Der Fall Babice
In unserem Programm geht es nun weiter mit einem neuen Geschichtskapitel. Katrin Bock versucht diesmal etwas Licht in eine bis heute nicht ganz geklärte Begebenheit zu werfen, die sich vor genau 50 Jahren in dem kleinen südwestmährischen Ort Babice ereignete und schreckliche Folgen für viele Bewohner der dortigen Gegend hatte.
Am Abend des 2. Juli 1951 wurden in der Dorfschule von Babice drei der anwesenden vier Mitglieder des örtlichen Nationalausschusses, Kommunisten also, erschossen, der vierte wurde schwer verletzt. Die vier Täter flohen und wurden am folgenden Tag in einem nahen Kornfeld gestellt. Zwei der Täter wurden dabei erschossen, zwei verhaftet. Zwei Wochen später begann in Jihlava ein Prozess gegen 13 angebliche Helfer der vier Täter. Weitere zwei Wochen später wurden sieben Todesurteile gefällt, die am 2. August, also nur einen Monat nach dem Überfall in Babice, vollstreckt wurden, unter den Hingerichteten waren auch zwei Priester. Dem ersten Prozess folgten weitere, insgesamt 111 Personen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, weitere vier zur Todesstrafe. Dutzende von Familien waren betroffen, Kinder durften nicht mehr studieren bzw. höhere Schulen besuchen, ganze Familien wurden ins Grenzgebiet umgesiedelt.
Soweit also die reinen Tatsachen. Um den Fall und dessen Verwicklungen besser zu verstehen, benötigt man einiges Wissen mehr, zum Beispiel über die Situation in Südmähren zu jener Zeit und vor allem aber über den Haupttäter, Ladislav Maly.Die Situation in Südmähren beschreibt Josef Slanina, der sich jahrelang mit dem Fall Babice beschäftigt hat, wie folgt:
"In dem mährischbudweiser Kreis, in dem Babice liegt, war eine antikommunistische Einstellung weit verbreitet, zugleich war man hier sehr religiös. Das kommunistische Programm, die Gründung von landwirtschaftlichen Genossenschaften, erlitt hier Schiffbruch. In den 53 kleinen Gemeinden gab es 16 Pfarreien. Die Kirchen waren stets voll, die Sitzungen der Kommunisten dagegen leer. Drei tote Kommunisten - das bot sich geradezu zu einem Feldzug gegen die Bevölkerung und die grössten Antikommunisten an."
Der Kreis von Mährisch Budweis, zu dem Babice gehörte, war drei Jahre nach der Machtergreifung der Kommunisten bekannt für seine antikommunistische Einstellung, der Kommunistischen Partei war die Gegend längst ein Dorn im Auge. Polizisten waren oft in den Dörfern zu sehen, die Staatssicherheit bemühte sich, möglichst viele Mitarbeiter zu gewinnen - diejenigen, die vor 50 Jahren im Zusammenhang mit dem Fall Babice verurteilt wurden, sind sich sicher, dass die Kommunisten längst etwas gegen den rebellischen Kreis planten.
Was die Sache verzwickt macht, ist die Person des Anführers der Babicer Aktion - Ladislav Maly. Die einen sehen in ihm einen echten Antikommunisten, der nach Vorbild des Widerstandes gegen die deutschen Okkupanten nun gegen die Kommunisten kämpfen wollte, andere sehen in ihm einen von der Staatssicherheit eingesetzten Provokateur und andere schliesslich einen recht unzuverlässigen Alkoholiker, der mit seinen angeblichen Kontakten zum Westen prahlte und breite Aufmerksamkeit und Bewunderung anstrebte. Bis vor kurzen glaubte man vor allem der Theorie, dass der gesamte Vorfall in Babice von der Staatssicherheit inszeniert worden war, um einen Vorwand zum harten Vorgehen gegen die Gegner der Kollektivierung zu bekommen. Ladislav Maly soll dabei die Rolle des Provokateurs übernommen haben, der nach Erfüllung seines Auftrags als unliebsame Person sogleich erschossen wurde - er war eines der beiden Todesopfer im Kornfeld.
