Karel Hynek Mácha und der "Tag der Poesie"

Im Jahre 1852 ist in Prag "Eine kleine Auslese der gesamten tschechischen Literatur" erschienen. Die Auswahl sollte das Beste bringen: von der mittelalterlichen "Fabel über Fuchs und Krug", über das Alexander-Lied, böhmische Chroniken, Comenius, bis hin zu den Dichtern der Nationalen Wiedergeburt. In dieser Auswahl fehlte jedoch Karel Hynek Mácha. So etwas ist heute kaum vorstellbar. Hunderte von Studien, Büchern und Aufsätzen über Mácha wurden dazwischen geschrieben, viele Dichter ließen sich durch ihn inspirieren. Er ist zum Klassiker und zur Legende geworden. Obwohl es nicht mehr in Mode ist, Gedichte auswendig zu lernen, kann jeder Tscheche mindestens vier einleitende Verse des lyrisch-epischen Gedichtes "Mai" von Mácha. "Spätabend war's - der erste Mai, Ein Abendmai - der Liebe Zeit. Zur Liebe lud des Täubchens Schrei, wo Kiefernhain die Düfte streut." Liebe Hörerinnen und Hörer, dem Dichter Karel Hynek Mácha, dessen 190. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, ist der heutige Kulturspiegel gewidmet. Gute Unterhaltung wünschen Olaf Barth, Daniela Králová und Markéta Maurová.

Der Geburtstag Karel Hynek Máchas am 16. November begeht man heutzutage als "Tag der Poesie". In diesem Jahr, dem 190. Geburtsjubiläum Máchas, inszenierte der "Literatur- und Kulturklub 8" am 16. November eine Veranstaltungsreihe mit dem Namen "Poesie im Raum".

"Wir haben verschiedene Räume erwogen, vom Botanischen Garten, über einen Schlachthof bis zum Zizkov-Fernsehturm. Das Ergebnis sieht natürlich ganz anders aus, aber die Räume sind für uns ebenso interessant - eine Fabrik, eine Hochschule, ein Museum, die U-Bahn, ein Gymnasium, ein Kino, Internet usw. Wir ließen uns durch alle diese Räume inspirieren, in denen verschiedene Poesie-Veranstaltungen stattfinden", sagte uns die Hauptorganisatorin Renata Bulvová von dem Literaturklub 8.

Der Poesie-Tag wurde u.a. an der Pädagogischen Fakultät in Prag begangen. Wie, danach fragten wir die Studentin Zdislava Kratinová:

Das Feiern des "Poesie-Tages" am Máchas Geburtstag wurde vor einem Jahr ins Leben gerufen. Damals hat man bei diesem Anlass das Projekt "Poesie für Reisende" gestartet, in dessen Rahmen jeden Monat ein neues Gedicht in U-Bahn-Zügen und Stationen erscheint und das Reisen angenehmer macht. Weiter erzählt Renata Bulvová:

"Das Projekt der Poesie in der U-Bahn oder "Poesie für Reisende" ist nur darin originell, wie es heißt. Sonst ist es eine zehn oder zwölf Jahre alte Idee, die in England, unter unabhängigen Kulturleuten entstand und in der Londoner U-Bahn realisiert wurde. Und seitdem, ich glaube seit 1987 drang das auch in andere Weltmetropolen durch und wir waren etwa die vorletzte."

Und wie reagieren die Fahrgäste? Hat das Projekt ein Echo?

"Man kann das nicht sagen, weil keiner weiß - und das finde ich gut - niemand weiß, wer dahinter steht. Wie ich mich aber recht erinnere, waren die Reaktionen zu Beginn eher negativ. Ich habe z.B. einen alten Mann in der Metro getroffen, der sehr erregt war, dass jemand auch Mácha verspotten kann. Weiter war man darüber böse, dass sich die Gedichte unter Werbeflächen befinden. Sie betrachten das als eine Devaluation der Poesie. Aber je länger das Projekt "Poesie für Reisende" läuft, desto günstiger fällt die Resonanz aus. Es ist etwas, was sowohl für die Seele als auch für die Augen angenehm ist."


Wenden wir uns aber nun unserem Jubilar zu. Was kann man über Karel Hynek Mácha erzählen? Man weiß nicht, wie er aussah. Trotz der Tatsache, dass sein Leben sehr kurz war - er lebte nur 26 Jahre - sind jedoch nicht nur sein größtes Dichtungswerk "Der Mai", sondern auch viele Details aus Máchas Leben allgemein bekannt: seine Vorliebe für das Wandern, seine Liebesbeziehung zu Lori Somkova, die Umstände seines dramatischen Todes.

Mácha wurde am 16. November 1810 auf der Prager Kleinseite in der Familie eines Obermüllers geboren. Die Mutter erweckte in Mácha Patriotismus und Liebe zum Vaterland. Die ersten Versuche Máchas erschienen jedoch unter dem Titel "Versuche des Ignaz Macha" 1829 auf deutsch. Erst Anfang 1830 entschloss sich der Dichter endgültig, auf Tschechisch zu schreiben.

Hören wir nun, worin der berühmteste tschechische Kritiker aller Zeiten, Frantisek Xaver Salda, 1936 das Einzigartige an Mácha sah.

