Fünf vor zwölf? Oder fünf nach zwölf?

Jetzt, da der Herbst Einzug gehalten hat, erinnern wir uns an einen Sommer der Superlative. Soviel Sonne war nie. Und schön war´s. Auch die Tschechische Republik erlebte ihren Supersommer. Dazu ein paar nachdenkliche Bemerkungen im folgenden Feuilleton von Alexander Schneller.

War das ein Sommer, nicht wahr, liebe Hörerinnen und Hörer! Soviele Tropentage wie noch nie seit Einführung der Temperaturmessungen, Hitzerekorde landauf landab, reines Kalifornien- und Südseefeeling. Auch bei uns in Tschechien und besonders in Prag. Und genossen haben wir es. Und braun sind wir geworden, einfach so, nur beim Spazierengehen in den Gärten, Parks oder am Ufer der Moldau. Natürlich haben wir oft auch gestöhnt, haben vielleicht unter der Hitze sogar gelitten. Das Bier aber floss in noch grösseren Strömen als eh schon, die Speiseeisverkäufer und Badeanstalten verzeichneten Rekordumsätze, kurzum: ein Supersommer war das!

Und was für ein Kontrast zum letzten Jahr. Damals tagelang pausenlos Regen, überall Wasser, wohin das Auge reichte. Prag, die Schöne, drohte in den Fluten zu ertrinken, Weltuntergangsstimmung allenthalben. Aber alles gleicht sich eben aus im Leben. Nach dem miserablen, nassen Sommer 2002 der grossartige Supersommer 2003. Alles paletti. Oder doch nicht? Mich beschleicht trotz allem Sonnenschein ein ungutes Gefühl. Innerhalb eines Jahres erlebten wir Extreme der besonderen Art. Extreme eben, nur nichts Normales. Waren denn die Wassermassen letztes Jahr normal? Natürlich nicht, sind sich alle einig. Sind die Hitzerekorde dieses Jahres normal? Warum nicht, höre ich viele sagen. Ist doch schön, lieber als Regen. Und die Klimaerwärmung? Macht auch nichts, dann müssen wir für sonnige Ferien in Zukunft nicht mehr in den Süden reisen.

Ich aber befürchte, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Extremen. Dass sie sich bedingen. Dass wir doch zu lange gewartet haben mit der Erfüllung von umweltverträglichen Normen, die wir, jedenfalls in Europa, vollmundig einst versprochen, aber, wie sich jetzt zunehmend zeigt, nicht konsequent eingelöst haben.

Noch vor einem Jahr schworen wir uns alle, dass das Jahrhunderthochwasser in dieser Form nie mehr stattfinden darf. Dass man dagegen etwas unternehmen müsse. So schnell wie möglich. Jetzt, ein Jahr später, nach dem Jahrhundertsommer, nach Trockenheit und Dürre redet niemand mehr von Überschwemmungen. Wir Menschen vergessen und verdrängen eben gern. Die meisten sind ja nochmal davongekommen.

Es sei fünf vor zwölf, warnen seit Jahrzehnten Umweltwissenschafter. Andere, ebenfalls Wissenschafter und vor allem die Industrie, halten diese Warnungen eher für Hysterie, für übertriebenes Getue. Vielleicht aber, wir wollen es nicht wahrhaben, ist es schon fünf nach zwölf. Und wir müssen mit den Extremen, mit Hochwasser, Dürre, mit Windhosen und Schneestürmen rechnen, weil sich das Klima halt doch verändert. Weil es in Zukunft nur noch Sommer und Winter und keine Zwischenjahreszeiten mehr geben wird, wie anerkannte Klimatologen prophezeien. Ich aber hoffe trotz allem, ganz egoistisch und doch für uns alle, auf einen schönen, milden Herbst.