Das Tonarchiv des Tschechischen Rundfunks Teil 1

Archivní rozhlasové pásy

Auf 80 Jahre Geschichte kann der Tschechische Rundfunk in diesem Jahr zurückblicken. Über viele historische Momente berichteten die Redakteure des Prager Senders in diesen Jahrzehnten. Vieles wäre vielleicht vergessen, gäbe es nicht das Archiv des Tschechischen Rundfunks. Schon oft habe ich Material aus diesem für meine Sendungen bestellt, stets hat es mich überrascht, welche Schätze das Archiv birgt. Anlässlich des 80. Geburtstages des Tschechischen Rundfunks wollte ich nun alles über das Archiv erfahren und traf mich mit Frau Jaroslava Novakova, der Leiterin des Tonarchivs.

Die eben gehörte Aufnahme von Ema Destinova, einer der bekanntesten tschechischen Sopranistinnen, stammt aus dem Jahre 1919 und ist nur eine von vielen kostbaren Musikaufnahmen, die im Archiv des tschechischen Rundfunks lagern. Spricht man von der Größe einer Bibliothek so zählt man die Bände und Bücher in dieser, aber wie stellt man die Größe eines Tonarchivs fest? Genau das fragte ich die Leiterin desselben, Frau Jaroslava Novakova:

"Das Archiv des Tschechischen Rundfunks besteht aus einem Ton- und einem Schriftarchiv. Das Tonarchiv wiederum setzt sich aus einigen Fonds zusammen, da wäre der Archivfond mit seinen rund 10.000 Tonbändern, dann die CD-Bibliothek, die Schallplattensammlung. Es ist schwierig zu sagen, wie viel im Archiv lagert, denn auf einem Tonträger, der in der Regel 80 Minuten lang ist, können 10 oder 15 kürzere Dokumente sein oder ein langes, ein Hörspiel oder eine Rede zum Beispiel. Also insgesamt schätze ich, haben wir ca. 6 Millionen Minuten - und dazu kommen ca. 6 km gedrucktes Material, würde man alles nebeneinander stellen."

Sechs Millionen Minuten - wollten Sie dies alles einmal hören so müssten Sie über 11 Jahre lang ununterbrochen zuhören! Und dabei kommen täglich mindestens sechs neue Stunden hinzu, die archiviert werden. Die ältesten Aufnahmen entstanden lange bevor der tschechische Rundfunk das Licht der Welt erblickte. Von 1888 soll das älteste Tondokument stammen, das im Archiv des Rundfunks lagert - es spricht Kaiser Franz Josef I.:

"Ich begleite das Wirken des österreichischen Militärwitwen und -waisenfonds mit meinen herzlichsten Wünschen. Möge seinen edlen Bestrebungen zum Wohle der Hinterbliebenen meiner braven Krieger voller Erfolg beschieden werden."

Die Originalaufnahme befindet sich auf einer Hartwachswalze. Die ältesten Tondokumente wurden von solchen Walzen, Zinkscheiben oder Schellackplatten auf Tonbänder überspielt - inzwischen ist man bereits im Stadium der Digitalisierung.

Am 18. Mai 1923 begann das damalige Radiojournal zu senden. Was im Archiv des Tschechischen Rundfunks fehlt, ist eben diese historische Aufnahme der Geburtsstunde des Prager Rundfunks - nun, 10 Jahre später behob man diesen Mangel und stellte eine sozusagen authentische Aufnahme der ersten Sendungen her.

