Europas Mitte um das Jahr 1000

Mehr als 11 Jahrhunderte ist es her, dass die Glaubensapostel Kyril und Method aus dem weit entfernten griechischen Thessaloniki nach Mähren, genauer gesagt Großmähren kamen. Der byzantinische Kaiser Michael der Dritte mit Sitz in Konstantinopel erhörte damals die Bitte des großmährischen Fürsten Rostislav und sandte die beiden Missionäre zu ihm, die dann nicht nur in die tschechische, sondern auch in die Geschichte anderer slawischer Völker eingegangen sind. Ihre Ankunft im Jahre 863, jüngeren Erkenntnissen zufolge soll dies ein Jahr später gewesen sein, wird traditionsgemäß am 5.Juli gefeiert. Wo das Zentrum des Mährischen Reiches lag, ob es sich tatsächlich auch auf dem Gebiet Mährens oder aber in der heutigen Slowakei befand, wohin die Grenzen Großmährens reichten und wann es zu seinem Niedergang kam, darüber wie auch über viele andere Fragen in diesem Zusammenhang scheiden sich die Geister. Fest steht, dass das Mährische Reich, das schon im frühen 10.Jahrhundert zerfiel, nachweislich das erste Staatsgebilde auf dem von westslawischen Stämmen seit dem 6.Jahrhundert besiedelten Gebiet war. Seine Traditionen setzten sich im 10.Jahrhundert in Böhmen mit seinem Zentrum Prag fort, als die Premysliden-Dynastie an die Macht kam. In diesem Zeitraum entstanden in der Mitte Europas mehrere Herrschaftsgebilde, aus denen die Völker und Länder der Böhmen, Polen und Ungarn hervorgingen. Mit der Annahme des christlichen Glaubens durch die Herrschenden begann ihre Integration in das christlich-lateinische Abendland. Wie Europas Mitte um das Jahr 1000 aussah, als Polen, Tschechen und Ungarn Teil eines sich zur geistig-kulturellen Einheit formierenden Europas wurden, das setzte sich eine Ausstellung mit dem gleichnamigen Titel zum Ziel. Eröffnet wurde sie am 13.Mai dieses Jahres im Martin-Gropius-Bau Berlin unter der Schirmherrschaft der Präsidenten der teilnehmenden Länder. Mehr darüber, wie diese Ausstellung zustande kam und was in ihr zu sehen ist, können Sie jetzt bei uns erfahren!

Vier Jahre lang haben rund 240 Historiker, Kunsthistoriker, Archäologen und andere Fachexperten aus Deutschland, Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn an dem Gemeinschaftsprojekt zusammengearbeitet, um Europas Mitte um das Jahr 1000 und die Anfänge der gegenseitigen Annäherung vorzustellen. Auf einer Fläche von ca. 3 000 m/2 und anhand von mehreren Hundert Exponaten aus Kirchenschätzen und Museen, darunter sind auch wahre Nationalheiligtümer, vermittelt diese Ausstellung ein mannigfaltiges Bild des frühmittelalterlichen Lebens in Burgen und Palästen, aber auch in Städten und Dörfern bzw. geistlichen Zentren. Bei ihrer Vorbereitung wurde großer Wert auf eine - vereinfacht gesagt - gemeinsame Sicht der Dinge gelegt. Doch zu dieser zu gelangen war nicht leicht, wie auch der Generalsekretär der Ausstellung, Prof. Alfried Wieczorek, in seiner Eröffnungsrede gestand:

"Es ist kein leichtes Unterfangen, denn man muss sich abstimmen und auf die Sichtweise der anderen einlassen. Und wir haben lange Abstimmungsprozesse deswegen durchgeführt."

Ja, die Ereignisse um die Jahrtausendwende bildeten doch seit jeher den Stoff für Vergangenheitsbilder, die Jahrhunderte lang bis in die heutige Zeit unterschiedliche Sichtweisen und das Bewusstsein der Nationen von ihren Anfängen prägten. Hierzu noch einmal Prof. Wieczorek in seiner Ansprache:

"Eine gemeinsame Ausstellung also, ein gemeinsames Ringen um geschichtliche und kulturgeschichtliche Vorgänge der Zeit um 1000. Dieses gab uns die Möglichkeit, diese Vorgänge eben nicht nur aus dem eigenen Filter zu lesen."

Und das Resultat? Wissenschaftler aus den fünf beteiligten Ländern haben sich erstmals innerhalb einer Ausstellung auf eine gemeinsame Sichtweise der geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Vorgänge der Entstehungszeit ihrer Nationen geeinigt. Dass dies tatsächlich nicht reibungslos verlief, deutete Prof. Wieczorek auch in einem Interview mit Radio Prag an:

Das Resultat der wissenschaftlichen Teamarbeit ist also eine Darstellung des Weges der westslawischen Völker und der Ungarn hinein in den lateinisch - christlich - abendländisch geprägten Kulturkreis. Den an der feierlichen Eröffnung der Ausstellung teilnehmenden Gästen legte Professor Alfried Wieczorek diesen Prozess mit folgenden Worten nahe:

"In der Zeit um 1000 beginnen sich also jene Länder und Völker in der Mitte Europas zu formieren, die sich zu diesem Ausstellungsprojekt zusammengefunden haben. Und ihre Integration in das auf antikem Erbe ruhende lateinisch-christliche Abendland, das begründete eine geistlich kulturelle Gemeinsamkeit mit den anderen Völkern des Abendlandes. Wir alle sind damit seitdem Teilhaber an diesem kulturellen Erbe, und nicht nur diejenigen Völker, die westlich der Mitte lebten und leben. Die Zugehörigkeit Polens, Tschechiens, Ungarns und der Slowakei zu dieser gemeinsamen Kulturtradition, zu diesem gemeinsamen Erbe aufzuzeigen, das ist eine der Intentionen dieser Ausstellung."

