Kommentare zur geplanten ersten Live Übertragung eines Gerichtsverfahrens und zum wichtigsten tschechischen Staatsfeiertag (28.10.)

Fernsehübertragung (Foto: CTK)

Eigentlich schien die 44. Woche des Jahres 2003 im Vorfeld keine sonderlichen Höhepunkte zu bieten, schließlich war sie wegen des Feiertags am Dienstag, dem 28. Oktober, um einen Tag kürzer und viele Tschechen schienen zudem den Montag davor zu einem verlängerten Wochenende zu nutzen. Doch dann tauchte dennoch ein Thema auf, das auf den Kommentarseiten der tschechischen Zeitungen breiten Raum einnahm, nämlich die Entscheidung eines der drei landesweiten Fernsehkanäle, erstmals in der tschechischen Fernsehgeschichte einen Gerichtsprozess live zu übertragen.

Foto: CTK
An dieser Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens wäre an sich nichts außerordentliches, könnte man meinen, denn schließlich ist das, was man in Westeuropa als "Ereignis-Fernsehen", oder "Reality-TV" bezeichnet, längst nicht mehr nur eine Domäne von kommerziellen Sendern. In diesem konkreten Fall war aber die Entscheidung dennoch interessant, handelte es sich doch um einen Prozess, dem es an Brisanz nicht fehlte: Die Fernsehkameras sollten nämlich einem Zweitinstanz-Verfahren gegen den ehemaligen Generalsekretär des tschechischen Außenministeriums, Karel Srba, beiwohnen. Wie wir in unserem aktuellen Beitragsblock berichteten, kam es dazu letztlich nicht. Gleichwohl war über das Vorhaben des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens, das Berufungsverfahren direkt zu übertragen, bereits im Vorfeld des Prozesses eine hitzige Diskussion entbrannt.

Die Kommentatoren nahmen den Fall zum Anlass für einige grundsätzliche Überlegungen darüber, ob etwa Gerichtsprozesse dazu taugen, zu Medienevents hochstilisiert zu werden. Einige Autoren verwiesen wiederum auf mögliche Parallelen zwischen der ursprünglich geplanten Fernsehübertragung und den kommunistischen Monsterprozessen der 50er Jahre, die seinerzeit ebenfalls in voller Länge vom Rundfunk übertragen wurden.

Eindeutige Unterstützung für die Live-Übertragung äußerte etwa Martin Komarek in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes. Zitat:

"Man kann die Argumente, die gegen eine Übertragung dieses Prozesses sprechen, durchaus nachvollziehen. Dennoch aber üben die Gegner durch ihre starken Worte einen derart großen Druck aus, dass man sich das näher ansehen sollte. So meint etwa Premier Spidla, dass eine Übertragung ähnlich widerlich wäre wie eine Reality-Show. Da irrt er aber, denn eine Reality-Show ist auf einer künstlichen Situation aufgebaut, Srbas Prozess ist aber nicht künstlich, sondern real. Was einem an dem Ganzen auffällt, ist, dass die Kritiker die Intelligenz nicht nur des Richters, sondern auch der Bevölkerung und Zuschauer unterschätzen. Sie vergessen nämlich, dass der Richter Herr der Situation ist und jederzeit die Kameras aus dem Gerichtssaal verweisen kann. Ebenso vergessen sie auch, dass wir als Zuschauer jederzeit umschalten können."

Eine ähnliche Frage wie Martin Komarek stellte sich auch Petr Uhl in der linksliberalen Zeitung Pravo, wenn er überlegt, ob die empörten und weitgehend ablehnenden Meinungen führender tschechischer Spitzenpolitiker zur Übertragung des Srba-Prozesses nicht als verdeckter Versuch zu werten waren, das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter Druck zu setzen und indirekt zu bestimmen, was gesendet werden darf und was nicht.

Karel Srba,  Foto: CTK
"Die Mitglieder der Regierung und alle anderen Politiker, die Exekutivmacht in ihren Händen halten, sollten sich jeglicher öffentlicher Kritik an der Entscheidung des Richters enthalten. Wer sich nicht daran hält, gefährdet die Unabhängigkeit des Gerichts. Nach den Erfahrungen rund um die Fernsehkrise vor drei Jahren sollte die Regierung überhaupt vorsichtig sein, wenn es um Empfehlungen und Ratschläge geht, wie und was das Fernsehen senden soll, denn damit gefährdet sie wiederum die Pressefreiheit."

