Das Jahr 1926

Im heutigen, österlichen Kapitel aus der tschechischen Geschichte laden wir Sie in das Jahr 1926 ein - ein bewegtes und ereignisreiches Jahr für die tschechoslowakische Republik. Gute Unterhaltung und einen ungestörten Empfang wünscht Ihnen dabei Katrin Bock.

1926 - das ist das Jahr in dem die Oper "Vec Makropolus - Der Fall Makropolus" von Leos Janacek ihre Premiere im Brünner Stadttheater feierte, aus der Sie soeben einen Teil der Overtüre hörten. Janacek hatte sie nach dem gleichnamigen Theaterstück von Karel Capek verfasst. 1926 war jedoch nicht nur ein an kulturellen Ereignissen reich bestücktes Jahr, wie Sie im Verlauf der Sendung noch hören werden. Auch auf dem politischen Parkett tat sich so einiges - manches zum Guten, manches nicht.

Im Frühjahr 1926 begannen sich in den böhmischen Ländern faschistische Organisationen zu einer Zentralvereinigung, der "Nationalfaschistischen Gemeinde", zusammenzuschliessen. Erste tschechische, faschistische Organisationen waren bereits 1923 unter Einfluss von Mussolinis Machtergreifung in Italien gegründet worden. Vor 75 Jahren, am 24. März 1926, kamen Delegationen aus Böhmen und Mähren zusammen, um die Faschistische Gemeinde zu gründen. Diese wurde bereits im Frühjahr `26 aktiv, vor allem mit Aktionen und Demonstrationen gegen die Kommunisten. Als Führer der tschechischen Faschisten wurde der Armeegeneral Rudolf Gajda angesehen, der während des Ersten Weltkriegs mit den tschechoslowakischen Legionen im fernen Sibirien gegen die Kommunisten gekämpft hatte.

Das Programm der tschechischen Faschisten war nationalistisch, antikommunistisch, antisemitisch und antideutsch. Bereits im Frühling 1926 wurde von einem möglichen Putschversuch gemunkelt, der am tschechoslowakischen Staatsgründungstag, dem 28. Oktober, stattfinden sollte. Der Putschversuch blieb aus, doch wurde General Gajda wegen seiner Verbindung zu den Faschisten aus der Armee ausgeschlossen - ein Skandal für die junge Republik. Das Aufkommen des Faschismus in der Tschechoslowakei spaltete die dortige politische Szene. Während sich Präsident Masaryk und seine Anhänger sowie Sozialdemokraten und Kommunisten scharf gegen den Faschismus äusserten, bekundeten konservative Parteien ihre Sympatien mit diesem und schlossen eine Zusammenarbeit mit seinen Vertretern nicht aus.

Nach dem Statsstreich von Jozef Pilsudsky im Mai 1926 in Polen riefen auch in der Tschechoslowakei viele Stimmen nach der Errichtung einer sog. demokratischen Diktatur, da sie darin die Lösung der ständigen Regierungskrisen erblickten. Im März 1926 war die 7. Regierung in ebenso vielen Jahren zurückgetreten und von Präsident Masaryk eine Beamtenregierung mit den Staatsgeschäften beauftragt worden. Zur Errichtung einer Diktatur kam es in der Tschechoslowakei 1926 nicht, wohl aber zu einer politischen Sensation:

Nach langen Verhandlungen, in die auch Präsident Masaryk eingegriffen hatte, war das Wunder im Herbst perfekt: in der am 12. Oktober 1926 neuvereidigten Regierung sass erstmals seit der Entstehung der Tschechoslowakei 1918 ein deutscher Minister. Bisher hatten stets allnationale Regierungen der Tschechen und Slowaken regiert. Nun aber war der Gegensatz zwischen konservativen Parteien und Sozialdemokraten so gross geworden, dass die tschechische Agrarpartei es vorgezogen hatte, einen deutschen Koalitionspartner in die Regierung zu nehmen. Die bereits 9. tschechoslowakische Regierung konnte auf eine der längsten Amtszeiten stolz sein: 16 Monate regierte sie. Bis 1937 waren von nun an in jeder Regierung deutsche Minister vertreten - ein Zeichen der sich normalisierenden tschechisch-deutschen Beziehungen in der Tschechoslowakischen Republik.