Beim gedruckten Archivmaterial hingegen befindet sich die Gründungsurkunde des Radiojournals von 1922. Und wer genau wissen will, was der Sender damals alles ausgestrahlt hat, der kann sich die handgeschriebenen Tagebücher der ersten Sendemonate anschauen, in denen alles festgehalten wurde. Auch Photos von den Anfängen des Prager Senders existieren. Überhaupt ist die Photosammlung des Tschechischen Rundfunks sehr umfangreich - jedes Gebäude, in dem der tschechische bzw. tschechoslowakische Rundfunk einmal zu Hause war, wurde auf Photos festgehalten. Auch die Entwicklung der Technik, die Einrichtung der Studios ist photographisch dokumentiert. Das Tonarchiv entstand sozusagen zum 10. Geburtstag der Tschechoslowakei:

"Wir datieren den Beginn der Archivierung auf das Jahr 1928. Anlässlich des 10. Jahrestages der Gründung der Tschechoslowakei hielt Präsident Tomas Masaryk eine Rede vor Kindern sowie eine vor dem Parlament. Beide Reden wurden auf Schallplatten aufgenommen. Die beiden Reden sind nicht die ältesten Tondokumente, aber ungefähr zu dem Zeitpunkt begann man, Tonmaterial zu sammeln."

Doch nicht nur in Tschechisch sprach Präsident Masaryk zu seinen Untertanen, zu den deutschen Bewohnern der Tschechoslowakei sprach er deutsch, wie eine Aufnahme von 1932 zeigt, Tomas Masaryk wandte sich damals an deutsche Kinder:

"Wir werden den Frieden erhalten, wenn in der Gemeinde, im Bezirk, in den Ländern, in den Staaten die Menschen Freundschaft und gegenseitige Achtung erhalten werden. Um den Frieden bemüht sich jeder, der ehrlich und solid in seinem Wirkungskreis arbeitet. Achten wir jeden, der seine Arbeit gewissenhaft und energisch leistet, ob Arbeiter, Bauer, Lehrer und Beamter, wer immer und jeder. Wenn wir alle gewissenhaft arbeiten, werden wir die jetzige schwere Zeit überstehen, in der viele gerne arbeiten würden aber keine Arbeit finden."

Zunächst war es ziemlich willkürlich und zufällig, was den Weg in das Archiv fand. Manche Kuriositäten sind so über Jahrzehnte erhalten geblieben:

Haben Sie die Sprache erkannt? Das war Esperanto. Sendungen in Esperanto wurden in der Zwischenkriegszeit im Brünner Studio aufgenommen. Zu finden sind darunter auch einige musikalische Schätze, wie z.B. die Oper Rusalka von Antonin Dvorak - in Esperanto:

Aber was sind nun die wirklichen Schätze, die man im Archiv des Tschechischen Rundfunks finden kann - dazu die Wächterin über dieses, Frau Novakova:

"Das ist schwierig zu sagen, was nun am wertvollsten ist. Auf den Aufnahmen sind die Stimmen vieler Persönlichkeiten zu hören - von Dichtern, Musikern, Malern, Politikern, es existieren Mitschnitte von Konzerten ausgezeichneter Musiker, Aufnahmen von Hörspielen, interessante Interviews - wie kann man da sagen, was davon am besten ist?"

Apropos Schriftsteller: 1936 war auch die Stimme von Thomas Mann im tschechischen Rundfunk zu hören. Der deutsche Schriftsteller lebte einige Zeit nach der Machtergreifung Hitlers in Prag und trug ab und zu zu dessen Sendungen bei, wie z.B. zu den deutschen Arbeitersendungen. Im Folgenden referiert Thomas Mann über den deutschen Volksbildungsverein Urania:

"Im Schutz und unter der wohlwollensten Förderung der Tschechoslowakischen Republik und ihrer Führer hat dieses deutsche Bildungsinstitut sich mit Klugheit und Loyalität einzufügen gewusst in das Kulturleben eines Staates, in dem noch Demokratie eines edlen echten Sinnes herrscht nach dem Willen und dem Geist seines Schöpfers, des Altpräsidenten Masaryk und seines Nachfolgers Eduard Benes."

Mit ein paar Takten der Esperanto -Rusalka beenden wir das heutige Geschichtskapitel - in zwei Wochen bekommen Sie mehr aus und über das Archiv zu hören.