Gegen diese bisher am weitesten verbreitete Theorie der gezielten kommunistischen Provokation trat aber nun Josef Slanina auf. Er hatte die Möglichkeit, Dokumente der Staatssicherheit zu studieren, die bisher unter Verschluss waren. Die Dokumente umfassen insgesamt 16 Bände von je ca. 20 cm Breite - viel Lektüre, die vielleicht etwas Licht in die Sache bringt:
"Es gibt in den Materialien der Staatssicherheit keinen einzigen Beweis dafür, dass Maly ein Agent der Staatssicherheit war - dies erforderte nämlich ein Ritual, zunächst musste eine geeignete Person gefunden werden, dann überprüft, dann geworben, dann ein entsprechendes Papier unterzeichnet werden - aber nichts fand sich in all den Dokumenten der Staatssicherheit. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Maly im Dienst der Staatssicherheit den Vorfall in Babice durchführte."
Als Josef Slanina, der nun im Dokumentationszentrum der Konföderation politischer Gefangener arbeitet, diese These im Mai im Rahmen einer Konferenz über den Fall Babice vorstellte, löste er eine Welle des Erstaunens und Überraschens aus. Zu vieles sprach bisher dafür, dass die Staatssicherheit alles gut vorbereitet hatte, wie der Historiker Jan Stribrny von der Christlichen Akademie anführt:
"Was ich bisher darüber weiss, habe ich nicht direkt aus dem Studium der Dokumente, sondern von Leuten, die diese gesehen haben. Aber der gesamte Verlauf der Aktion nach der Babicer Tragödie scheint mir eindeutig: Die Täter werden gleich einen Tag später gefasst, viele der in dem Prozess Verurteilten waren schon Tage, ja Wochen vorher verhaftet worden. Der Prozess beginnt schon zwei Wochen später, weitere zwei Wochen später werden sieben Todesurteile vollstreckt - dass heisst, die ganze Sache wurde so gut zur Abschreckung und Abrechnung ausgenutzt, dass ich nicht an die neue Theorie glaube."
Die Ansicht von Jan Stribrny, dass alles zu vollkommen von der Staatssicherheit ausgenutzt wurde, vertraten weitere Teilnehmer der Babice-Konferenz im Mai dieses Jahres - jedoch mit kleinen Nuancen. Ihrer Meinung nach hatte die Staatssicherheit schon längst eine Aktion gegen den rebellischen Kreis geplant. Die Aktion von vier jungen Antikommunisten in Babice kam ihnen dann gerade recht. Dieser Meinung ist z.B. Jan Pospisil von der Konföderation politischer Gefangener:
"Maly, das war ein Abenteurer, der gegen Ende seines Lebens dem Alkohol verfiel. In dem Augenblick war er sozusagen eine nicht steuerbare Rakete. Ich bezweifle deswegen, dass es gerade Babice sein sollte, das die Welle der Repressionen ausgelöst hat - das war Zufall."
In einem sind sich alle einig: im mährischbudweiser Kreis existierten wirklich antikommunistische Gruppen, deren Vorbild der Widerstand gegen die deutschen Okkupanten sechs Jahre zuvor war. Ob nun Maly für die Staatssicherheit gearbeitet hat oder nicht, ist noch immer nicht sicher, seine drei Mittäter in Babice aber waren junge, überzeugte Antikommunisten.
Egal welcher Theorie man glaubt, ob nun der von der Inszenierung des Falls Babice durch die Staatssicherheit oder der, dass die Kommunisten eine wirkliche, antikommunistische Aktion nur auszunutzen wussten, eines fällt auf: die Schnelligkeit, mit der der Prozess gegen die ersten 13 Angeklagten durchgeführt wurde. Genau einen Monat nach dem Babicer Vorfall wurden sieben der Angeklagten bereits gehängt - normalerweise verlaufen Untersuchung, Anklage und Prozessverlauf um einiges langsamer. Heute steht fest, dass die sieben Todesurteile bereits vor Prozessbeginn feststanden. Entschieden hatten darüber keine Richter, sondern die Parteiführung, die ein hartes Exempel setzen wollte. Den damaligen Prozess verfolgte Regierungschef Klement Gottwald persönlich. Denn es war ungeschriebenes Gesetz der Parteiführung, dass dort, wo die Kollektivierung auf Widerstand stiess, Kleinbauern und Priester streng bestraft werden sollten. Von einer objektiven Verhandlung kann also keine Rede sein. Deswegen soll nun der letzte noch lebende Richter des Prozesses, Pavel Vitek, vor Gericht gestellt werden. Vorgeworfen wird ihm Beihilfe zum Mord. Denn heute steht fest, dass die im Zusammenhang mit dem Fall Babice hingerichteten 11 Männer Justizopfer sind - sie, sowie alle anderen über 100 Verurteilten wurden bereits rehabilitiert. Sollte es zu Verurteilung von Richter Vitek kommen, erfahren Sie dies in unseren Sendungen. Für heute aber genug zu diesem Thema.