Osteuropa zwischen europäischer Integration und eigener Geschichte/ Eine Podiumsdiskussion mit Günter Verheugen, Andrzej Byrt und David Vaughan im Berliner Zeughaus (07.07.03)
Am Montag fand im Berliner Zeughaus eine Podiumsdiskussion zum Thema EU-Erweiterung statt, begleitend zu der Ausstellung "Idee Europa. Entwürfe zum ewigen Frieden'", die gegenwärtig im Zeughaus zu sehen ist. Unter den Diskutanten war neben EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen und dem polnischen Botschafter in Berlin, Andrzej Byrt, auch der Chefredakteur von Radio Prag, David Vaughen. Und der berichtet jetzt auch, worum es bei der Diskussion eigentlich ging:
David Vaughan: "Es ging eigentlich um die Erweiterung der Europäischen Union, ganz allgemein. Und natürlich in diesem Kontext - mitten in einer Ausstellung über die Geschichte europäischer Utopien - ging es zum großen Teil um die Geschichte und die Identität Europas und darum, wohin Europa eigentlich heute geht. Und es war ziemlich interessant, was z.B. Herr Verheugen gesagt hat, inwiefern sich sein Blick auf Mitteleuropa verändert hat, seit er Kommissar ist, indem er Mittel- und Osteuropa richtig erkannt hat. Und er hat Tschechien, Polen und die anderen neuen EU-Mitglieder sehr gelobt dafür, dass sie Mut hatten auch zu Änderungen, die ziemlich wehgetan haben. Und er hat auch sein eigenes Land eigentlich kritisiert, weil es gerade in Deutschland so eine Angst vor Änderungen gäbe. Er sagte, dass die Deutschen eher vorsichtig seien und diesen Mut nicht hätten. Herr Verheugen und Herr Byrt waren sich einig, dass die Rolle Polens sehr groß sein wird, einfach weil Polen ein sehr großes Land ist. Und dass Polen lernen muss, diese Rolle quasi als Großmacht in Europa zu spielen. Es war witzig: Etwa vor einem Monat hat Günter Verheugen bei einem Besuch in Tschechien eine Art Witz erzählt. Er sagte damals, wenn es einen Nobelpreis für Skepsis gäbe, dass ihn dann bestimmt jedes Jahr ein Tscheche gewinnen würde. Ich habe ihn nach der Diskussion gefragt, was er damit meinte, und er hat geantwortet:"
Günter Verheugen: "Ich hab damit gemeint, dass die Tschechen nichts, was man ihnen sagt, ungeprüft hinnehmen. Dass sie nicht einfach glauben, sondern dass sie nachfragen, dass sie Argumente hervorkramen, die gegen das sprechen, was man ihnen versprochen hat - wahrscheinlich einfach nur, um zu testen, ob derjenige, der ihnen etwas gesagt hat, nicht auch vielleicht noch andere Argumente hat. Ich glaube, das hängt ganz einfach zusammen mit dem tschechischen Nationalcharakter, den ich als vorsichtig und manchmal sogar ein bisschen misstrauisch, wenn auch in liebenswürdiger Form - die Tschechen machen das ja alles immer sehr liebenswürdig - bezeichnen würde. Aber das ist ja auch ganz verständlich. Wenn man sich die Geschichte der Tschechen - fast kann man sagen, seit den Hussitenkriegen - ansieht, seitdem sind die Tschechen eigentlich immer an der Nase herumgeführt worden. Und da kann man ja auch verstehen, dass sie ein bisschen skeptisch geworden sind."