Die böhmischen Könige vor den Habsburgern
Der erste böhmische Herrscher, der den Königstitel erhielt, war im Jahre 1158 Vratislav II. aus dem Geschlecht der Premysliden. Doch da diese Königswürde nur an seine Person gebunden war, vergingen weitere 40 Jahre bis sein Sohn Premysl Otakar I. 1198 die Königswürde verliehen bekam - diesmal die erbliche. Weitere fünf Generationen der Premysliden herrschten in Böhmen - bis 1306. Da wurde Vaclav III., erst 18jährig, nach nur wenigen Monaten Herrschaft ermordet. Und mit ihm starb die männliche Linie der Premysliden aus - jenes Geschlechtes, das bereits im 9. Jahrhundert über einige Landstriche Böhmens geherrscht hatte und aus dessen Reihen die ersten führenden Fürsten in Böhmen hervorgegangen waren. Unter Premysl Otakar II., der im 13. Jahrhundert herrschte, hatte Böhmen seine erste Blütezeit erlebt. In die Geschichte ist dieser Premyslidenherrscher als "goldener und eiserner König" eingegangen. Zu seiner Regierungszeit erstreckte sich das Böhmische Königreich von der Adria bis zur Ostsee, wo Premysl Otakar Königsberg gründen liess. Doch 1306 fand dieses ruhmvolle Geschlecht ein jehes Ende. Eigentlich kein ganz endgültiges, denn der ermordete Vaclav hatte eine Schwester, Elisabeth.
Elisabeth durfte damals als Frau natürlich nicht den böhmischen Thron als Herrscherin übernehmen - das änderte sich erst über 400 Jahre später mit Maria Theresia, die 1740 in Prag zur ersten und letzten Herrscherin Böhmens gekrönt wurde. Elisabeth aber wurde 1310 mit Johann von Luxemburg verehelicht. Als dieser noch im selben Jahr feierlich zum böhmischen König gekrönt wurde, war ein vierjähriger Streit um die böhmische Königskrone beendet. Während diesem hatten sich vor allem Heinrich von Kärnten und Rudolf von Habsburg um die Krone gestritten. Rudolf war also zu Beginn des 14. Jahrhunderts der erste Habsburger auf dem böhmischen Thron, doch wurde er nach einigen Monaten wieder abgesetzt. Der erste Anlauf der Habsburger in Böhmen war also nicht sehr erfolgreich.
Zur Zeit von Johanns Sohn Karl erlebten Prag und die Böhmischen Länder eine weitere Blütezeit. Karl IV. war auf den Namen Vaclav getauft und hatte den Namen Karl als König angenommen. In Böhmen war er der erste Karl bzw. Karel, doch da er sich als Nachfolger Karls des Grossen im Deutschen Reich fühlte und die Reihenfolge der Karls nach diesem einhielt, nahm er den Namen Karl IV. an. Unter seiner Herrschaft entstand in Prag unter anderem die Karlsbrücke, die Prager Universität wurde gegründet und Burg Karlstein erbaut. Karl hatte acht Kinder, darunter drei Söhne, doch der älteste Vaclav, gedieh nicht ganz nach des Vaters Geschmack. Die deutsche Kaiserkrone verlor er im Jahre 1400 wohl wegen Unfähigkeit und auch in den Böhmischen Ländern schien der dem Wein und Weibe zusprechende Herrscher den Überblick und die Macht zu verlieren. Zu Vaclavs Regierungszeit brachen die Hussitischen Kriege aus, die die Böhmischen Länder von 1419-1435 für einen Herrscher unregierbar machten. Vaclav selbst verstarb 1419 kinderlos. Ihn soll der Schlag getroffen haben, als ihn die Nachricht von der beginnenden Revolte im Land mitgeteilt wurde.
Vaclavs jüngerer Halbbruder Sigmund versuchte während der Hussitenkriege vergebens sein Glück. Er schaffte es zwar, sich 1420 in Prag zum König krönen zu lassen, musste dieses aber dann fluchtartig verlassen. Erst nach Beendigung der Glaubenskriege, während der Sigmund als deutscher Kaiser an der Spitze eines Kreuzfahrerheers gegen die Hussiten gezogen war, wurde sein Traum erfüllt : 1436 wurde er erneut zum böhmischen König gekrönt. Doch ein Jahr später verstarb Sigmund bereits ohne einen Sohn hinterlassen zu haben. Damit war auch das Luxemburger Geschlecht nach nur drei Generationen Herrschaft in Böhmen in männlicher Linie ausgestorben. Die Nachfolgefrage war in Prag wieder einmal offen. Erneut sicherte eine Tochter die Thronfolge.
Sigmunds einzige Tochter Elisabeth war mit Albrecht von Habsburg verheiratet und so wählten die böhmischen Stände diesen 1437 zum böhmischen König. Doch nur zwei Jahre später starb Albrecht, wahrscheinlich an der Pest. Sein Sohn Ladislaus Posthumus kam fünf Monate nach seinem Tod zur Welt. Die Tschechen mussten also einige Zeit auf ihren neuen König warten. 1440 wählten die Stände zwar den bayrischen Fürsten Albrecht zu ihrem König, dieser hatte aber kein Interesse in dem hussitischen Land zu regieren und lehnte ab. In der Zwischenzeit regierten sog. Landfrieden, eine Art regionale Versammlungen das Land. Als 13jähriger wurde Ladislav 1453 zum böhmischen König gekrönt. An seiner Stelle regierte jedoch ein Verwalter - der von den böhmischen Ständen eingesetzte Jiri z Podebrad. Als Ladislaus endlich beginnen konnte, die Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen, starb er erst 17jährig 1457 plötzlich auf einer Reise nach Prag. Sofort machten Gerüchte über einen Mord die Runde. Bis heute ist die Todesursache des jungen Königs ungeklärt. Auch dieser zweite Versuch der Habsburger in Böhmen Fuss zu fassen, war also nicht so erfolgreich gewesen.
