Die Iren in Prag
In unserem Wochenendprogramm geht es nun weiter mit dem ersten Kapitel aus der tschechischen Geschichte im neuen Jahr. Katrin Bock wirft in diesem einen Blick auf die Besonderheit der tschechisch-irischen Beziehungen.
In unserem Wochenendprogramm geht es nun weiter mit dem ersten Kapitel aus der tschechischen Geschichte im neuen Jahr. Katrin Bock wirft in diesem einen Blick auf die Besonderheit der tschechisch-irischen Beziehungen.
Die Iren in Prag. Auf den ersten Blick mag dieses Thema für viele etwas seltsam erscheinen, doch beschäftigt man sich eingehender mit den tschechisch-irischen Beziehungen und Gemeinsamkeiten, eröffnet sich eine neue und oftmals faszinierende Welt. Und plötzlich ist es nicht mehr ganz so verwunderlich, dass es in Prag und anderen tschechischen Städten so viele irische Pubs gibt und sich irische Folkmusik solcher Beliebtheit erfreut.
Wirft man einen Blick in die graue Vorgeschichte der Böhmischn Länder, so stellt man fest, dass diese seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. von keltischen Stämmen besiedelt wurden. Einem dieser Stämme, den Bojern, verdankt diese Gegend sogar ihren Namen: Bohemia - Böhmen. Bis heute gehen einige Ortsbezeichnungen, Fluss- und Bergnamen auf keltischen Namen zurück. Etwa um 40 v. Chr verliessen die Kelten die Böhmischen Länder und zogen weiter nach Westen. Dort liessen sie sich in Schottland, Wales, der Bretagne und Irland nieder. Lange Zeit gab es keine Kontakte zwischen den fernen Gegenden, aber, wenn man so will, eine gewisse genetische Verwandtschaft bestand weiterhin, da einige Kelten in den Böhmischen Länder geblieben waren und sich mit den neuangekommenen slawischen Völkern vermischten - heute erscheinen immer wieder Artikel in den Zeitungen, die auf die Verwandtschaft von Tschechen und Iren mit einem gewissen Stolz verweisen. Wiederentdeckt haben sich die beiden "Brüdervölker" erst im 17. Jahrhundert - unter vielleicht etwas merkwürdigen BedinGungen, wie Jan Parez erklärt, der unlängst ein Buch über die Iren in Prag veröffentlichte:
"Im 17. Jahrhundert erreichte die religiöse Intolleranz in zwei Ländern ihren Höhepunkt - in Irland und in Böhmen. Aus Irland flohen 1000e von Katholiken, denen Verfolgung, Folter und Tod drohte. Aus Böhmen wiederum flohen 1000e von Nichtkatholiken, denen ebenfalls Verfolgung, Folter und Tod drohte."
Und so begann eine Zeit äuserst intensiver irisch-tschechischer Beziehungen. In den Böhmischen Ländern liessen sich ehemals irische Soldaten nieder, die nun für den Habsburger Kaiser kämpften. Auch beim Mord am Generalissimo Wallenstein im westböhmischen Cheb-Eger waren irische Soldaten beteiligt. Vom Kaiser erhielten viele dieser Iren als Belohnung für ihre Dienste Ländereien, so dass sie sich in Böhmen niederliessen. 1918 waren noch Nachkommen von sechs dieser irischen Geschlechter in den Böhmischen Ländern anzutreffen.
Die aus Irland vertriebenen Franziskaner gründeten in Prag ein Kloster, in dem in den folgenden 150 Jahre stets Mönche aus Irland lebten. Bei der Gründung halfen übrigens die vom Kaiser belohnten irischen Soldaten finanziell - einige von ihnen wurden später in der Klosterkirche begraben. Nach dem Ende des 30jährigen Krieges 1648 studierten Generationen irischer Studenten an der Prager Universität, vor allem Medizin. Einige von ihnen wirkten dann als Professoren in Prag, einer schaffte es sogar zum Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia.
Jan Parez widmete sein Buch "Hyberni v Praze" - "Die Hyberner in Prag" den irischen Franziskanermönchen, die in Prag das als U Hybernu, bei den Hybernern, bekannte Kloster gründeten. Die im Tschechischen verbreitete Bezeichnung Hyberni geht übrigens auf den lateinischen Name für Irland - Hybernia - zurück. Über die Verfolgung der Franziskaner in Irland und ihre Anfänge in Prag, erzählt Jan Parez folgendes:
"Ende des 16. Jahrhunderts begann die englische Königin Elisabeth, die auch Königin von Irland war, die Franziskaner aus dem Lande zu verweisen. Zunächst liessen sich die irischen Franziskaner in Löwen nieder, dann gründeten sie ein Kloster in Rom und schliesslich entschlossen sie sich, in dem frisch rekatholisierten Böhmen ein drittes Kloster zu gründen. Sie baten den Kaiser um die Erlaubnis, ein Kloster mit Ausbildungsmöglichkeit für Novizen zu gründen."
