Jahr der Erweiterung

Pavel Telicka

"Jahr der Erweiterung" - mit diesen Worten wird in den Brüsseler EU-Kreisen das Jahr 2001 bezeichnet. Auch Schweden, das kürzlich den EU-Vorsitz übernommen hat, nimmt sich der Erweiterung ernsthaft an und erklärte sie zur wichtigsten Priorität seiner Präsidentschaft. Über die aktuelle Stellung der Tschechischen Republik zu Beginn dieser Periode sowie über die bis zum angestrebten EU-Beitritt Tschechiens noch bevorstehenden Aufgaben unterhielt ich mich mit Pavel Telicka, dem Chefunterhändler Tschechiens bei der EU. Von Dagmar Keberlova.

Pavel Telicka
2000 war das Jahr, in dem sich die EU vor allem um sich selbst kümmerte: von den internen Reformen ihrer Institutionen bis hin zur Einrichtung der EU-Friedenstruppe. Wie könnte man das vergangene Jahr für die Tschechische Republik bewerten, was den Fortschritt der Beitrittsverhandlungen anbelangt, dies war meine erste Frage an Pavel Telicka:

"Zusammenfassend könnten wir sagen, das das Jahr 2000 wie geplant ablief, das heißt, es kam zu einem weiteren Fortschritt in den Beitrittsverhandlungen, aber der Fortschritt war nicht bedeutend. Wir können nicht sagen, dass wir einen schwierigen Teil der Verhandlungen bewältigt hätten. Dadurch, dass die Reform in Nizza verabschiedet wurde, ist das letzte Hindernis einer Beschleunigung der Verhandlungen gefallen. Im vergangenen Jahr haben wir uns vor allem mit weniger komplizierten Problemen auseinandergesetzt. Manager der Beitrittsverhandlungen ist die EU und diese hatte auch andere Aufgaben auf dem Programm als die Osterweiterung. Was die konkreten Ergebnisse betrifft, haben wir im vorigen Jahr alle Verhandlungskapitel eröffnet, was ich positiv bewerte. Des weiteren haben wir vorläufig 13 von diesen insgesamt 29 Kapiteln abgeschlossen. Was die schwierigen Themen betrifft, so hat Tschechien als erstes Land das Kapitel des freien Warenverkehrs abgeschlossen. Auf der anderen Seite kann ich nicht sagen, dass sich das Klima der Verhandlungen deutlich geändert hätte. Man sah, dass die EU andere Sorgen hatte als in die problematischeren Fragen mit den Beitrittsländern einzutauchen."

Das Jahr 2001 hingegen wird das Jahr sein, in dem sich die EU in erster Linie den Kandidatenländern widmen wird. Die Hoffnungen der künftigen Mitglieder ruhen vor allem auf dem neuen EU-Vorsitzenden Schweden. Stockholm hat die Erweiterung ganz groß auf seine Präsidentschaftsfahne geschrieben und ist entschlossen, das Tempo der Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Beim Abschlussgipfel im Juni in Göteborg könnte es sogar ein fixes Datum für die Beitritte der entsprechend vorbereiteten Staaten geben. Wie Günter Verheugen in seiner Rede am 18. Januar in Brüssel andeutete, in der er den neuen Plan der EU-Erweiterung für die Zeit nach dem Gipfeltreffen in Nizza vorstellte, muss das Bemühen auf beiden Seiten liegen. "Das Programm Schwedens, das die Kommission vorbehaltlos unterstützt, könnte dem Prozess der Erweiterung neuen Schwung geben. Ich appelliere sowohl an die Kandidatenländer, dass sie diesen Moment ausnutzen und ihr Bemühen intensivieren, als auch an die Mitgliedsstaaten, bei der eingeschlagenen Richtung zu bleiben und ihre Versprechen einzuhalten, die sie in Nizza gemacht haben", so die Worte Günter Verheugens. Von Pavel Telicka wollte ich wissen, wie die Tschechische Republik auf diese Aufforderungen reagieren wird und wie die Pläne für die Zeit der schwedischen Präsidentschaft aussehen:

"Die Tschechische Republik muss in erster Linie ihre Verhandlungspositionen klären. In den meisten Fällen ist dies bereits passiert. Meiner Meinung nach haben wir geklärt, was im Interesse Tschechiens liegt. Das war die Grundvoraussetzung unsererseits dafür, dass die Verhandlungen beschleunigt werden können. Wobei es nicht unser Ziel ist, von den Verhandlungspositionen nur deshalb zurückzutreten, weil uns dies ermöglicht, ein Kapitel abzuschließen.