Der tschechische Rundfunk, der im Mai des Jahres seinen dritten Geburtstag feierte, begann das Jahr 1926 mit einer europäischen Neuheit: einer regelmässigen landwirtschaftlichen Sendung. Überhaupt brachte das Jahr 1926 viele Premieren für das sog. Radiojournal. Am 3. April erfolgte die erste Übertragung aus dem tschechoslowakischen Parlament, am 8. Juli die erste Live-Übertragung eines Theaterstückes und am 5. September die erste Fernübertragung - aus Genf wurde die Rede des tschechoslowakischen Aussenministers Edvard Benes vor dem Völkerbund übertragen. Am 1. Oktober 1926 wurde dann das Radio Symphonie-Orchester gegründet. Am 3. Oktober erfolgte eine erneute Europa-Premiere: die erste Fussball live Reortage.

Josef Laufer komentierte das Fussballspiel Slavia Prag gegen den ungarischen Meister Hungaria. So ganz ohne Probleme war diese erste Live-Sportreportage allerdings nicht vonstatten gegangen. Alle technischen Apparate standen im Stadion der Prager Slavia-Mannschaft bereit, nur der bestellte Komentator erschien nicht. In seiner Verzweiflung überredete der Radiojournalschef den anwesenden Journalisten Josef Laufer das Mirkophon zu übernehmen. Mit den Worten: "Wenn es rot aufleuchtet, reden und nur keine Angst", begann die erste Sportreportage und die Karriere des wohl bekanntesten tschechischen Sportkomentators, die erst 1966 mit seinem Tode im Alter von 75 Jahren endete.

Es bleibt anzumerken, dass die Hörer des Radiojournals damals nicht erfuhren, wie das Spiel endete, da nur die erste Halbzeit übertragen wurde, anstelle der 2. wurde Musik übertragen - was für welche ist nicht überliefert, aber vielleich war es ein Hit der damals populären "Melody Makers" von R.A.Dvorsky.

Der tschechoslowakische Fussball erlebte in jener Zeit einen Aufschwung. Im Herbst 1926, nach einem Länderspiel der Tschechoslowakei gegen Italien, trafen sich in Prag Vertreter des tschechoslowakischen, österreichischen und ungarischen Fussballbundes und beschlossen die Gründung eines mitteleuropäischen Fussballpokals - der erste Vorläufer des heutigen UEFA-Cups.

Sportlich ging es auch im Sommer 1926 her - die Sportvereinigung Sokol lud zum 8. grossen Sokoltreffen ein. Wie immer folgten Tausende dem Ruf in die tschechoslowakische Hauptstadt und ein paar Tage lang stand diese im Zeichen des Massenturnens. Das Plakat für das grosse Turnertreffen entwarf übrigens kein geringerer als Alfons Mucha, der grosse tschechische Jugendstilkünstler. Eröffnet wurde das Sokoltreffen mit den Fanfaren der von Leos Janacek in diesem Jahr komponierten Symfonietta:

Auch in der tschechoslowakischen Hauptstadt waren 1926 die "goldenen 20er Jahre" in vollem Gange. Man vergnügte sich, ging ins Kino, Theater oder Kabarett. Es war das Jahr, in dem eines der bekanntesten tschechischen Kabarettheater der Zwischenkriegszeit gegründet wurde: das "Befreite Theater". In den 30er Jahren feierte es mit dem Duo Jan Voskovec und Jan Werich seine grössten Erfolge.

In Prag luden über 100 Kinos zu einem Besuch ein. 1926 entstand in der Tschechoslowakei die erste Verfilmung des wohl bekanntesten tschechischen Romans: der Abenteuer des Soldaten Svejks. Im Sommer beehrte ein grosses Holywood-Filmpaar die Böhmischen Länder mit seinem Besuch: Douglas Fairbanks und Mary Pickfort besuchten Prag und Karlsbad. Die Szenen erinnern an den derzeitgen Besuch von Hollywood-Grössen: Douglas Fairbanks und Mary Pickfort wurden auf ihren Promenaden fast erdrückt von den begeisterten Fans.

Am 5. Dezember 1926 verstarb in Prag der Gründungsvater der tschechischen Kinos, Viktor Ponrepo. Er hatte 1907 in der Karlsgasse das erste Kino in Prag eröffnet. Zuvor war er jahrelang mit einem Vorführapparat und Filmen durch die Böhmischen Länder gezogen und hatte die Kunst der laufenden Bilder hier bekannt gemacht.