Anonyme Geburten
Willkommen zu der heutigen Ausgabe des Themenkaleidoskops, liebe Freunde. Am Mikrophon begrüßt Sie Lucie Mouckova. In den nächsten Minuten werden wir uns einem in der Tschechischen Republik zur Zeit ziemlich aktuellen Thema widmen - den anonymen Geburten.
In der Tschechischen Republik ist ein so genannter Fond der bedrohten Kinder tätig. Dies ist eine Bürgerinitiative, die sich u.a. bemüht, kleinen Kindern und deren Müttern in Not Hilfe zu leisten. Vor kurzem hat eine Frau diese Stiftung angerufen. Sie hat angeführt, sie habe am Vortag ein Kind zur Welt gebracht, könne sich jedoch nicht um es kümmern und würde es gerne einer Familie zur Adoption anbieten - unter der Bedingung, sie bleibe anonym. Der Fonds hat das kleine Mädchen Namens Adelka anonym von seiner Mutter übernommen und wollte für es in kürzester Zeit eine passende Ersatzfamilie finden. Bevor er dies jedoch tun konnte, wurde das Baby auf Entscheidung der Staatesbeamten in ein Säuglingsheim geschickt, obwohl Adelkas Mutter genau dies verhindern wollte.
Jedes Jahr werden in der Tschechischen Republik 5 bis 15 ausgesetzte Babys gefunden, es wird jedoch befürchtet, dass diese Zahl in Wirklichkeit wesentlich größer ist. Babys sind bereits in Mülltonnen geworfen, unter der Erde begraben, in Hasenställen oder sogar in Kühlschränken versteckt gefunden worden. Diejenigen Mütter, die heimlich das Kind zur Welt bringen, haben meistens Angst, dass das Weinen des Kindes sie verraten würde, deshalb versuchen sie das Neugeborene möglichst schnell umzubringen. Der Fonds versucht solchen Müttern Hilfe zu leisten. Um die Anonymität der Mütter bewahren zu können, müssten die anonymen Geburte jedoch zuerst legalisiert werden. Dafür setzt sich auch die Vorsitzende des Fonds der bedrohten Kinder, Marie Vodickova, ein:
"Es würde sicher das Leben von einigen Dutzend Kindern jährlich retten. Viele Mütter würde ein Gesetz über anonyme Geburten vor Strafverantwortung schützen. Falls eine Mutter ihr Baby tötet und dies als Mord eingestuft wird, kann die Frau sogar lebenslänglich dafür bekommen. Das kann wiederum eine tragische Auswirkung auf die ganze Familie haben, denn in einem solchen Fall würden die restlichen Kinder meistens in ein Kinderheim geschickt werden."
Es ist nicht nur der bereits erwähnte Fonds, der das Legalisieren anonymer Geburten unterstützt. Die sozialdemokratische Abgeordnete Jana Volfova und ihre Kolleginnen aus der oppositionellen Bürdemokratischen Partei wollen im Parlament den Gesetzesentwurf über anonyme Geburten durchsetzen. Falls dies gelingt, könnten Frauen ohne Angabe jeglicher persönlicher Daten ihr Kind gebären. Das Baby würde dann für einen Findling gehalten und eine Adoption wäre in dem Fall wesentlich schneller und einfacher. Dazu sagt Marie Vodickova:
"Ausgesetzte Kinder, sei es anonym oder nicht anonym, könnten bereits jetzt laut gültigem Gesetz gleich aus der Geburtsklinik in eine geprüfte Ersatzfamilie übergeben werden. Diese Möglichkeit wird jedoch ganz wenig angewendet. Meistens bleiben die Kinder über ein halbes Jahr in Säuglingsheimen, was natürlich auf sie sehr belastend wirkt."
Soziale Arbeiter argumentieren damit, sie wollen nicht das Risiko eingehen, dass sich einige Wochen später die "echten" Eltern melden und das Baby der Pflegefamilie entzogen würde. Der Abgeordneten Jana Volfova zufolge gibt es jedoch viele Familien, die ein Kind trotz dieses Risikos gerne adoptieren würden.
Wie Marie Vodickova betont, herrscht in den Nachbarländern Tschechiens eine viel kinderfreundlichere Praxis:
"In Österreich z.B. geht das Baby sofort in eine Ersatzfamilie, in Deutschland lebt das Kind 8 Wochen lang mit sozusagen professionellen Zieheltern und danach wird es den Adoptiveltern übergeben. Es ist natürlich ein Unterschied, ob das Kind nach seiner Geburt gleich in einer Familie lebt, selbst wenn es nur für eine Übergangszeit bei einer Ziehmutter wäre, oder ob das Baby diese Zeit in einem Säuglingsheim verbringen muss, wo es die meiste Zeit ohne jeglichen Kontakt mit anderen Menschen nur im Bett liegt."
Obwohl die Idee der anonymen Geburten in der Tschechischen Republik von vielen unterstützt wird, gibt es auch eine Menge Gegner - zu ihnen zählen auch einige Ärzte und Sozialarbeiter sowie das tschechische Ministerium für Arbeit und Soziales. Sie argumentieren damit, dass die Mütter dadurch von ihrer Verantwortung für das Kind befreit würden. Ihrer Ansicht nach hätte das Kind keine Identität und im Falle einer genetischen Behinderung wäre es nicht möglich, ihm volle medizinische Unterstützung zu leisten. Sobald das Kind über seine Vergangenheit erfährt, wäre es dazu noch traumatisiert, dass es nichts über seine biologische Eltern erfahren könne. Nach den Worten von Frau Vodickova vergessen die Gegner jedoch den wichtigsten Punkt - das Kind muss vor allen Dingen am Leben bleiben, um dann über sein weiteres Schicksal entscheiden zu können.
Das Gesetz über anonyme Geburten soll in naher Zukunft dem Parlament zur Verhandlung vorgelegt werden. Falls es verabschiedet wird und in Kraft tritt, würde es Marie Vodickova zufolge jedes Jahr eine Reihe von Kinderleben retten. Dies würde nicht nur den Neugeborenen helfen, sondern auch denjenigen Kindern, die als Babys nicht ausgesetzt wurden, später jedoch von ihren Eltern vernachlässigt, abgelehnt, oder sogar gefoltert werden.