Sportreport
Ahoi und herzlich willkommen zum Sportreport von Radio Prag. Am Mikrofon begrüßt Sie Lothar Martin.
Nachdem im zurückliegenden Monat Juni eigentlich nur eine Sportart die Schlagzeilen dominiert hat, nämlich König Fußball, so rücken jetzt - gut zwei Monate vor den Olympischen Spielen in Sydney - auch alle anderen Sommersportarten wieder häufiger in den Blickpunkt des Interesses. Doch halt, eine Sportart ragt im Juli immer noch etwas heraus, und auch hier spielen - wie im Fußball - die Franzosen die tragende Rolle. Ich spreche vom populärsten, schönsten und schwierigsten Radsportrennen der Welt, der Tour de France, deren 87. Auflage derzeit mit 21 Etappen und über 3630 Kilometer voll im Gange ist. Von tschechischer Seite ist mit Pavel Padrnos vom italienischen Saeco-Team leider nur ein Rennfahrer bei der Tour vertreten. Und der wird kaum im Vorderfeld ankommen, zumal er seine beiden vorangegangenen Tour-Teilnahmen sowohl 1997 als auch 1999 vorzeitig beendete. Doch dieser Zustand kann sich vielleicht schon im nächsten Jahr ändern, hat doch beim 83. Giro d´Italia ein anderer Tscheche ganz groß von sich reden gemacht und dabei zu Hoffnungen Anlass gegeben, denen zufolge er eines Tages auch ein ganz Großer bei der Tour de France werden könnte. Um welchen Radsportler es sich handelt, das erfahren Sie gleich.
Beim im Mai ausgetragenen 83. Giro d´Italia, dem populärsten Rennen nach der Frankreich-Schleife, machte ein gewisser Jan Hruska von sich reden. Im Endklassement landete er auf einem hervorragenden 14. Rang und sorgte damit für die beste Platzierung, die je ein tschechischer Rennfahrer bei dieser Härteprüfung belegt hat. Doch der eigentliche Erfolg besteht darin, dass der 25jährige, aus dem mährischen Dorf Dolna Loucka stammende Hruska der ungekrönte König unter den Zeitfahrern der Italien-Rundfahrt war.
Schon beim Prolog im Vatikan zeigte er, vor den Augen des Papstes, allen Konkurrenten das Hinterrad und eroberte damit das Rosa Trikot des Gesamtführenden. Auch wenn er es im weiteren Verlauf des Giro nicht verteidigen konnte, so bewies er mit Platz 2 beim Zeitfahren in Bibione und dem Etappensieg beim Bergzeitfahren in Sestriere seine Stärke beim Einzelkampf gegen die Uhr.
Mit seinen starken Auftritten sicherte sich Hruska nicht nur den Respekt der Konkurrenz, sondern auch die Position des Leaders in seinem spanischen Vitalicio-Seguros-Team, bei dem er erst im November 1999 einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben hatte. Deshalb war Hruska auch ergriffen und ein gehöriges Maß stolz auf sich, als wir ihn danach fragten, was er nach seiner famosen Leistung beim Giro nun empfinde: "Ich denke, das ist eine Genugtuung für mich, da ich mich so lange angestrengt habe, endlich in den großen Radsport zu gelangen. Ich habe hart an mir gearbeitet und bin mit meinem Wechsel nach Spanien zudem ein zusätzliches Risiko eingegangen - und nun stelle ich fest: das Risiko hat sich ausgezahlt."
Jan Hruska hat 1999 ein halbes Jahr lang auf einen Vertrag bei einem ausländischen Profi-Rennstall hingearbeitet. Das hat er neben vielen Kontakten, die er knüpfte, und unzähligen Telefonaten, die er führte, vor allem mit seinem gestiegenen Leistungspotenzial, als er noch für das tschechische Team Wüstenrot-ZVVZ unter Manager Jiri Zenisek fuhr, unter Beweis gestellt.
