Hieronymus von Prag

Den Namen des böhmischen Reformators Jan Hus hat wohl so gut wie jeder von Ihnen schon mal gehört - und Hieronymus von Prag? Hand auf`s Herz, kennen Sie den? Wenn nicht, dann erfahren Sie im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte von Katrin Bock und Olaf Barth vielleicht etwas Neues.

Der Zweite in der Reihe gerät des öfteren in Vergessenheit. Während dem Ersten Ruhm und Bewunderung zuteil wird, wird der zweite vergessen, im Sport ist dieses der Fall und in der Geschichte ebenfalls. Der Namen von Jan Palach, dem Studenten, der sich im Januar 1969 aus Protest gegen die Besatzung der Tschechoslowakei selbst verbrannte, ist allgemein bekannt, sogar Plätze und Strassen sind so benannt. Aber wer kennt noch Jan Zajic, den Oberschüler, der sich - nach Vorbild Palachs - einen Monat später aus dem selben Grund selbst verbrannte? Ein ähnliches Schicksal ist auch das des Hieronymus von Prag. Jan Hus ist in aller Welt bekannt. Ihn hingegen, den zweiten böhmischen Gelehrten, der auf dem Scheiterhaufen in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde, kennt so gut wie niemand. Und dabei ist die Rolle, die Hieronymus von Prag bei der Entstehung des Hussitentums gespielt hat, wohl so wichtig wie die seines Lehrers und Freundes Jan Hus, war es doch wahrscheinlich Hieronymus, der Hus mit den Schriften des englischen Denkers John Wicliff bekannt machte und der zuerst die Idee hatte, auch an die Laien bei der Kommunion den Kelch zu reichen. Hieronymus` Leben endete vor 585 Jahren, am 30. Mai 1416 auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Doch wir wollen nicht vorgreifen und fangen von vorne an - bei der Herkunft des böhmischen Gelehrten.

Hieronymus von Prag gilt im allgemeinen als Schüler von Jan Hus. Der Altersunterschied der beiden betrug jedoch nur ca. 8 bis 10 Jahre. Zur Welt kam Jeromyn Prazsky - so sein tschechischer Name - um das Jahr 1380 in der Prager Neustadt, die drei Jahrzehnte zuvor von Kaiser Karl IV. gegründet worden war. Wahrscheinlich ist Hieronymus Spross einer angesehenen Adelsfamilie, doch sein genauer familiärer Hintergrund ist unklar. Während seiner Studien an der 1348 gegründeten Prager Universität lernte Hieronymus den ein paar Jahre älteren Jan Hus kennen. Die Freundschaft der beiden blieb bis zu ihrem Tode als Ketzer bestehen.

Der tschechische Historiker Frantisek Palacky beschrieb die beiden Gelehrten in seiner Mitte des 19. Jahrhunderts erschienenen umfassenden Böhmischen Geschichte als "klug und redegewandt". Hieronymus von Prag sei aber im Unterschied zu seinem Freund Hus ruhelos und äusserst lebendig gewesen. So hielt es ihn nach der Erlangung der Magisterwürde nicht länger in Prag. 1398 machte sich Hieroymus auf den Weg nach England, wo er sich in Oxford weiteren Studien widmete - eine schicksalhafte Entscheidung für die weitere Entwicklung in den Böhmischen Ländern, wie sich zeigen sollte.

In Oxford begegnete Hieronymus von Prag den Schriften des englischen Reformators John Wiclif. Hieronymus schrieb die Schriften ab und es wird allgemein angenommen, dass es gerade er war, der diese neue Gedanken und Lehren nach Prag brachte, wo sie dann Jan Hus mit Begeisterung studierte. Der 1384 verstorbene Oxforder Gelehrte John Wiclif kritisierte die Kirchenhierarchie, das Zölibat, den Ablass sowie die geltenden Abendsmahlregeln. Die Bibel war für ihn das alleingeltende Gesetz, weswegen er Übersetzungen in die Sprache des Volkes anregte. Zudem predigte Wiclif christliche Armut und verurteilte den Reichtum und die Verweltlichung der Kirche - all diese Gedanken nahm auch Jan Hus auf und verbreitete sie in den Böhmischen Ländern, wo sie - zum Leidwesen der Kirchenherren - viele Anhänger fanden.

Hieronymus von Prag liess seine Ruhelosigkeit und Neugierde nicht lange in England verweilen. Er begann für damalige Zeiten unglaubliche Reisen zu absolvieren. In Paris, Köln, Heidelberg und Wien verteidigte er die Lehren des John Wiclif und seines Freundes Jan Hus. Überall wurde seine Redegewandtheit bewundert. 1403 machte sich der Prager Gelehrte nach Palästina und Jerusalem auf. Während der langen Reise gab er sich mal als Ritter, mal als Höfling, mal als Gelehrter aus. Wo immer er auftauchte, soll Hieronymus von Prag für lebhafte Debatten über die Schriften Wiclifs gesorgt haben. Mehr als einmal wurde er als Ketzer beschuldigt, des öfteren musste er seinen jeweiligen Aufenthaltsort deshalb fluchtartig verlassen. Nach vier abenteuerlichen Jahren kehrte Hieronymus 1407 in seine Heimatstadt zurück und wirkte fortan an der Prager Universität.

Zu jener Zeit wurde an der Prager Universität heftig über die neuen Lehren debatiert. Während die tschechischen Gelehrten sie in ihrer Mehrheit vertraten, verurteilten die meisten deutschen und anderssprachigen Gelehrten diese. Der Streit um Glaubensfragen gipfelte schliesslich 1409, als König Wenzel IV. eingriff. Kurzerhand änderte er im sog. Kuttenberger Dekret das Statut der Universität. Dadurch erhielten die tschechischen Gelehrten mehr Stimmen als die anderssprachigen. So konnten sich die Anhänger des John Wiclif und seiner Lehren an der Universität durchsetzen. Seine Widersacher jedoch verliessen Prag und zogen an die neugegründeten Universitäten in Erfurt, Heidelberg, Leipzig, Wien und Krakau.

In Prag aber wurde Jan Hus neuer Rektor der nun mehr fast völlig tschechischen Universität. Doch damit waren die Streitigkeiten um die neuen Lehren nicht beendet. Hus musste sich kurz nach seiner Ernennung zum Rektor vor der Inquisition verantworten. Papst Alexander V. ordnete zudem die Konfiszierung aller Schriften wiclifschen Geistes an und ihre öffentliche Verbrennung in Prag. Hieronymus weigerte sich, seine in Oxford getätigten Abschriften an den Prager Erzbischof zu übergeben und organisierte zusammen mit Hus Proteste gegen die Bücherverbrennung. Ebenso wie Jan Hus wurde auch Hieronymus von Prag desewgen mit einem Kirchenbann belegt.

Hieronymus reiste daraufhin nach Wien, wo er prompt als Ketzer verhaftet wurde. Einer Verurteilung entkam er durch seine rechtzeitige Flucht aus dem Gefängnis. Damit begann ein weiterer abenteuerlicher Abschnitt im Leben des vielgereisten Prager Gelehrten. Hieronymus wollte die ortodoxe Kirche besser kennenlernen und besuchte deshalb Russland und Litauen sowie Polen. 1413 kehrte er nach Prag zurück. Im Gepäck hatte er die Idee von der Kelchkomunion für die Gemeinde. Die Reichung des Kelches an Laien hatte ihn beim orthodoxen Gottesdients beeindruckt, nun spielte er mit dem Gedanken, diese auch in den Böhmischen Ländern einzuführen.

In der Tat spielte die Forderung nach der Kelchkommunion während der Hussitischen Kriege, die nach dem Ketzertot des Jan Hus und Hieronymus von Prag ausbrachen, eine grosse Rolle. Symbol der Anhänger der Hussiten wurde der Kelch.

Nachdem Hieronymus von Prag von der Verhaftung seines Freundes Jan Hus in Konstanz gehört hatte, machte auch er sich auf den Weg an den Bodensee, um seinen Freund zu verteidigen. Bald nach seiner Ankunft in Konstanz im April 1414 merkte Hieronymus jedoch, dass er Hus nicht helfen konnte, sondern selbst in Gefahr war. Nach einem misslungenen Fluchtversuch wurde er ebenfalls in den Kerker geworfen. Hieronymus dachte, dass ihm auch diesmal die Flucht gelingen werde, war es doch nicht das erste Mal, dass er als Ketzer angeklagt in einem Kerker sass. Diesmal jedoch war ihm das Schicksal nicht gnädig.

Zunächst versuchte Hieronymus es mit einer List. Nach dem Ketzertode von Jan Hus am 6. Juli 1415 bekannte Hieronymus sich schuldig und erklärte vor dem Konzil, dass es richtig gewesen sei, Hus als Ketzer zu verbrennen. Doch diese Zugeständnisse halfen Hieronymus nichts. Die Inquisitoren waren sich der Bedeutung ihres Gefangenen bewusst und wollten ihn nicht so einfach laufen lassen. Seine Verurteilung forderte zudem auch Kaiser Sigismund. Als Hieronymus erkannte, dass er diesmal dem Tod nicht entgehen werde, forderte er eine erneute öffentliche Anhörung.

Im Mai 1416 widerrief er öffentlich seine zuvor gemachten Zugeständnisse. Seine Verleugung Hussens erklärte er zu seiner grössten Sünde. Erneut beeindruckte Hieronymus von Prag seine Zuhörer durch seine Redegewandtheit. Seine Verteidigungsrede war brilliant formuliert und enthielt eine Reihe humanistischer Gedanken, die auch seine Widersacher würdigten. Hieronymus von Prag nutzte dieses allerdings nichts mehr. Am 30. Mai 1416 wurde er an der selben Stelle wie ein knappes Jahr zuvor Jan Hus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Soweit unserer heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte über Hieronymus von Prag, den zu Unrecht vergessenen und wenig bekannten Mitfechter und Freund von Jan Hus.

Autoren: Olaf Barth , Katrin Bock
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