Diesmal trauten die böhmischen Stände keinem ausländischen Herrschergeschlecht mehr - 1458 wählten sie einen der ihren, den ehemaligen Verwalter Jiri z Podebrad - zu deutsch Georg von Podebrad zu ihrem König. 13 Jahre regierte der sogenannte Hussitenkönig auf dem Prager Thron. Zu kämpfen hatte er, als einziger nicht katholischer Herrscher in Mittel- und Westeuropa gegen den Papst und jede Menge katholische Herrscher. Im Grunde genommen war Jiri ein friedensliebender Mensch. Er entwarf in seinem Friedensprojekt eine Art Vereinte Nationen des 15. Jahrhunderts, die weitere Kriege durch Verhandlungen verhindern sollten. Doch fast seine gesamte Regierungszeit über führte Jiri Kriege. Da er weiteres Blutvergiessen nach seinem Tode vermeiden wollte, bestimmte Jiri z Podebrad, dass nicht einer seiner Söhne sein Nachfolger werde, sondern der polnische Königssohn Wladyslaw aus dem Geschlecht der Jagiellonen - und dieses geschah 1471.
Jiri z Podebrad hatte sich nicht zufällig den Sohn des polnischen Herrschers als seinen Nachfolger ausgesucht. Wladyslaw war nämlich der Sohn von der Tochter von jenem Albrecht, der zwei Jahre lang böhmischer König gewesen war - Kompliziert was? Anders gesagt: Wladislaw war der Enkel Albrechts von Habsburg, und somit war der Jagiellone aus Polen durch seine Mutter und Grossmutter auch mit den Luxemburgern verwandt. Im Grunde genommen gehören also die Premysliden, Luxemburger und Jagiellonnen alle zu einer Familie. Und zu dieser mitteleruopäischen Grossfamilie gehören natürlich auch die Habsburger. Wladislaws Tochter Anna heiratete 1521 Ferdinand von Habsburg.Als Annas einziger Bruder Ludwig 1526 kinderlos verstarb, entschieden sich die Böhmischen Stände, dessen Schwager, Ferdinand von Habsburg, zu ihrem König zu wählen. Zur Wahl standen eine ganze Reihe Kandidaten, unter anderen zwei Enkel von Jiri z Podebrad, die Bayern Wilhelm und Ludwig von Wittelsbach, der polnische König Zikmund I. und der 23jährige Ferdinand von Habsburg. Und so starteten die Habsburger am 23. Oktober 1526 ihren dritten Versuch, Böhmens Thron zu erhalten - und diesmal waren sie in der Tat erfolgreich, denn bis 1918 folgten 15 weitere Könige aus dem Geschlecht der Habsburger und eine Königin - Maria Theresia, die von 1740 bis 1780 das Reich der Habsburger regierte.
Als Ferdinand I. von Habsburg böhmischer König wurde, war Prag schon längst keine Residenzstadt mehr. Damals war es durchaus üblich, Herrscher gleich mehrerer Länder zu sein. So waren die Luxemburger auch Kaiser des Deutschen Reiches, Albrecht und sein jungverstorbener Sohn Ladislaus waren ungarische Könige und regierten in Österreich. Auch der Jagiellone Wladyslaw war König von Böhmen und Ungarn. In Prag residierten diese Könige nur selten. Lange Zeit befand sich der Königliche Hof an der Stelle des heutigen Gemeindehauses neben dem Pulverturm in Prag. Der Jagiellone Wladislaw liess ihn 1483 endgültig auf die Prager Burg verlegen, die er aber nur besuchsweise bewohnte. Auch die Habsburger Könige kamen nur zu Besuchen nach Prag - mit Ausnahme Rudolfs II.. Dieser war 1575 feierlich zum böhmischen König gekrönt worden. Rudolf verlegte seinen Herrschersitz von Wien nach Prag, das zu seiner Regierungszeit ein Mekka für Künstler, Wissenschaftler und Scharlatane wurde. Mit Rudolfs Absetzung endete 1611 die Geschichte Prags als königliche Residenzstadt. Alle anderen Habsburger Könige zogen die Wiener Hofsburg vor.
Auch die Böhmischen Länder verloren ihre Bedeutung und wurden im Laufe der Jahrhunderte eines der vielen Kronländer der Habsburger - die beiden letzten Könige hielten es noch nicht einmal für nötig, sich überhaupt in Prag krönen zu lassen. Die Ära der Habsburger endete mit ihrer Absetzung am 14. November 1918, zwei Wochen zuvor hatte die Tschechoslowakei ihre Unabhängigkeit erklärt. Wäre dies nicht passiert, so hätten die Habsburger am 23. Oktober ihr 475. Thronjubiläum in Prag feiern können.