Oft ist nichts einfacher als ein Kapitel abzuschließen. Wir müssen uns aber immer fragen, was dies für uns bedeutet, ob der Preis nicht allzu hoch ist und ob es dann nicht negative Auswirkungen für Tschechien haben könnte. Tschechien will nicht unbedingt an der Spitze der Kandidatenländer als ein Staat mit den meisten abgeschlossenen Kapiteln stehen. Diese Position hat sich bei den Erweiterungswellen in der Vergangenheit als negativ erwiesen, weil es die Taktik der EU bei den Beitrittsverhandlungen ist, ein Führungsland zu haben, das für die anderen den Weg bereitet. Dieses Land selbst zahlt aber letztlich drauf, indem es auf verschiedene Varianten bei den weiteren Verhandlungen verzichten muss. Auf der anderen Seite wollen wir nicht das Schlusslicht sein."

Tschechien weiß ganz klar, welche Kapitel es weiter verhandeln und welche es abschließen möchte. Ferner ist sich Tschechien im klaren darüber, wo unter der schwedischen Präsidentschaft Übergangsfristen ausgehandelt werden können. Man dürfe Telicka zufolge nicht vergessen, dass sich die Beitrittsverhandlungen nicht von den Vorbereitungen auf legislativen, institutionellen und weiteren Ebenen im Lande selbst trennen lassen, da diese großen Einfluss auf die Beitrittsverhandlungen haben. Hat also der tschechische Chefunterhändler Telicka eine Hoffnung, dass bei der Regierungskonferenz in Göteborg ein vorläufiges Beitrittsdatum festgesetzt werden könnte?

"Wir erwarten, dass die Kandidatenländer unter der schwedischen Präsidentschaft in schwierigen Kapiteln wie Umwelt voranschreiten werden und dies wird zeigen, wie die einzelnen Beitrittskandidaten tatsächlich vorbereitet sind. Also während der portugiesischen Präsidentschaft oder in Nizza war ein fixes Datum nur ein Traum, in Göteborg ist es meiner Meinung nach eine legitime Erwartung. Es ist ganz logisch, dass für den Zeitraum von 12 Monaten, in dem die Beitrittsverhandlungen möglicherweise abgeschlossen werden könnten, die EU zumindest ein ungefähres Orientierungsdatum festlegt. Die EU soll hier nicht argumentieren, dass sie nicht für alle auf einmal einen Termin festlegen und deshalb gar keine feste Frist nennen kann. Die EU kann die Situation der 2,3,4 am besten vorbereiteten Länder bewerten und abschätzen, wann diese die Verhandlungen abschließen könnten und die schwächeren Staaten werden diesen Termin unter Umständen nicht einhalten können. In Nizza wurden zwei Daten genannt - erstens wird die EU im Dezember 2002 auf die Erweiterung vorbereitet sein und zweitens hofft sie, dass einige Länder so beitreten werden, dass sich ihre Bürger bereits im Jahr 2004 an den Wahlen fürs EU Parlament beteiligen könnten. Dies ist keine Verpflichtung, aber auf jeden Fall ein Signal, das nicht mehr zurückgenommen werden kann. Ich erwarte, dass die EU dieses Signal in Göteborg konkretisieren wird."

Seitens der europäischen Politiker oder EU-Diplomaten werden verschiedene Befürchtungen laut, denen zufolge sich das eine oder andere Thema als ein gravierendes Problem für der Erweiterung darstellt. Konkret im Zusammenhang mit Tschechien wird auf die Wahlen im Jahr 2002 aufmerksam gemacht, bei denen die Politiker allzu sehr auf innenpolitische Fragen konzentriert seien könnten. Im breiterem Umfang bezeichnete Jacques Delors vor kurzem in Prag den freien Personenverkehr als die seiner Ansicht nach schwierigste Frage. Was wird Pavel Telicka zufolge das Hauptproblem Tschechiens vor dem EU-Beitritt sein?

"Ich glaube, dass über alle derzeitigen Fragen positiv verhandelt werden kann. Beide Seiten - sowohl die EU als auch Tschechien -werden sich in den heiklen Fragen entscheiden müssen, was ihre Prioritäten sind und ob sie zu Kompromissen bereit sind. Wenn es keine Kompromisse gäbe, würden die Kandidatenländer entweder gar nicht aufgenommen oder mit einer Reihe von Übergangsfristen, so dass man sich in der Folge die Frage stellen müsste, ob wir eigentlich in die entsprechende Politik überhaupt integriert sind. Natürlich sind unsere Positionen in vielen Fragen weit entfernt, aber wir müssen nach Lösungen suchen. Es gibt aber letztlich keine Fragen, die ein Hindernis für den Beitritt darstellen sollten."

In der heutigen Ausgabe vom Eurodomino befassten wir uns zusammen mit dem Chefunterhändler Tschechiens bei der EU, Pavel Telicka, mit der aktuellen Situation und den zukünftigen Aussichten Tschechiens in Hinblick auf den angestrebten EU-Beitritt.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union.



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt