Der Fall Tutter

Die kommunistische Tschechoslowakei hat in den 60er und 70er Jahren einen nazistischen Kriegsverbrecher gedeckt, weil sie ihn als Geheimagenten im Ausland im Einsatz hatte. Wurde dies schon seit einiger Zeit vermutet, so hat die Tageszeitung Mlada Fronta dnes jetzt darauf hingewiesen, dass es inzwischen dafür Beweise gibt. Mehr dazu im nachfolgenden Beitrag von Rudi Hermann.

Erstmals in der tschechischen Geschichte ist es der Polizei gelungen, den Fall eines nazistischen Kriegsverbrechers zu dokumentieren, der von der sozialistischen Tschechoslowakei zu eigenen Zwecken eingesetzt worden war und dessen Materialien deshalb trotz eines entsprechenden Gesuchs nicht an Deutschland zur Strafverfolgung ausgehändigt wurden. Der Fall betrifft den einstigen stellvertretenden Kommandanten eines SS-Kommandos, das in der früheren Tschechoslowakei in den Jahren 1944 und 45 für mindestens 92 Morde verantwortlich ist. Die brutalste Aktion spielte sich dabei in der südostmährischen Gemeinde Plostina ab, in der die Häuser niedergebrannt wurden und ein Teil der Bevölkerung in die Flammen gejagt wurde. Dafür trug der Böhmendeutsche Werner Tutter die Mitverantwortung.

Obwohl der Sozialismus den Kamf gegen den Faschismus zuoberst auf seine Fahnen geschrieben hatte, gelang es Tutter allerdings, diesen Teil seiner Geschichte zunächst unter dem Deckel zu halten. Tutter war nach dem Krieg wegen Kollaboration mit den Deutschen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und während seiner Haft vom Geheimdienst angeworben worden. Nach seiner Entlassung reiste er nach Deutschland aus, wo er für den tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst als Agent wirkte. 1962 wurde seine düstere Vergangenheit in der Tschechoslowakei bekannt, und vier Jahre später erfolgte auch eine Anklage, doch das Verfahren wurde umgehend wieder eingestellt. Aus Deutschland traf ein Gesuch um Aushändigung der belastenden Materialien ein, doch inzwischen war Tutter für den Geheimdienst zu einer wertvollen Quelle geworden. Er war umso wertvoller, als ihm bewusst war, dass, würde er enttarnt oder vom Geheimdienst fallen gelassen, ihm ein Kriegsverbrecherprozess drohen würde. Aus diesem Grund war er praktisch beliebig erpressbar. 1969 wurde er zwar vom Geheimdienst aufgegeben, weil ein Geheimdienstler, mit dem er Kontakt gehabt hatte, damals in den Westen floh und die Zusammenarbeit mit Tutter deshalb zum Sicherheitsrisiko wurde. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten die tschechoslowakischen Organe Tutter schon seit mehreren Jahren gedeckt und hatten deshalb kein Interesse daran, seine Vergangenheit offenzulegen und damit sich selbst zu belasten.

Auf der Grundlage dieser Ereignisse haben die tschechischen Behörden jetzt gegen zwei damalige hohe Staatsfunktionäre Anklage erhoben. Es handelt sich um zwei Mitglieder der Regierungskommission zur Verfolgung von Kriegsverbrechern, denen vorgeworfen wird, dass die wesentlichen Dokumente über die Verbrechen Tutters nicht den deutschen Justizorganen zugestellt wurden.

Autor: Rudi Hermann
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