Die letzte Königskrönung in Prag
Bevor Sie Marketa Maurova in der Touristensprechstunde in die Sommerfrische von Antonin Dvorak bei Pribram einläd, erfahren Sie in einem neuen Kapitel aus der tschechischen Geschichte von Katrin Bock und Lothar Martin mehr über die letzte Königskrönung in Prag vor 165 Jahren.
So eine Königskrönung in der böhmischen Hauptstadt war naturgemäss mit viel Aufwand verbunden. Unzählige Händler, Gaukler, Künstler und Neugierige reisten bereits Tage vor dem Ereignis in die Hauptstadt. Der Wiener Hof selbst bereitete die Krönung fast ein ganzes Jahr vor. An vieles musste gedacht werden: an die Unterbringung der Gäste, die Ausschmückung der Prager Burg, den Blumenschmuck in den Prager Gassen, Geschenke, an Speis und Trank, daran, ob die böhmischen Würdenträger neue Uniformen erhalten sollten und natürlich an die Unterhaltung der Gäste.
Die Krönungsvorbereitungen begannen mit dem Entwurf neuer Uniformen für die Garden, die den Kaiser auf seinem Krönungsweg durch die Prager Gassen begleiten sollten. Zur gleichen Zeit wurden die Hofjuweliere in Wien beauftragt, Geschenke für Prager Würdenträger anzufertigen. So erhielt der Prager Erzbischof, der die Krönungmesse im St. Veits Dom hielt, ein mit Brillianten besetztes Kreuz, der oberste Burginspektor einen goldenen Siegelring, andere böhmische Würdenträger dagegen Dosen mit einem Porträt Ferdinands. Ursprünglich sollten sich die Kosten für diese Geschenke auf 72.000 Gulden belaufen, doch wie sooft der Fall, auch diesmal wurde das Limit überschritten und knapp 85.000 Gulden ausgegeben. Doch dies war sicher nur ein kleiner Teil der gesamten Summe, die die Königskrönung kostete.
Da die Prager Burg einige Jahrzehnte lang kaum genutzt worden war, musste sie wieder auf Vordermann gebracht werden. Der Wiener Baron Löhr, Verwalter des kaiserlichen Möbellagers von Amte, wurde mit der neuen Einrichtung der Prager Burg beauftragt. Dieser liess aus feinem Kirschenholz eine gesamte neue Ausstattung anfertigen. Zugleich wurde in Slavkov neues Porzellan für die Burg in Auftrag gegeben. Auch die Räumlichkeiten wurden für die Feier herausgeputzt. Einige Säle erhielten neue Deckengemälde, Gänge neues Pflaster. Mit Sicherheit begrüssten die böhmischen Handwerker die Krönung, stellte sie doch eine willkommene Einkommensquelle dar.
Fünf Monate vor der Krönung war eine Kommission ins Leben gerufen worden, die freie Wohnungen evidieren und, falls nötig, weitere in Burgnähe requieren sollte. Zugleich legte die Kommission die Miethöhe fest. Laut einem Hofverzeichnis reisten allein aus Wien 725 Besucher an. Hinzu kamen der sächsische König Friedrich August, Prinz Leopold von Savojen und der Herzog von Lucca mit ihrem jeweiligen Gefolge. All diese hochgestellten Gäste wurden auf der Kleinseite und in der Burgstadt einquartiert. Die Gesandten der verschiendensten Staaten bezogen in der Altstadt ihr Quartier.
Kaiser Ferdinand I. traf am 1. September in der böhmischen Landeshauptstadt ein. 15 Tage hatte seine Reise von Wien nach Prag gedauert. Drei Tage hatte Ferdinand in Brünn verbracht, weitere fünf in Königgrätz, bevor er sich schliesslich von Brandys an der Elbe kommend auf den Weg nach Prag machte. Hier wurde er feierlich begrüsst. Die Strassen waren mit Fahnen geschmückt, überall am Strassenrand erwarteten ihn seine Untertanen. Am Poricer Tor, das im heutigen Stadtteil Karlin stand, begann der eigentliche Krönungszug. Auf diesem traditionellen Krönungsweg waren alle böhmischen Könige seit 1562 zum St. Veitsdom gezogen. Eine Einheit Kürasiere bildete den Beginn des Krönungszuges, ihnen folgten Postillione und Würdenträger. Die böhmischen Ritter und Herren auf ihren Pferden bildeten den Schluss. Hunderte von Pferden und Tausende von Untertanen bildeten den Zug, den auch Trommler und Trompeter begleiteten.Das Spalier in den Strassen wurde von Zechen, Schülern, Studenten, Soldaten und Geistlichen gebildet. Auf der Karlsbrücke begrüssten Fischer und Schiffer den neuen König. Hinter diesen Ehrenspalieren drängte sich das Volk. Nach rund zwei Stunden erreichte der Krönungszug die Burg. Im St. Veitsdom fand die erste feierliche Messe statt. Ferdinand und seine Gattin Maria Anna von Sardinien erwartete nun eine Woche vollen Programms bis zur offiziellen Krönung Ferdinands am 7. September. Maria Anna wurde am 10. September zur böhmischen Königin gekrönt.
Am 2. September musste der bereits etwas ermüdete Ferdinand Hofdamen empfangen und im Ständetheater eine Vorstellung besuchen. Am 3. September begrüssten die böhmischen Stände Ferdinand. An den folgenden Tagen musste der zukünftige böhmische König Ehrenparaden abnehmen, Gäste begrüssen, Konzerten lauschen und weitere Theatervorstellungen besuchen. Schliesslich war es am 7. September endlich soweit.
