Halbzeitbilanz der Regierung Zeman

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, die für Sie Rudi Hermann vorbereitet hat. Die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Tschechien ist in diesem Sommer in der Halbzeit ihrer regulären Legislaturperiode, und dies ist ein Grund dafür, eine erste Bilanz zu ziehen. Was hat sich das Kabinett von Ministerpräsident Zeman vorgenommen, was hat es erreicht? Diese zwei Fragen möchten wir in den folgenden Minuten einander gegenüberstellen.

Nach acht Jahren weitgehend bürgerlich-konservativ bestimmter Transformationspolitik stellte die Machtübernahme der Sozialdemokraten im Sommer vor zwei Jahren einen bedeutenden Einschnitt in der tschechischen Politik dar, wenn auch dieser Einschnitt nicht so tief ging, wie man es bei einer Machtübernahme nach allen Regeln der Kunst hätte erwarten können. Denn die Sozialdemokraten regierten und regieren nicht als Mehrheitskabinett, sondern als Minderheitsregierung, die vom Wohlwollen ihres bürgerlichen Partners im sogenannten Oppositionsvertrag abhängig sind, als Regierung mit gestutzten Flügeln also. Dies hat sich auch in der Wirtschaftspolitik dahingehend ausgewirkt, dass die neue Machtpartei ihre Vorstellungen nicht vollumfänglich in die Praxis umsetzen konnte, sondern einen Kompromisskurs steuern muss.

Zunächst seien die Grundsätze des sozialdemokratischen Wirtschaftsprogramms noch einmal in Erinnerung gerufen. Oberstes Ziel der Regierung Zeman war es, in der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung eine Trendwende von Rezession zu Wachstum herbeizuführen, und zwar auch zum Preis von Defizitfinanzierung über die Staatsfinanzen. Wesentliche Bausteine, für den sogenannten Turnaround waren eine aktive Industrie- und Exportpolitik, eine Erhöhung der Investitionstätigkeit im Inland vor allem auch durch ausländischen Kapitalzufluss, die Privatisierung der noch halbstaatlichen Grossbanken als Fundament für eine Gesundung des Kreditmarkts, die schrittweise Deregulierung von Wohnungsmieten und Energiepreisen sowie, als Seitenlinie, eine verstärkte Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.

Verweisen wir ferner nochmals auf die Situation, in der sich die tschechische Wirtschaft befand, als die sozialdemokratische Regierung das Ruder übernahm. Im Frühling 1997 war die Wirtschaft nach einer Phase schnellen Wachstums in eine Krise gekippt, die ihren Grund in einem wachsenden Defizit des Aussenhandels und Problemen des Staats mit der Ausgabendisziplin hatte. Diese beiden Entwicklungen brachten die tschechische Krone unter Druck, die in der Folge von der Nationalbank freigegeben wurde, damit sie ihren Kurs gegenüber den ausländischen Währungen, namentlich Dmark und US-Dollar, finden könne. Begleitet wurde die Währungsfreigabe von zwei schmerzhaften Paketen mit Austeritätsmassnahmen, die die aus dem Gleichgewicht geworfenen Finanzen wieder ordnen sollte. Dies hatte allerdings seinen Preis in der Form einer drastischen Wachstumsverlangsamung, die bald in eine - wie sich zeigen sollte - mehrjährige Rezession kippte. Die sozialdemokratische Partei übernahm die Regierung damit einerseits in einer kritischen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung, doch andrerseits mit der Gewissheit, dass es früher oder später wohl wieder aufwärts gehen würde.

Nun zu den einzelnen Punkten des sozialdemokratischen Wirtschaftsprogramms. Zunächst das Wichtigste und Positive: Die Trendwende scheint im Frühling 2000 tatsächlich geschafft worden zu sein. Die Statistiker vermeldeten im 1. Quartal dieses Jahres gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode ein Wachstum von fast 4.5 %, die höchste diesbezügliche Ziffer seit Jahren. Damit scheinen die mageren Jahre wieder vorbei, wenn auch das Jahreswachstum erst auf 1.5 bis 2 % veranschlagt wird. Die Regierung nimmt verständlicherweise für sich in Anspruch, ihr Wahlversprechen eingelöst zu haben, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die Analytiker sind allerdings nicht einhellig der Meinung, dies sei notwendigerweise das Verdienst der Regierung Zeman. Einige verweisen darauf, dass die Rückkehr zu Wachstum auch dem zyklischen Verhalten der Wirtschaft zuzuschreiben sei und sich der Einfluss der Regierung darauf nicht so eindeutig und positiv feststellen lasse. So sei der Grund für die Wachstumsbeschleunigung im Binnenkonsum und in der Konjunktur der Eurozone als wichtigstem Exportgebiet der tschechischen Ausfuhrwirtschaft zu suchen und weit weniger in von der Regierung gestarteten Strukturreformen.

