Tschechen auf der Titanic

Titanic

In der Tat befanden sich einige Tschechen an Bord der Titanic, als diese vor 90 Jahren in den Fluten des Atlantiks versank, wie Sie im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte von Katrin Bock erfahren können.

Titanic Museum in Böhmen
Vor 90 Jahren, am 15. April 1912, gegen zwei Uhr morgens versank die Titanic im Atlantik und wurde zur Legende, die seitdem Tausende in aller Welt fasziniert. Auch im weit vom Meer entfernten Tschechien gibt es Menschen, die der Faszination dieses Schiffes erlegen sind, wie Petr Polasek aus dem kleinen mittelböhmischen Ort Vysoka Liben. Sollten Sie einmal auf der Hauptstrasse zwischen Melnik und Mlada Boleslav unterwegs sein, wird Ihnen sein Haus sofort auffallen, denn es ist mit für Tschechien äusserst untypischen Motiven bemalt: Meereswellen und Schiffen. Stolz verkündet eine Aufschrift "Titanic-Museum". Nun, das Titanic Museum in Böhmen hat seine besten Zeiten bereits hinter sich, doch so absurd, wie die Meereswellen in Böhmen im ersten Augenblick wirken, ist die Idee eines tschechischen Titanic-Museums doch nicht, denn es sollen auch Tschechen auf dem Luxusdampfer gewesen sein, als dieser vor 90 Jahren in den eisigen Fluten des Atlantiks versank. Zwei von ihnen, Josef Kielbasa und Rudolf Linhart, berichteten 1962, 50 Jahre nach jener schicksalshaften Nacht, im Tschechoslowakischen Rundfunk über ihre Erlebnisse.

"Ein Freund sagte zu mir, dass ein grosses Schiff nach Amerika fahren wird und dass das eine gute Gelegenheit sei, nach Amerika zu kommen. Ich hatte schon genug von der Arbeit in Vitkovice und so fuhren wir."

So beschrieb Josef Kielbasa den Beginn seines Abenteuers. Ohne seinen Eltern etwas zu sagen, lief der damals 16jährige von zu Hause fort und fuhr Southampten, wo die Titanic im Hafen lag. Die meisten Besatzungsmitglieder wurden erst kurz vor dem Auslaufen angeheuert, so war es kein Problem, Arbeit zu finden. Josef Kielbasa wurde Kellner. Der damals 22jährige Rudolf Linhart fand Arbeit als Stewart in der ersten Klasse. Er bediente die vermögenden Reisenden in ihren Kajütten.

"Auf das Schiff bin ich mit Protektion gekommen. Vorher habe ich in London in einem Hotel gearbeitet und dessen Chef kannte den Chef von der White-Star-Line und hat mich als Zimmerkellner empfohlen. Am 5. April 1912 bin ich in Southampten angetreten - 22 Jahre war ich damals."

Beide Tschechen erinnerten sich auch nach 50 Jahren lebhaft an die Geschehnisse jener schicksalhaften Nacht, die seitdem sooft Stoff für Bücher und Filme geliefert hat. Rudolf Linhart schildert die ersten Minuten nach dem Zusammenstoss des Schiffes mit dem Eisberg wie folgt:

"Ich hatte schon Feierabend und lag in unserer Kajüte oben im Bett und hab meinen Kollegen beim Kartenspiel zugeschaut. Plötzlich spürten wir einen kleinen Stoss und fragten uns, was das wohl war, danach war wieder alles ruhig. Aber 5 oder 10 Minuten später kam einer angerannt und rief: we are going down - wir sinken. Da bin ich gleich von meinem Bett gesprungen, hab meinen Pullover und Mütze angezogen und bin aufs Deck gerannt."

Auch Josef Kielbasa spürte in seiner Kajütte einen leichten Stoss:

"Eine Erschütterung, als wir den Eisberg rammten, spürten wir eine leichte Erschütterung. Danach war Ruhe, nichts ist passiert. Ein Matrose kam und hat gesagt, das reparieren wir wieder und fahren weiter. Ein bisschen Angst hatte ich damals schon."

Zunächst nahm man an, der Eisberg habe nur ein kleines Loch in den Rumpf gerissen, in Wirklichkeit hatte er jedoch einen mehrere Dutzende Meter langen Riss hinterlassen. Die Besatzung, einschliesslich Rudolf Linharts, wurde an die Pumpen komandiert:

"Wir Angestellten mussten an die Pumpen, Aber dann haben wir aufgehört, weil wir sahen, dass es nichts hilft. Dann kam auch ein Offizier und sagte uns, wir sollten aufhören."

Titanic
Als nächste Aufgabe wartete auf den böhmischen Zimmerkellner das Wecken seiner Passagiere in der ersten Klasse. Einige weigerten sich zunächst, den Anweisungen Folge zu leisten, da sie schon geschlafen hatten. Auf Deck herrschte Chaos. Keiner wusste so recht, was zu tun und wie ernst die Situation war. Rudolf Linhart wurde beauftragt, Frauen und Kinder in die Rettungsboote zu setzen. Dabei erlebte er hysterische Abschiedsszenen, da die Frauen ihre Männer nicht verlassen wollten. Linhart selbst kam auf das 8. Rettungsboot, das von der Titanic gelassen wurde.