1629 erhielten die irischen Franzikaner von Kaiser Ferdinand II. die Erlaubnis, zwei Jahre später, 1631, wurde das Kloster der unbefleckten Empfängnis Marias in der Prager Neustadt gegründet - gleich gegenüber dem Pulverturm und dem ehemaligen Königshof. 150 Jahre lang, bis 1784, lebten hier irische Mönche. Dann wurde das Kloster im Rahmen der josephinischen Reformen aufgelöst.
Aber sprachen die Mönche "bei den Hyberner" wirklich irisch?
"Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Höchstwahrscheinlich sprach zumindest ein Teil der dortigen Mönche irisch. In einem Archiv haben wir ein Buch gefunden, in dem Anmerkungen auf Irisch neben dem Text stehen. Es handelte sich aber nur um irgendwelche Eigentumsangelegenheiten, also nichts kompliziertes. Aber wir wissen, dass einer der hiesigen Mönche, O`Devlin, nach Irland zurückkehrte und dort auf Irisch Gedichte verfasste."
Warum aber wurde auch das Kloster u Hybernu in Prag Opfer der josephinischen Reformen? Dazu noch einmal Jan Parez:
"Ende des 18. Jahrhunderts entschloss sich Kaiser Josef II. eine Reihe von Klöstern aufzulösen - aus wirtschaftlichen Gründen, militärisch-strategischen oder anderen. Leider war das Kloster der irischen Mönche in Prag für seine ständigen Querelen und inneren Probleme bekannt. Das lag unter anderem daran, das es administrativ unter eine entsetzlich weit entfernte Zentrale fiel. So haben verschiedene Gruppierungen beständig um Macht und Einfluss gekämpft. Aber es gab auch andere Missstände - bei Visitationen kam Wucherei zu Tage, Betrunkenheit der Mönche und ähnliches."
Und so endete 1784 die Tätigkeit des Klosters der unbeleckten Empfängnis Marias bei den Hybernern. Damals hatte das Kloster 50 Bewohner, darunter 37 irische Mönche. Die meisten von ihnen kehrten nach Irland zurück. Im Klostergebäude entstand zunächst ein provisorisches Theater, 1807 wurde es umgebaut und diente dann lange Jahre als Zollstation. Derzeit wird das noch heute als U Hybernu bezeichnete Haus in eine Musical-Bühne umgebaut.Im 19. Jahrhundert wurde das Schicksal der Böhmischen Länder oftmals mit dem Irlands verglichen. Mit Interesse verfolgten die Tschechen den Kampf der Iren gegen die Engländer. 1844 gründeten junge Demokraten in Prag in Anlehnung an die irische Repeal-Bewegung den geheimen "Repeal-Club" - zu deutsch in etwa als Widerruf-Club zu bezeichnen. Dieser setzte sich für eine Gleichberechtigung der Tschechen in der Habsburger Monarchie ein. 1882 erschien in den Böhmischen Ländern das erste Buch von einem Tschechen über Irland, mit dem bezeichnenden Titel "Das unterdrückte Volk". Der wohl bekannteste, aus den Böhmischen Ländern stammende Ire ist "Edvard Taaf" bzw. Eduard Taaffe, der Ende des 19. Jahrhunderts österreichisch-ungarischer Ministerpräsident war. Er entstammte einem irischen Geschlecht, das sich im 18. Jahrhundert in Westböhmen niedergelassen hatte. Auf ihrem Familiensitz im südlich von Pilsen gelegenen Nalzovy liessen sich die heimwehkranken Iren sogar einen romantischen Nachbau ihres ursprünglichen irischen Familiensitzes Ballymot errichten. Seit 1989 werden die alten tschechisch-irischen Beziehungen nun wieder entdeckt. Zu diesem Thema gab es bereits jeweils eine Ausstellung in Dublin und in Prag. Überrascht über das grosse Interesse der Tschechen an allem Irischen ist James O`Connell, erster Sekretär der irischen Botschaft in Prag:
"Ich wusste, dass es da einige historische Verbindungen zwischen Tschechen und Iren gibt, die auf keltische Stämme zurückgehen, aber dass das Interesse der Tschechen an irischer Kultur und Musik so gross ist, hat mich wirklich überrascht. Zuvor war ich in Australien. Da ist etwa ein Drittel irischer Abstammung und das grosse Interesse an irischer Kultur und Musik überrascht also nicht - aber hier! Hier ist keiner irischer Abstammung und das Interesse ist enorm."
Diese Worte sprach der erste Sekretär der irischen Botschaft in Prag anlässlich der feierlichen Vorstellung des Buches von Jan Parez über die Hyberner - die Iren in Prag. Das bisher nur in Tschechisch erschienene Buch enthält übrigens auch eine kurze Zusammenfassung in Irisch. Und damit sind wir am Ende des ersten Geschichtskapitels im neuen Jahr. Auf Wiederhören in zwei Wochen sagt Katrin Bock.