Nachrichten Freitag, 22. September, 2000

Von Martina Schneibergova

Österreichische Atomkraftgegner blockieren die Grenzübergänge

Am Freitagmorgen um 6 Uhr begannen österreichische Atomkraftgegner mit der Blockade der österreichisch-tschechischen Grenzübergänge. Bis 13 Uhr bleibt nur noch der Grenzübergang Wullowitz-Dolni Dvoriste für den Transitverkehr geöffnet. Ziel der Blockade ist es, die Inbetriebnahme des südböhmischen Atomkraftwerks Temelin zu verhindern. "Die Blockaden werden umgehend abgebrochen, wenn aus Tschechien ein verbindliches Signal für die von den Atomgegnern geforderte Nachdenkpause zur Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Temelin mit Zusage der umfassenden Gesamt-UVP und dem Nachweis der höchsten Sicherheitsstandards erfolgt," ließen die Atomkraftgegner am Donnerstag verlauten.

Havel: die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Jugoslawien bringen neue Hoffnung

Präsident Vaclav Havel glaubt, dass die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Jugoslawien eine Verbesserung der Situation für den Balkan bedeuten werden. "Es wäre kurzsichtig, anzunehmen, dass mit der Beseitigung des undemokratischen Regimes sämtliche Probleme plötzlich verschwinden würden, erklärte Havel in seiner Botschaft, die er auf der am Donnerstag in Prag stattgefundenen Balkan-Konferenz aussprach. Die Konferenzteilnehmer haben eine Bewertung zur Erfüllung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa vorgenommen und sie suchten nach Wegen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Balkans.

Weltbank will respektieren, was arme Leute sagen

Eine der wichtigsten neuen Prinzipien der Weltbank beim Kampf gegen die Armut lautet: es gilt zu respektieren, was arme Menschen zu sagen haben und es gilt, bei der Herausbildung einer makroökonomischen Politik der armen Länder zusammenzuarbeiten. Dies erklärte der Vizepräsident der Weltbank, Kemal Dervis, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Prag. Auf der Welt gibt es 1,3 Milliarden Menschen, deren Tageseinkommen weniger als ein Dollar beträgt. Eines der größten Ziele der Weltbank ist es daher, diese Zahl bis 2015 auf mindestens 600 Millionen zu senken.

Wolfensohn: Märkte sollen für Produkte aus armen Ländern geöffnet werden

Die Strategie der Weltbank, mit der eine Reduzierung der Armut in der Welt angestrebt wird, soll nicht nur die ärmsten Länder, sondern auch Länder mit mittleren Einkommen betreffen. Beim Kampf gegen die Armut könne man sich nicht nur auf die Entschuldung dieser Länder, sondern auch auf die Öffnung der Märkte für ihre Produkte konzentrieren. Dies erklärte der Präsident der Weltbank James Wolfensohn am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Prag. Er brachte des weiteren die Hoffnung zum Ausdruck, dass die hochentwickelten Länder ihre Märkte ebenso öffnen werden. Wolfensohn sprach sich zudem für eine Hilfe der Weltbank beim EU-Beitritt der Tschechischen Republik aus. Diese Hilfe werde - so der Präsident der Weltbank - zunächst vor allem in der Vermittlung von Erfahrungen und Kontakten bestehen, was zu einem schnelleren EU-Beitritt Tschechiens beitragen kann. Zu den erwarteten Protestaktionen der Globalisierungsgegner bemerkte Wolfensohn, er könne den Demonstrationen durchaus auch positive Aspekte abgewinnen. Er betonte, der Kampf gegen die Armut müsse ein gemeinsames Ziel aller beteiligten Seiten sein.

Aktivisten forderten die Finanziers zur Unterstützung des öffentlichen Verkehrs auf

An die 20 Globalisierungsgegner aus Tschechien und aus dem Ausland, die nach Prag gekommen sind, um gegen die Politik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu protestieren, haben am Donnerstag die Finanzexperten aufgefordert, anstelle des Automobilverkehrs die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer zu unterstützen. Auf einem Happening auf dem Altstädter Ring in Prag riefen sie die Bänker und Finanzexperten dazu auf, während ihrer Tagung in Prag statt des Dienstwagens die Straßenbahn und die U-Bahn der Moldaumetropole zu nutzen.