"Erst Mácha schafft aus der Dringlichkeit der Zeit, aus seinem brennendsten Inneren und dem Inneren der Zeit; erst sein Schaffen hat trägt den Zug innerlicher Dringlichkeit, was es früher gab, war mehr oder weniger zufällig. Erst Mácha ist das musische Genie, das Sachen aus deren Kern ertönen läßt."


Wie es sich für einen echten Romantiker gehört, war Mácha ein begeisterter Wanderer. In seinem literarischen Tagebuch stoßt man auf eine Liste: "Die gesehenen Burgen". Etwa 90 Burgen in ganz Böhmen sind darin verzeichnet; die Zahl auf der rechten Seite der Liste sagt uns, wie viele Male Mácha dort weilte: Karlstein, Sternberg und Bezdez waren seine beliebtesten. Der Dichter beschränkte sich jedoch nicht nur auf Böhmen. Am Montag den 4. August 1834 um viertel nach sieben morgen brach er gemeinsam mit seinem jüngeren Freund Anton Strobach zur Wanderung nach Italien auf. Etwa 60 Kilometer pro Tag zu Fuß, Baden, Besichtigungen von alten Burgen und Städten, Besuche in Gasthäusern - so sah die Wanderung der Studenten aus. Die größte Begeisterung fand Mácha für den anstrengendsten Abschnitt der Reise, den über die Alpen. Die dramatische Landschaft, voll von Kontrasten, entsprach genau seiner Vorstellung über die Schönheit. Am einundzwanzigsten Tage der Reise trafen die Wanderer in Venedig ein.

"Salziges Wasser. Die Italiener beschwindelten uns."

Auf den ersten Eindruck war Mácha nicht besonders hingerissen. Doch später notierte er in seinem literarischen Tagebuch, eingleitet durch den Ausruf "Venezia, Venezia!" auch positivere Schilderungen. Die Reise nach Venedig und Triest blieb Máchas längste. Im darauf folgenden Jahr wanderte er zwar noch in Böhmen, eine längere Reise hat er jedoch nicht mehr unternommen. Die Liebe zu seiner Geliebten Lori, und besonders seine Eifersucht waren daran schuld.


Die Liebe war bei Mácha immer Quelle der Seelenqual und der Leiden. Schwer zu sagen, ob er selbst daran schuld war - dadurch, das er sich ein Ideal romantischer Liebe erträumte, das keine Frau erfüllen konnte, wie einige Literaturhistoriker meinen, oder ob seine Geliebte Eleonora Somkova wirklich eine oberflächliche Kokette war, wie andere schreiben. Mácha und Lori lernten sich in einer Gruppe patriotischer Theaterspieler kennen. Ihre Beziehung dauerte drei Jahre und wurde von dramatischen Liebeserklärungen, Eifersuchtszenen und leidenschaftlicher Erotik begleitet. Dass das Leben mit Mácha nicht einfach war, belegt auch der folgende Brief. Mácha schickte ihn aus Litomerice /Leitmeritz, wo er nach dem Abschluss seiner Jura-Studien als Justizpraktikant arbeitete. Seine Geliebte Lori hatte inzwischen einen unehelichen Sohn geboren und sich auf die Hochzeit mit Mácha vorbereitet.

"Ich befehle also, streng befehle ich Dir - dass Du nicht aus unserm Hause hinausgehst, nirgends hin, unter keinem, gar keinem Vorwand; nicht zur Messe, nicht zur Beichte, nicht zum Katechismus, nirgends hin; oder - so wahr ein Gott und meine Seele lebt, und bey meinem Leben schwör ich Dir, Du siehst mich niemals wieder. Wenn Du Dich unterstündest, und gingest aus dem Hause zu Deinem Vater oder gar auf die Pfarre oder wohin, so wahr Gott lebt, ich verlasse Dich am Altare. ... Ich komme Montag den 7t nach Prag, Dienstag ist die Vermählung und am Donnerstag fahren wir aus Prag nach Leitmeritz. Zur Vermählung wird Niemand geladen, den ich nicht lade. Ist ausser Deinem Vater Jemand von Deinen Verwandten in der Kirche, so geh´ ich Euch vom Altare weg. Das schwöre ich bei Gott, und das ich es thun werde, da kennst Du mich. Ignaz."

Die Hochzeit wurde nicht gefeiert. Noch vor dem Vermählungsdatum brach nämlich in Leitmeritz ein Brand aus. Man erzählt, dass Mácha gerade in der Stadtumgebung spazierte und auf einmal Feuer erblickte. Er lief schnell nach Leitmeritz, um - selbst in Lebensgefahr - beim Löschen zu helfen. Kurz danach erkrankte er (es ist nicht ganz sicher woran - früher dachten die Literaturhistoriker, dass es sich um Lungenentzündung handelte, heute wird eher Cholera in Betracht gezogen) und - am 6. November um drei Uhr morgens, weit von seiner Familie entfernt, verstarb er. Die Ironie des Schicksals sorgte dafür, dass am 8. November, dem Tag für den man die Vermählung geplant hatte, Karel Hynek Mácha auf dem Leitmeritzer Friedhof bestattet wurde. Nicht nur sein Werk, auch das Lebensschicksal und der frühzeitige Tod des romantischen Dichters trugen dazu bei, dass Karel Hynek Mácha zur Legende wurde.

Autor: Olaf Barth
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