Spannungen im tschechisch-österreichischen Verhältnis
Kaum einen von Ihnen, verehrte Hörerinnen und Hörer, wird es überraschen: Hauptgegenstand der Kommentare in den hiesigen Medien war in dieser Woche die Eskalation der Spannungen zwischen Tschechien und Österreich um das Kernkraftwerk Temelin. Wir präsentieren Ihnen in dieser Sendung einen kurzen Querschnitt durch die Meinungsseiten der tschechischen Presse und fragen anschließend die Journalistin Lida Rakusanova, inwieweit ein ähnliches Szenario auch für die tschechisch-deutschen Beziehungen denkbar wäre. Aus dem Prager Studio begrüßen Sie recht herzlich Robert Schuster und Silja Schultheis.
"Er hat den gesamten Konflikt durch einen unerhörten Ausspruch provoziert. Es geht im Moment nicht darum, ob uns Haider sympathisch ist oder nicht. Es geht darum, inwieweit es richtig, anständig und politisch nützlich ist, seine freche Nase auf solche Weise in die Probleme seiner Nachbarn zu stecken." kommentiert die Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" und befürchtet:
"Zemans Initiative kann nicht nur die Spannung zwischen Tschechien und Österreich steigern, sondern auch die Spannung innerhalb der EU und zwischen der EU und den Kandidatenländern. Sie ist ein Zeugnis für den Stand der politischen Kultur in der Tschechischen Republik."
Die Zeitung "Pravo" hält Zemans Initiative umgekehrt für angemessen und kommentiert in ihrer Montagsausgabe :
"Im Falle Haiders sind Zemans Worte nicht nur nicht stark - im Gegenteil: sie passen genau. Die Österreicher mögen sich bereits an Haiders aggressive ausländerfeindliche und nationalistische Rhetorik gewöhnt haben; aber das bedeutet noch nicht, dass sich auch die übrige Welt daran gewöhnen muss. Premier Zeman hat zwar vielleicht nicht den besten Moment für seine Worte gewählt, aber die Worte selbst sind angebracht. So wie er Haiders Partei sieht, sehen sie zu recht auch viele andere."Die Tageszeitung "Hospodarske noviny" hingegen befürchtet, dass Zemans Äußerungen dem Kärntener Landeshauptmann dazu verhelfen könnten, österreichischer Kanzler werden. Das Blatt resümiert:
"Wer Haider als Kanzler will, erhebe nur seine Stimme und bediene sich eines härteren Wortschatzes. In der Vergangenheit sind in Wien und Prag viele Worte über Zusammenarbeit und Nachbarschaft gefallen. In einer Zeit, wo es nichts zu lösen gab. Jetzt tritt der Moment ein, wo es zu beweisen gilt, dass diese Worte nicht umsonst ausgesprochen wurden."
Weit weniger Aufmerksamkeit als den Spannungen zwischen Tschechien und Österreich um das Kernkraftwerk Temelin widmeten die Medien in der zurückliegenden Woche einem Ereignis, durch das genau vor fünf Jahren die tschechisch-deutschen Beziehungen neue Impulse bekommen hatten. Die Rede ist von der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Erklärung, in der beide Seiten sich darauf einigten, die gegenseitigen Beziehungen künftig nicht mehr mit Fragen aus der Vergangenheit zu belasten. Dieser Schritt war damals vor allem deshalb sensationell, weil der Unterzeichnung der Erklärung sehr langwierige Verhandlungen vorausgegangen waren, in denen z.T. um einzelne historische Begriffe gefeilscht wurde.
Sind die Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland mittlerweile bereits soweit Normalität geworden, dass der fünfte Jahrestag der Gemeinsamen Erklärung für die Medien bereits uninteressant geworden ist?
Von der Journalistin Lida Rakusanova, die seit Jahren die Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses aufmerksam beobachtet und kommentiert, wollten wir wissen, ob unter "normalen" Umständen - d.h. ohne die Eskalation um Temelin - diesem Ereignis mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre?
"Das glaube ich nicht so sehr. Denn eigentlich ruht hier diese Diskussion über die deutsch-tschechische Erkärung, über die gemeinsame Vergangenheit und über alles, was damit zusammenhängt und was die deutsch-tschechische Erklärung eigentlich in Gang setzen wollte. Meiner Meinung nach hat man hier zur Kenntnis genommen, dass alle Entschädigungsansprüche der Nazi-Opfer erledigt wurden und dass jetzt keinerlei weitere Entwicklung notwendig sei. Das ist die offizielle Lesart der tschechischen Politik und das spiegelt sich dann natürlich auch in der Presse - auch wenn hier ab und zu doch Diskussionen stattfinden."
Die Zeitung "Lidove noviny" spekuliert in ihrer Mittwochsausgabe darüber, wie sich ein eventueller Wahlsieg Stoibers in den diesjährigen Bundestagswahlen - den der Kommentator durchaus nicht für unwahrscheinlich hält - auf das deutsch-tschechische Verhältnis auswirken könnte. Zitat:
"Der erste bayerische Premier Deutschlands würde sich sicherlich nicht scheuen, auf die Aufhebung der Benes-Dekrete zu drängen, die die tschechischen Politiker für unantastbar erachten. Warum in diesem Zusammenhang nicht den nahenden EU-Beitritt nennen? Stoiber ist nicht Haider, er ist in vielen Punkten weit von ihm entfernt. In Bezug auf die Benes-Dekrete sind sie sich aber hundertprozentig einig. Sollten ihre Parteien regieren, ist es sehr gut möglich, dass auf dem Weg Tschechiens nach Europa unerwartet große Hindernisse auftauchen."
Hält auch Lida Rakusanova ein Wiederaufleben der Diskussion um die Benes-Dekrete auf höchster politischer Ebene für denkbar, falls Edmund Stoiber im Herbst deutscher Bundeskanzler werden sollte?
"Das kann ich mir vorstellen. Denn Sie wissen, dass man sich auch im Europäischen Parlament schon zweimal damit auseinandergesetzt hat. Und das kam durch die Initiative von Abgeordneten der Christdemokraten aus Deutschland und der Konservativen aus Österreich. Und daraus lässt sich schließen, dass dieses Thema natürlich weiterhin lebendig bleibt. Und wenn Stoiber bundesdeutscher Kanzler wird, bekommt es ganz sicher neue Kraft."
Abschließende Frage an Lida Rakusanova: Glaubt sie, dass es im deutsch-tschechischen Verhältnis zu einer ähnlichen Eskalation kommen könnte wie gegenwärtig mit Österreich?
"Das hoffe ich nicht. Auch wir werden hier Wahlen haben, bereits vor den deutschen Wahlen. Und dann werden wir sehen, welche Konstellation sich daraus ergeben wird und wer dann an die Macht kommt. Sollten das z.B. die Kräfte der Viererkoalition sein, halte ich eine sachliche Auseinandersetzung für möglich. Man erwartet nichts anderes, als dass sich die tschechischen Abgeordneten vom Prinzip der ethnischen Säuberung distanzieren. Das haben Parlamente in Ungarn und der Slowakei bereits geschafft. Das müsste eigentlich auch in Prag möglich sein - aber nicht unter der Regierung, die von Milos Zeman geführt wird, der offensichtlich in dieser Hinsicht keinen Schritt getan hat seit dem Zweiten Weltkrieg, muss ich sagen."
Sie hörten einen Kommentar von Lida Rakusanova.