Im St. Veitsdom waren extra fünf Tribünen für geladene Gäste aufgebaut worden. Die Herren mussten in Uniform oder Frack erscheinen, die Damen durften keine Hüte tragen. Nach der feierlichen Krönung durch den Prager Erzbischof wurden alle geladenen Gäste in den Vladislavsaal der Prager Burg gebeten, wo das Festmahl stattfand. Die Weine und der Champagner waren bereits Monate zuvor aus den Wiener Hofbeständen nach Prag gebracht worden. Die Tische waren mit Nachbildungen der bedeutensten Prager Gebäude geschmückt. Auf dem Tisch des frisch gekrönten Königs sollen der Pulverturm und das Altstädter Rathaus gestanden haben.Am folgenden Tag gingen die Feierlichkeiten weiter - diesmal vor allem für das Volk. Im Vorort Karlin fand ein grosses Volksfest statt. Dessen Höhepunkt war die Massenhochzeit von 24 Paaren aus allen böhmischen Kreisen. Sie alle waren in ihrer jeweiligen Tracht gekommen. Die Frischvermählten erhielten ein grosszügiges Hochzeitsgeschenk: 200 Gulden sowie einen extra angefertigen Becher mit dem böhmischen Wappen. Für alle Gäste des grossen Volksfestes gab es Freibier.
Nach der Krönung von Maria Anna zur böhmischen Königin am 10. September gingen die Feierlichkeiten langsam ihrem Ende zu. Das Königspaar verliess Prag am 19. September 1836.
Ferdinand regierte 12 Jahre lang, wenn man in seinem Fall überhaupt von regieren sprechen kann. Der erstgeborene Sohn von Franz I. litt seit seiner Geburt an Epilepsie. Auch war er geistig und körperlich zurückgeblieben. In Wien nannte man ihn deshalb "den armen Trottel Nanderl". An seiner Stelle regierte eine Staatskonferenz bestehend aus seinem Onkel Ludwig, seinem Bruder Franz Karl sowie Fürst Clemens von Metternich und Graf Franz-Anton Kolowrat. Ferdinand war zwar bereits 42 Jahre alt gewesen, als sein Vater Franz I. 1835 verstarb, doch war er bis dahin offiziell kaum in Erscheinung getreten. Auch jetzt hielt er sich eher zurück. Wichtige Entscheidungen traf die Staatskonferenz. Ferdinand war auf Spaziergängen und - fahrten zu sehen, während denen er gerne Geld und Süssigkeiten an seine Untertanen verteilt haben soll. Sein Volk verehrte ihn wohl und bedachte ihn mit dem Beinamen der Gütige.
Während der Revolution von 1848 versprach Ferdinand die Abschaffung der Zensur. Auch wenn die Demonstrationen in Wien nicht persönlich gegen Ferdinand gerichtet waren, floh dieser mit seinem Hof im Herbst 1848 ins mährische Olomouc. Hier unterzeichnete Ferdinand am 2. Dezember 1848 seinen Rücktritt zugunsten seines 18jährigen Neffens Franz Josef. Dieser regierte dann 68 Jahre lang - bis zu seinem Tode 1916. Ferdinand dagegen zog sich mit seiner Gattin Maria Anna auf die Prager Burg zurück. Hier scheint er ein recht glückliches Leben geführt zu haben. Er widmete sich der Musik und Botanik, kümmerte sich um vernachlässigte Güter seiner Familie. In der Prager Altstadt konnte man ihn auf Spaziergängen antreffen. Ferdinand beherrschte fünf Sprachen. Mit seiner Gattin unterhielt er sich italienisch, auch tschechisch soll er fliessend gesprochen haben. Am 29. Juni 1875 verstarb der noch immer im Volk beliebte Ferdinand der Gütige in Prag im Alter von 82 Jahren. Seine ebenfalls beliebte Frau Maria Anna überlebte ihn um 8 Jahre.
Denkt man an den Aufwand und die Kosten, die mit der Königskrönung vor 165 Jahren verbunden waren, so ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass kein weiterer Habsburger sich in Prag krönen liess. Die Tschechen jedoch warfen dies Franz Josef während seiner Regierungszeit wiederholt vor. Immer wieder forderten sie den Habsburger Kaiser auf, sich in Prag krönen zu lassen, immer wieder wurden sie vertröstet und enttäuscht, was nicht gerade zu einer Verbesserung des Verhältnisses der Tschechen zu Wien beigetragen hat. Die Krönung Ferdinands im September 1836 hatte in der Zeit des erwachenden tschechischen Nationalbewusstseins stattgefunden und diesem einen Aufschub verliehen. Die böhmischen Stände waren sich bei den Feierlichkeiten erneut ihrer Stellung und Rechte bewusst geworden. Von Franz Josef I. forderten sie deshalb die Anerkennung der Gleichberechtigung des böhmischen Königreiches in der Habsburger Monarchie.
Insbesondere nach 1867, als sich Franz Josef in Budapest zum ungarischen König krönen liess und das Habsburgerreich nun zur österreichisch-ungarischen Monarchie wurde, hatte man in Prag gehofft, es werde eine k.u.k.u.k. Monarchie entstehen, eine österreichisch-böhmisch-ungarische. Doch die böhmischen Kronjuwelen warteten vergebens auf einen weiteren offiziellen Einsatz.