"Ich wollte schon einige Jahre lang dahin gelangen, doch gerade die letzte Saison unter Jiri Zenisek verlief so gut, dass ich es mir in den Kopf gesetzt hatte: diese Chance gilt es zu nutzen. Wobei ich mir sagte: jetzt bin ich wirklich nur noch ein Stück von meinem Ziel entfernt, die Ergebnisse und die eroberten Punkte sprechen für sich, jetzt könnte mich ein gutes Team in seinen Kader übernehmen."
So kam es dann auch. Seit Beginn dieses Jahres fährt Jan Hruska für den spanischen Vitalicio-Seguros-Rennstall, dessen Sportdirektor Javier Minguez große Stücke auf ihn hält und ihm daher half, sich schnell im Team einzugewöhnen. Und der Erfolg gibt beiden recht. Nicht zuletzt profitiert auch das neue, junge Team davon, wie uns Jan Hruska verriet, als wir ihn danach fragten, ob sich seine Giro-Ergebnisse auch auf seine Akzeptanz innerhalb der Mannschaft niedergeschlagen haben: "Also sie waren insgesamt erfreut, denn mein Ergebnis ist auch ein Erfolg für die Mannschaft. Man hat mich daher spontan akzeptiert. Zuvor war ein Russe der Leader im Team, doch mit ihm und seiner Mentalität war man nicht zufrieden. Deshalb hat man sich anfangs mir gegenüber auch etwas reserviert verhalten. Doch schon bald haben meine Stallgefährten gemerkt, dass meine bzw. die tschechische Mentalität eine andere ist und so ist es mir relativ schnell gelungen, mich zu integrieren. Ich bin auch kein problembeladener Typ, im Gegenteil: ich bin kollektiv eingestellt und auch dadurch habe ich ihre Gunst gewonnen."
Nicht minder stolz auf Jan Hruska sind dessen Eltern, die eigens für "den verlorenen Sohn" nach dem Giro eine Pressekonferenz in Prag organisiert hatten. Dabei wollte Vater und Landwirt Jan Hruska Senior eigentlich immer, dass ihm sein Filius auf dem Bauerngut kräftig zur Hand geht. Doch der hatte "immer nur Radfahren im Kopf," erzählte der Vater, während Gemeindevorsteher Ladislav Kolacek zu berichten wusste, wie das ganze Dorf beim Giro mit seinem "Honza" mitgefiebert hat.
Mitfiebern wird man auch, wenn Jan Hruska in diesem Jahr - wie geplant - noch bei der Olympiade in Sydney, der WM und einigen Rennen in Spanien an den Start gehen wird. Ob er jedoch schon im kommenden Jahr auch bei der Tour de France dabei sein wird, ist noch genau so ungewiss, wie der Fortbestand seines Rennstalls. Denn die spanische Versicherung Vitalicio Seguros hat das Ende ihres Engagements als Sponsor angekündigt. Seinem Leistungspotenzial nach dürfte sich Jan Hruska allerdings auch für andere Teams empfohlen haben, was er uns gegenüber nicht anders sah: "Im nächsten Jahr kommt es darauf an, in welchem Team ich antreten werde. Es kann sein, dass ich bei Vitalicio, falls ein neuer Sponsor gefunden wird, für ein weiteres Jahr unterschreiben werde, oder aber ich finde ein anderes Team. Auf alle Fälle will ich die Tour de France fahren, denn sie ist das größte und schönste Radrennen der Welt. Ob nun schon nächstes Jahr, dass hängt wie gesagt davon ab, ob ich in einem Team fahren werde, das für die Tour gemeldet ist und ob ich mich dann auch innerhalb dieses Teams für dieses Rennen qualifizieren kann."
Also warten wir es ab, ob wir im kommenden Jahr weiterhin lediglich über den Tour-de-France-Kandidaten oder aber bereits den Tour-Teilnehmer Jan Hruska und dessen mögliche Etappen-Achtungserfolge berichten können. Derweil genießen wir die diesjährige Frankreich-Rundfahrt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen sportlich interessante und erholsame Julitage und verabschiede mich für heute vom Mikrofon - Ihr Lothar Martin.