"Ich bin auf das 8. Rettungsboot gekommen, allerdings konnte ich nicht rudern. Wir waren 40-45 Leute, vor allem Frauen und Kinder. Auf jedem Rettungsboot waren 6-8 Besatzungsmitglieder. Wir ruderten vom Schiff weg, und dann sahen wir, wie auf einmal die Lichter ausgingen und die Leute ins Wasser sprangen. Die, die Rettungswesten anhatten, versuchten sich an unserem Boot festzuhalten oder reinzuklettern, aber wir waren voll, wir mussten ihnen auf die Hände schlagen, weil wir Angst hatten, dass unser Boot kentert. Das war wirklich nicht angenehm, wenn Sie jemand mit grossen Augen anschaut ... aber wir mussten das machen."

Josef Kielbasa war noch an Bord der Titanic, als die Heizer die Feuer löschten. Ein Matrose führte den verwirrten Kellner aus Ostmähren zu den Rettungsbooten, in einem von diesen fand sich Kielbasa ein paar Minuten später wieder:

"Es war schon dunkel, nichts habe ich gesehen. Ich erschrak mich, weil ich dachte, da zieht mich einer ins Wasser, aber zum Glück war ich auf einem Boot, das gerade ins Wasser gelassen wurde. Der Offizier befahl schnell vom sinkenden Schiff wegzurudern. Ich hab aber nicht gerudert. Ich sass im Boot und hab vor Angst geweint."

Ein paar Stunden später wurden die Überlebenden von der Carpathia gerettet. Diese brachte sie nach New York, wo sich die Wege der beiden Tschechen trennten: während Josef Kielbasa direkt zurück nach England und von dort nach Mähren fuhr, versuchte Rudolf Linhart zunächst sein Glück in der neuen Welt, kehrte aber bereits 1913 in seine Heimat zurück.

Während über das weitere Schicksal des Kellners Josef Kielbasa nichts weiter bekannt ist, ausser, dass er in das mährische Vitkovice zurückkehrte und seinen Eltern von den Abenteuern auf seinem Weg in die neue Welt erzählte, wissen wir vom Zimmerkellner Josef Linhart, dass er nach dem ersten Weltkrieg eine Kneipe auf dem Land aufmachte, während der deutschen Okkupation von der Gestapo verhaftet wurde und drei Jahre im Gefängnis sass. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er schliesslich Leiter von Hoteleinrichtungen in Nordböhmen.

Immer wieder wird hierzulande nach weiteren Tschechen geforscht, die sich an Bord der Titanic befunden haben könnten. Da 1912 die Tschechoslowakei noch nicht existierte und das Herkunftsland der Tschechen der Vielvölkerstaat der Habsburger Monarchie war, ist es schwieirg, allein anhand der Namen auf den Listen festzustellen, ob jemand aus den Böhmischen Ländern stammte oder nicht. Dennoch scheint es für einige Tschechen ein interessantes Hobby zu sein, Landsleute an Bord der Titanic zu entdecken.

Einer von den Entdeckten ist ein gewisser Viktor Halva. Dieser erzählte gerne Abenteuergeschichten erzählte und gab an, als blinder Passagier auf der Titanic gereist zu sein. So erklärte Halva die Tatsache, dass er auf keiner Namensliste zu finden war. Abenteuerlich klingt auch seine Geschichte: mit einer Schwimmweste sei er in das kalte Wasser gesprungen, zu einem Rettungsschiff geschwommen und von dessen Insassen hineingezogen.

In den 40er Jahren berichtete eine tschechische Zeitung über einen weiterer Tschechen, der an Bord der Titanic gearbeitet haben soll. Karel Stanke soll im Bordorchester gespielt haben. Doch auch sein Name ist auf keiner Liste zu finden. Der Musiker soll ebenfalls den Untergang überlebt haben, aber unter so einem Schock gestanden haben, dass er zwei Jahre später starb.

Makette des Titanics
Den tschechischen Titanicforschern gaben auch zwei damals drei bzw. vier Jahre alte Brüder Hoffnung, die überlebten, deren Vater aber ertrank. Auf einem Zeitungsphoto erkannte ihre Mutter, eine Frau mit dem typisch tschechischen Namen Navratilova, die beiden "Titanic-Waisen". Der Name täuschte allerdings - die Mutter war keine Tschechin, sondern Italienerin, die einen Slowaken geheiratet hatte. Der ältere der beiden Jungs verstarb vor vier Jahren in Frankreich als ältester männlicher Überlebender der Titanic im Alter von 90 Jahren.

Und noch jemand aus Böhmen erlebte jene dramatische Nacht vor 90 Jahren auf dem Atlantik. Alois Jelitek aus dem mährischen Mohelnice arbeitete auf der Carpathia, die als erste die Unglücksstelle erreichte. Für seinen Einsatz bei der Rettung der Überlebenden der Titanic erhielt der Tscheche eine Auszeichnung sowie ein Bild der Titanic. Dieses befindet sich nun im Museum von Mohelnice und erinnert dort ebenso wie die "Titanic-Fassade" in Vysoka Liben hierzulande an den Untergang der Titanic.