Temelin, die EU und die Zukunft von CEZ
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßen Sie .. und Rudi Hermann. Ein Thema war lange Jahre praktisch in jedem Sommer aktuell, und anders war es auch heuer nicht. Denn mit dem Juli kam meistens auch das Sommercamp der Umweltschützer vor der Baustelle des südböhmischen Kernkraftwerks Temelin. Doch während in früheren Jahren demonstriert wurde mit dem Ziel, auf Mängel der nuklearen Sicherheit, Probleme des Strombedarfs oder andere eher allgemein gelagerte Probleme hinzuweisen, hatten diesmal die Aktionen der Ökologen einen konkreten Inhalt. Anfang Juli hatte nämlich die staatliche Kernaufsichtsbehörde die grundsätzliche Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Temelin erteilt, und umgehend begann die Energiegesellschaft CEZ, die das Kraftwerk betreiben wird, mit der Beladung des ersten Reaktors mit Brennelementen. Damit drohten den Umweltaktivisten ihre Felle davonzuschwimmen, denn mit der Beladung des Reaktors begannen die konkreten Vorbereitungen zu den ersten Betriebstests. Diese wollen die Umweltschutzgruppierungen jedoch noch so lange wie möglich hinauszögern, denn sobald die erste Kernspaltung stattgefunden hat, gilt das Kraftwerk als betrieben, und eine allfällige Stillegung wäre dann mit deutlich höheren Kosten verbunden. Letzte Hoffnungen auf eine Verhinderung von Temelin setzen die Umweltschützer in das von ihnen geforderte Referendum zur Betriebsaufnahme, doch scheinen die Chancen auf die Abhaltung einer Volksbefragung als wenig real, wenn sich auch Präsident Havel dafür ausgesprochen hat. So viel zur Einführung, mit dem Thema Temelin werden wir uns in den folgenden Minuten aus dem Blickwinkel der Eingliederung Tschechiens in die EU sowie den Anforderungen des tschechischen Strommarkts aueinandersetzen. Wir wünschen dazu guten Empfang.
Hat im Zusammenhang mit Temelin ein Umstand besonderes Aufsehen erregt, dann die Tatsache, dass die Erteilung der Betriebsbewilligung und der Beginn der Reaktorbeladung mit Brennstäben auf die zwei Feiertage Anfang Juli fielen. Damit wurden sowohl die inländischen Gegner des Kernkraftwerks überrumpelt wie auch die wichtigsten ausländischen Kritiker, Österreich und Deutschland. Der deutsche Umweltminister Trittin erklärte, bisher sei die zweite Augusthälfte als Termin für die Reaktorbeladung genannt worden. Eine vom Bundesumweltministerium initiierte und vom bayrischen Umweltamt mitzufinanzierende unabhängige Sicherheitsanalyse sei auf dieses Datum ausgelegt worden. Jetzt aber bleibe keine Zeit mehr dafür. Leider habe Tschehchien die in unzähligen Gesprächen zugesicherte Kooperation nicht in die Tat umgesetzt. Ähnlich klang es aus Wien, woher schon seit Jahren gravierende Vorbehalte gegenüber Temelin geäussert werden. Doch auch der tschechische Präsident Vaclav Havel meinte, die Blitzaktion von CEZ trage Züge einer gewissen Heimlichkeit, was als Hinweis auf ein schlechtes Gewissen interpretiert werden könne.
Österreich versuchte in letzter Minute noch über Brüssel Druck auf Tschechien auszüben. So brachte Bundeskanzler Schüssel die Forderung ins Spiel, Fragen der Kernsicherheit müssten auf europäischer Ebene gelöst werden. Damit drang er bei der EU-Kommission jedoch nicht durch. Der Kommissar für die EU-Erweiterung, Günter Verheugen, stellte sich klar dagegen, den Fall Temelin mit dem tschechischen EU-Beitritt auf politischer Ebene zu verknüpfen. Seitens der EU-Kommission wurde darauf hingewiesen, dass die nukleare Sicherheit in der Kompetenz derjenigen Staaten liege, die nukleare Anlagen betreiben möchten. Die Standards der einzelnen Länder seien jedoch untereinander nicht voll vergleichbar, was auch für EU-Mitglieder wie etwa Frankreich und Deutschland gelte.Zudem sei Temelin nicht auf der Liste der von der EU als gefährlich eingestuften Reaktoren, wie es etwa bei den Anlagen Jaslovske Bohunice in der Slowakei, Kozloduj in Bulgarien oder Ignalina in Litauen der Fall sei. Das offizielle Prag nahm die Position Brüssels mit Befriedigung zur Kenntnis.
Die Sicherheitsbedenken Österreichs und Deutschlands, deren Landesteile Nieder- und Oberösterreich sowie Bayern in relativer Nähe zum Standort Temelin liegen, gründen vor allem darauf, dass es sich bei den Reaktoren von Temelin praktisch um Prototypen handelt, die in dieser Form noch nirgends in der Welt erprobt sind. Denn die ursprünglich geplanten und bestellten Reaktoren der sowjetischen Baureihe WWER 1000 sind in Temelin mit einem volldigitalen Sicherheits- und Steuerungssystem der amerikanischen Firma Westinghouse ausgerüstet, und auch der Kernbrennstoff wird von diesem Unternehmen geliefert. Die Verknüpfung dieser zwei Systeme war beim Bau von Temelin für erhebliche Verzögerungen verantwortlich, doch scheinen die Schwierigkeiten jetzt überwunden. Ist die tschechische Kernaufsichtsbehörde der Ansicht, Temelin sei auf einem vergleichbaren Sicherheitsniveau wie moderne westliche Kernkraftwerke, so ist ein derartiger Vergleich laut Kernfachleuten allerdings nur beschränkt zulässig - einmal deshalb, weil, wie auch die Europäische Kommissin festhielt, es keinen verbindlichen internationalen Sicherheitsstandard gibt, und zweitens, weil es keine direkt vergleichbaren Reaktortyp mit den Reaktoren, die in Temelin eingebaut sind, gibt.
Konzentriert sich die ausländische Kritik vornehmlich auf die Kernsicherheit bei Temelin, so haben sich die inländischen Gegner inzwischen auf ein zweites Thema verlegt, ohne natürlich den Sicherheitsaspekt aus den Augen zu verlieren. Mehr und mehr betonen die hiesigen Umweltschutzgruppierungen jetzt die Frage der Notwendigkeit von Temelin. Diese Frage ist in der Tat berechtigt, denn der Bedarfsnachweis für weitere 2000 Megawatt Leistung steht namentlich zum jetztigen Zeitpunkt auf wackligen Füssen. In den frühen 90er Jahren, als es um den Grundsatzentscheid ging, Temelin fertigzubauen oder nicht, wurden zwei Hauptargumente ins Feld geführt. Temelin sollte erstens das nordböhmische Schwerindustriegebiet mit Braunkohlebergbau im Tagbau und zahlreichen thermischen Kraftwerken, die diese qualitativ minderwertige Kohle verbrennen, entlasten, und zweitens zu einem Zeitpunkt, da sich die tschechische Wirtschaft in einer Wachstumsphase befinden würde, die notwendige Energie bereitstellen, um der Industrie dieses Wachstum auch zu ermöglichen. Beide Argumente sind aus heutiger Sicht nur begrenzt stichhaltig. Geäussert wurden sie nämlich mit der Perspektive, dass Temelin 1995 ans Netz gehen würde. Inzwischen sind die thermischen Kraftwerke in Nordböhmen jedoch unter bedeutenden finanziellen Aufwendungen modernisiert und mit Entschwefelungsanlagen versehen worden, wie es das 1998 in Kraft getretene Luftreinhaltungsgesetz verlangt. Deshalb sieht man der Inbetriebnahme von Temelin in dieser Region nicht mit Erleichterung über die zu erwartende Verbesserung der Luftqualität, sondern mit Besorgnis über eine weiter anwachsende Arbeitslosigkeit entgegen. Die Bergarbeitergewerkschaft rechnet mit dem Verlust von bis zu 10 000 Arbeitsplätzen, sollte die Energiegesellschaft CEZ die Stromproduktion in Nordböhmen nach der Betriebsaufnahme von Temelin drosseln.
Und damit sind wir auch beim zweiten Aspekt. Denn sprachen die Befürworter einer Fertigstellung von Temelin vor ein paar Jahren davon, dass es ohne die Kernanlage mittelfristig zu Versorgungsengpässen kommen könnte, so ist die Situation heute umgekehrt. Auch ohne Temelin exportiert die Tschechische Republik gegenwärtig, so argumentieren die Umweltschützer, rund ein Viertel seiner Stromproduktion. Es liege deshalb kaum im Interesse der Bevölkerung, eine so umstrittene Anlage wie Temelin jetzt in Betrieb zu nehmen. Zudem stehe nirgends geschrieben, dass die Zusatzproduktion im Ausland auch verkauft werden könne, denn der europäische Strommarkt sei weitgehend gesättigt.