Moderne Nationen und ihre Vergangenheitsbilder, antikes Erbe und christliche Tradition, Slawen und Ungarn zwischen Abendland und Byzanz - das sind nur einige Titel der einzelnen Kapitel bzw. Räumlichkeiten, in die die Ausstellung gegliedert ist. Ich glaube es ist an der Zeit, dass wir uns dort auch ein bisschen umsehen - insofern ein Radio dies ermöglicht. Eine kleine Führung gibt uns Frau Dr. Jutta Pauli, die einleitend auf eine Frage eingeht, die sich wohl jeder Besucher der Ausstellung stellen muss:

Neben den liturgischen und anderen derartig prächtigen Geräten bzw. Gegenständen findet man in den jeweiligen nationalen Abteilungen der Ausstellung auch eine ganze Menge bescheidener, doch nicht weniger interessanter Exponate, die sich sowohl durch viele Ähnlichkeiten als auch spezifische Merkmale auszeichnen, wie Sie schließlich weiter hören können:

Was gut und teuer war, fanden die Archäologen oft bei Ausgrabungen in den Grabausstattungen von Fürsten, Adel, Gefolgsleuten und deren Familien. So ist hier z.B. Frauenschmuck aus Silber ausgestellt, der den Grabbeigaben einer Fürstin aus Stara Kourim in Ostböhmen entstammt und einen Beweis auch dafür darstellt, dass sich der Frauengeschmack vor 1000 kaum von dem heutigen unterschied. Mit den ausgestellten Ohrgehängen, Halsketten, Halsringen und Fingerringen, die den Grabbeigaben einer Fürstin entstammen, würde sich manche Frau von heute gerne schmücken. Doch nicht nur einen Einblick in die materielle, sondern auch in die geistige Welt westslawischer Stämme um das Jahr 1000 vermittelt die Ausstellung:

Seit dem 8. Jahrhundert gewannen die Länder östlich von Elbe und Donau Anschluss an den transkontinentalen Handel. Importfunde aus fernen Ländern bezeugen weitreichende Beziehungen. Doch nicht nur die Waren, sondern auch wertvolle Informationen hat man ausgetauscht. Hierzu meine Frage an Frau Dr. Pauli:

Das war ein kurzer historischer Exkurs in die Zeit vor 1000 gemeinsam mit Dr. Haino Neumayer. Er führt uns jetzt weiter in den nächsten Raum, der den Anfängen des von den Premysliden gegründeten Staates gewidmet ist. Da taucht auch schon sein Machtzentrum Prag in ganz konkreten Konturen auf:

Vom Mährischen Reich hatten die böhmischen Stämme Christentum und Herrschaftsstruktur übernommen. Von Prag aus unterwarf Boleslav I. aus dem Haus der Premysliden um die Mitte des 10. Jahrhunderts die anderen böhmischen Stämme und dehnte seine Herrschaft zeitweise bis an die Grenzen des Kiewer Reiches aus. 973 wurde das Prager Bistum gegründet, an dessen Spitze ein paar Jahre später Vojtech - Adalbert stand. Als Missionar wurde er in Polen ermordet und als Heiliger sowohl von den Tschechen als auch von den Polen verehrt wurde:

Das war also Europa um 1000, von dem die meisten, die sich nie mit der Geschichte befasst haben, nur wenig wissen. In der Zeit der Romantik wurde dieses Jahr für eine grauenvolle Periode in der Geschichte Europas gehalten. In Wirklichkeit war es aber eine außerordentliche Zeit, in der ganze Regionen in der europäischen Mitte dank ihrer stürmischen Entwicklung Kurs Richtung mittelalterliches Europa hielten. Damals noch ohne Grenzen im Inneren, die erst später entstanden und wechselnder Interpretationen unterlagen. In der Zeit um 1000 liegen die Anfänge der Tschechen, Slowaken, Polen und Ungarn, die ein Tausend Jahre später an das Tor Europas pochen, in dem sie schon einst integriert waren. Die Ausstellung Europa um 1000, die Sie mit uns besucht haben, spannt den Bogen von den Anfängen der Integration dieser Völker in das lateinische Abendland bis zu ihrer bevorstehenden Aufnahme in die Europäische Union.

Fürs Zuhören bedankt sich, liebe Freunde, Jitka Mladkova. Und noch etwas: Falls Sie es nicht schaffen, die Ausstellung bis zum 19.August im Berliner Martin-Gropius-Bau zu besuchen, dann haben Sie noch die Chance an weiteren Stationen der Ausstellung:

Vom 7.Oktober 2001 - 27. Januar 2002 im Reiss-Museum Mannheim und vom 3.März - 2.Juni 2002 in der Reitschule auf der Prager Burg. Danach noch im selben Jahr in Bratislava und Krakau.

Auf Wiederhören!