespräch mit Radio Prag zurückerinnert:

"Zu Beginn der 90er Jahre war eine der beiden Hauptrichtungen innerhalb der Redaktion stark katholisch ausgeprägt und wollte sich für die Wiederherstellung des untergegangenen mitteleuropäischen Kulturgedankens einsetzen, die andere Richtung, wollte eine Anlehnung an den angelsächsischen Konservatismus. Die letztgenannte Strömung konnte sich dann schließlich durchsetzen."

Die Revue "Proglas" versteht sich nicht ausschließlich als politische Zeitschrift, sondern bringt auch regelmäßig Buchbesprechungen, Essays von bekannten tschechischen Schriftstellern, bzw. Auszüge aus deren Prosa- oder poetischem Werk. Dennoch bilden Kommentare zum Geschehen in Politik und Gesellschaft den Großteil der in "Proglas" veröffentlichten Texte. Empfinden also gerade in diesem Zusammenhang die Autoren es nicht als Nachteil, dass die Zeitschrift im mährischen Brünn und nicht in Prag erscheint, also dem politischen Zentrum Tschechiens? Pavel Pšeja meint dazu im folgenden:

"Damit haben wir kein Problem, vielleicht vor allem deswegen nicht, weil sich "Proglas" keinesfalls als eine ausschließlich mährische Zeitschrift versteht. Wir haben eine Reihe von Autorem, die in Prag leben. Zudem ist der Umstand, dass alle wichtigen Entscheidungen in Prag gefällt werden deshalb nicht so wichtig, weil wir uns nicht ausschließlich auf Politik konzentrieren und ebenso wenig keinerlei Ambitionen haben, in die Politik aktiv einzugreifen. Im Gegenteil - es ist vielleicht sogar ein Vorteil."

Stärker trat die Zeitschrift "Proglas" erstmals vor zwei Jahren hervor, als zwei Stammredakteure, unter ihnen der Chefredakteur František Mikš, für viele ganz überraschend von der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) in den Aufsichtsrat des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nominiert wurden. Dieses Gremium wählte später gegen den massiven Widerstand der Fernsehjournalisten Jiri Hodac zum neuen Generaldirektor der Anstalt. Die Folge davon war der bekannte "Fernsehkrieg", der zur Jahreswende 2000/2001 auch im Ausland für starke Aufmerksamkeit sorgte. Auch auf den Seiten von "Proglas" wurde den damaligen Ereignissen breiter Raum gewährt. Im Vergleich zur Mehrheit der anderen tschechischen Medien, die die Revolte unterstützten, geschah dies aber unter völlig entgegengesetzten Vorzeichen. Die Autoren der Brünner Zeitschrift verteidigten nämlich von Beginn an die Rechtmäßigkeit von Hodacs Wahl und sahen im Vorgehen der streikenden Journalisten einen gefährlichen Präzedenzfall.

Gegen den Strom schwammen die Redakteure von "Proglas" aber z.B. auch bei der Bewertung des s.g. Oppositionsvertrags, den die beiden stärksten Parteien des Landes, die Bürgerdemokraten und die Sozialdemokraten nach den vorletzten Wahlen schlossen und sich somit faktisch die Macht im Staat aufteilten. Die Autoren von "Proglas" vertreten heute wie damals die Ansicht, dass die von den beiden Großparteien ursprünglich vorgesehene Verfassungsreform dem politischen System des Landes hätte helfen können.

Wurde über diese Positionen, die dann in die offiziellen Redaktionskommentare eingeflossen sind, innerhalb der Redaktion leidenschaftlich diskutiert, oder waren alle Mitglieder von vornherein einer Meinung? Diese Frage stellten wir auch Pavel Pšeja:

"Natürlich wurde darüber sehr ausgiebig und energisch diskutiert, aber alle díese Debatten betrafen nur einige Details am Rande, in den Grundfragen war die Redaktion irgendwie intuitiv einer Meinung - sowohl während des s.g. Fernsehstreiks als auch in ihrem Standpunkt gegenüber dem s.g. Oppositionsvertrag. Bei der CT-Krise spielte natürlich auch eine gewisse Solidarität mit unseren beiden unter Beschuss geratenen Kollegen eine Rolle. Bei der Bewertung des Oppositionsvertrags haben wir immer darauf hingewiesen, dass man diesen Pakt und seine möglichen Auswirkungen sorgfältig prüfen muss und zwar völlig frei von jeglicher Emotion. Also das war eine Sache, über die wir in der Redaktion besonders stark diskutierten."

Wenn ein Thema, wie z.B. die Krise beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen so eine Polarisierung in der Gesellschaft hervorruft, wie dies seinerzeit der Fall war, stellt sich logischerweise die Frage, wie die Leser von "Proglas" damals auf die profilierte Haltung der Revue reagierten? Kam es damals z.B. vermehrt zu größeren Abbestellungen der Abonnements, die ja bei solchen Zeitschriften immer die wichtigste Einnahmequelle darstellen? Diese Frage stellte Radio Prag auch Pavel Pšeja:

"'Proglas' vertrat eigentlich stets, und damit meine ich die letzten sieben bis acht Jahre, die gleichen Positionen, zeichnete sich also durch eine relativ große Konsistenz aus. Aber es stimmt, dass uns der Fernsehkrieg vor völlig neue und bis dahin unbekannte Tatsachen stellten, denn wir haben damals unmittelbar während dieser Ereignisse tatsächlich viele Kündigungen hinnehmen müssen, aber seit dieser Zeit sind wieder neue Abonnenten hinzugekommen, so dass heute die Lesergemeinde wahrscheinlich breiter gestreut ist."