Indes kann die Regierungen einige Pluspunkte doch verbuchen. Einmal ist hier das leidige Kapitel der Bankenprivatisierung. Für diese hätten die konservativen Regierungen unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Vaclav Klaus gewiss genug Zeit gehabt, doch aus politischen und taktischen Überlegungen, auf die hier aus Zeitgründen nicht näher eingegangen werden soll, wollten die machtausübenden Parteien auf den Einfluss auf die halbstaatlichen Grossbanken Komercni banka, Ceska sporitelna, Investicni a postovni banka IPB und Ceskoslovenska obchodni banka CSOB nicht ohne weiteres preisgeben. Die unter Klaus angegangene Privatisierung der IPB erwies sich gerade in den letzten Wochen als verunglückt, und für mehr hatte es zeitlich nicht mehr gereicht. Die Übergangsregierung Tosovsky fädelte immerhin noch die Ausschreibung der CSOB ein, und wenn auch die Sozialdemokraten ursprünglich in ihrem Wahlprogramm eine Verlangsamung der Bankenprivatisierung in Aussicht gestellt hatten, so zwangen sie die Umstände, davon wieder Abstand zu nehmen. Und hatte Ministerpräsident Zeman - vielleicht etwas voreilig - angekündigt, in die Bankensanierung keine einzige Krone mehr zu stecken, so sollte sich auch dies nicht als realistisch erweisen. Immerhin hat sich die Regierung den Sachzwängen gefügt und sich nicht auf dogmatischen Positionen einbetoniert. So wurde der schon vorgespurte Verkauf der CSOB an die belgische KBC-Bankengruppe relativ zügig abgewickelt, und inzwischen ist auch die tschechische Sparkasse Ceska Sporitelna in der Hand der österreichischen Ersten Bank als strategischem Partner.

Zwiespältig ist der Eindruck, den die sozialdemokratische Regierung bisher in der Industriepolitik hinterlassen hat. Eines der Schwerpunktprojekte, das sogenannte Revitalisierungsprogramm für Schlüsselunternehmen der Industrie, hat bisher nicht die gewünschten Resultate erbracht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es der Regierung wegen Konzeptstreitereien zwischen dem liberaler ausgerichteten Vizeministerpräsidenten für Wirtschaftsfragen, Pavel Mertlik, und dem interventionistischer denkenden Industrieminister Miroslav Gregr mehrere Monate dauerte, um sich überhaupt über die Form des Programms einig zu werden. Auf der anderen Seite hat die Regierung mit Investitionsanreizen, die in der Ära Klaus ausgesprochen verpönt waren, unzweifelhafte Erfolge erzielt. So baut der VW-Konzern bei seiner Tochter Skoda Mlada Boleslav ein neues Motorenwerk für den gesamten Konzern, und das Elektronikunternehmen Philips hat der Lokalität der ostmährischen Stadt Hranice na Morave den Zuschlag für die Errichtung einer Grossproduktionsstätte für Farbfernseher gegeben. Insgesamt ist bei den Auslandinvestitionen nach Problemen, die mit dem Misstrauen gegenüber der hiesigen Spielart des Gründerzeitkapitalismus zusammenhingen, in letzter Zeit eine deutliche Zunahme festzustellen.

Soll ein Gesamturteil gefällt werden, so war die sozialdemokratische Regierung im ersten Jahr ihres Wirkens in wesentlichem Masse damit beschäftigt, interne Konzeptstreitigkeiten auszutragen und in den Unternehmen, bei denen der Staat Mit- oder Hauptbesitzer ist, ihre eigenen Leute zu plazieren. Im zweiten Jahr hingegen konnte sie einige wichtige Erfolge verbuchen, so bei der Bankenprivatisierung, bei der Investitionsförderung und natürlich bei der Wiederbelebung der Wirtschaft. Abzuwarten bleibt, ob sie das Interesse und allenfalls auch die Kraft haben wird, weitere nötige Strukturreformen in Bereichen wie Landwirtschaft, Wohnungsbau, Verkehr, Energie und Telekommunikation anzugehen.

Autor: Rudi Hermann
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