Strengere Kontrollen an deutsch-tschechischer Grenze wegen IWF-Tagung

Globalisierungsgegner und Aktivisten, die vorhaben, in der nächsten Woche von Deutschland aus nach Prag zu reisen, um an den Demos gegen die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank teilzunehmen, haben an der deutsch-tschechischen Grenze mit strengeren Kontrollen zu rechnen. Darüber informierte am Mittwoch die Agentur AP unter Berufung auf deutsche Behörden. Den Informationen der Presseagentur zufolge wurde der Personalbestand an Mitarbeitern der Kontrollorgane verstärkt. Darüber hinaus tausche die deutsche Seite ständig Informationen mit den tschechischen Behörden aus, hieß es weiter.

Das Camp im Strahov-Stadion findet bisher noch keine Resonanz

In dem eigens für die Globalisierungsgegner eingerichteten Zeltlager im Prager Strahov-Stadion wohnt derzeit nur ein Mann aus Großbritannien. Im Camp können bis zu 15.000 Menschen untergebracht werden. Die Gegner von IWF und Weltbank hatten zuvor ihre Absicht erklärt, ab heute bis zum 29. September in Prag gegen die beiden Finanzinstitutionen protestieren zu wollen. Mit einem größeren Andrang für eine Unterbringung im Strahov-Stadion wird für diesen Freitag gerechnet. Bislang haben sich fast 6000 Menschen über das Internet Plätze im Camp reservieren lassen. Die meisten Interessenten kommen aus Italien.

Strafanzeige gegen Finanzminister Mertlik

Der Vorsitzende der in der Affäre um die IPB-Bank eingesetzten parlamentarischen Untersuchungskommission, Miroslav Kalousek, hat am Donnerstag Strafanzeige gegen Finanzminister Pavel Mertlik und den Zwangsverwalter der IPB-Bank, Petr Stanek, gestellt. Kalousek erklärte, die Mehrheit der Kommissionsmitglieder sei zu dem Schluss gekommen, dass Mertlik und Stanek falsche Aussagen vor der Kommission gemacht hätten. Finanzminister Mertlik beteuerte demgegenüber, vor der Kommission nur Wahrheit gesprochen zu haben.

Havel traf ehemaligen israelischen Präsidenten Jicchak Navon in Prag

Präsident Vaclav Havel hat während seines Treffens mit dem ehemaligen israelischen Präsidenten Jicchak Navon am Mittwoch in Prag festgestellt, dass wegen der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank eine unnötig große Aufruhr vorherrsche. Über seinen Sprecher ließ Havel verlauten, dass die Aufruhr seiner Meinung nach nicht von den Demonstranten, sondern von den Behörden verursacht werde, die sich mit ihren Vorbereitungen ununterbrochen den Medien anvertrauen. Der tschechische Staatspräsident sieht in der Tagung der beiden Institutionen eine Herausforderung für die Bewohner der Tschechischen Republik, sich zu ihrer Mitverantwortung für die Welt und deren weitere Entwicklung zu bekennen. Der ehemalige israelische Präsident weilt zu einem Privatbesuch in Prag. Mit Vaclav Havel sprach er unter anderem über den Friedensprozess im Nahen Osten.

Tschechische Abgeordnete sprechen sich für die Bestrafung derjenigen aus, die die kommunistischen Genozide leugnen

Das Abgeordnetenhaus hat am Mittwoch einen novellierten Strafgesetzentwurf verabschiedet, dem zufolge die Leugnung der von den Nazis oder den Kommunisten durchgeführten Genozide mit einem Freiheitsentzug von 6 Monaten bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Nach dem Gesetz werden Menschen, die Hass, einschließlich Klassenhass stiften, noch strenger bestraft. Die Gesetzesvorlage muss noch im Senat diskutiert und von Präsident Vaclav Havel unterzeichnet werden. Für die Billigung des Gesetzes haben 97 der insgesamt 188 anwesenden Abgeordneten gestimmt, 86 Abgeordnete waren dagegen. Das Gesetz wurde von den Bürgerdemokraten, Christdemokraten, den Abgeordneten der Freiheitsunion und von zwei der insgesamt 74 Sozialdemokraten unterstützt. Alle Kommunisten stimmten dagegen.

Viererkoalition wird einen neuen Vertrag schließen

Die Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Volksunion (KDU-CSL), der Freiheitsunion (US), der Demokratischen Bürgerallianz (ODA) und der Demokratischen Union (DEU) werden am 28. September einen weiteren St.- Wenzel-Vertrag unterzeichnen, der an das Abkommen der Viererkoalition vom vergangenen Jahr anknüpfen wird. Darüber informierte die Vizevorsitzende der Freiheitsunion Hana Marvanova am Donnerstag auf einer von den Christdemokraten veranstalteten Pressekonferenz.