Kritisch setzte sich mit der Entscheidung des Tschechischen Fernsehens Jaroslav Plesl in der Zeitung Lidove noviny auseinander:

"Die Entscheidung des Tschechischen Fernsehens, das Berufungsverfahren gegen Karel Srba auszustrahlen, war ein großer Fehler. Über den eigentlichen Fall und dessen Zustandekommen wird dabei der Zuschauer fast nichts erfahren können, denn das wurde bereits in der ersten Instanz behandelt. Bleibt also das erklärte Vorhaben der Fernsehleitung, den Zuschauern zu zeigen, wie die tschechische Justiz arbeitet, was wiederum voraussetzen würde, dass das live übertragene Verfahren mit einem sachkundigen Kommentar versehen würde. So etwas war aber nicht geplant und so liegt die Vermutung nahe, dass das Tschechische Fernsehen nicht so sehr Einblick in die tschechische Justizpraxis gewähren möchte als im Rahmen einer Direktübertragung Karel Srba als eine Art Systemfeind vorzuführen. So ein Motiv könnte man eventuell noch bei einem kommerziellen Sender nachvollziehen, nicht jedoch bei einem öffentlich-rechtlichen."

Der Autor verweist im Weiteren darauf, dass die Übertragung vor allem für das Tschechische Fernsehen selber eine große Falle darstellen könnte, denn nach welchen Kriterien würde sich, so fragt Plesl, dann in der Folge die Übertragung von weiteren Prozessen richten:

"Wird beim nächsten Mal der Prozess mit irgendwelchen Serienmördern übertragen werden, die auf widerliche Weise alte Menschen beraubt und ermordet haben? Oder wird es der Prozess gegen jenen Mann werden, der wegen Trunkenheit am Steuer vor einigen Wochen einen Unfall verursachte, bei dem drei Polizisten ums Leben kamen? Ich wage vorauszusagen, dass es kein nächstes Mal mehr geben wird, weil eben völlig offenkundig sein wird, dass solche Übertragungen ganz einfach nichts bringen."

Prikopy Strasse in Prag
Themenwechsel: Wie wir bereits einleitend kurz erwähnten, beging die Tschechische Republik am 28. Oktober ihren Staatsfeiertag anlässlich der Gründung der Tschechoslowakei vor genau 85 Jahren. Obwohl es die Tschechoslowakei seit zehn Jahren nicht mehr gibt, gilt dieser Oktobertag immer noch als wichtigster Staatsfeiertag des Landes, an dem z.B. regelmäßig die höchsten tschechischen Orden verliehen werden. Seit der Auflösung der Tschechoslowakei wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob es überhaupt noch Sinn macht, an die Entstehung eines Staates zu erinnern, der vor zehn Jahren zu existieren aufgehört hat und dessen Präsenz sich nicht nur in den Köpfen der jüngeren Generationen stetig verringert. Ein klares Plädoyer für einen neuen Feiertag hielt etwa Michal Musil in der Tagesezeitung Lidove noviny:

"Es ist ganz offenkundig, dass in den Augen der Tschechen heute die Ereignisse des 28. Oktober 1918 weitaus weniger Emotionen wecken als etwa die Tage, an denen die Kommunisten an die Macht gelangten oder die sowjetischen Panzer den Prager Frühling beendeten. Es ist natürlich völlig unbestritten, dass die Tschechen im Jahr 1918 nach vielen Jahrhunderten wieder ihre Selbstständigkeit erlangten, aber die Grundwerte des Staates, in dem wir heute leben, basieren auf den Ereignissen des 17. November 1989. Dieser Tag ist zwar mittlerweile ebenfalls zum Staatsfeiertag erhoben worden, fristet im Vergleich zum 28. Oktober aber immer noch ein klares Schatten-Dasein."

An diesem Gedankengang von Michal Musil lässt sich fast nahtlos mit einem anderen Kommentar anschließen, der in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny erschienen ist. Dessen Autorin Patricie Polanska vergleicht die wichtigsten tschechischen Staatsfeiertage, also den 28. Oktober, den 17. November und den 1. Januar und kommt dann zu folgenden Schluss:

"Die Debatten über die Traditionen, Werte und auch die künftigen Visionen des tschechischen Staates zeichnen sich durch eine außerordentliche Gleichgültigkeit bei der Bevölkerung aus. Der Ausgleich dafür findet dann in weitaus überschaubareren Debatten statt, wo es dann leicht zu sein scheint, feste Standpunkte einzunehmen, wie etwa beim Verhältnis der Tschechen zu den Sudetendeutschen. Das Problem, dass wir uns nicht für die eine oder andere politische Tradition, verbunden mit dem entsprechenden Feiertag entscheiden können, hängt nicht mit den konkreten historischen Daten zusammen, sondern es ist einzig und allein das Problem der Einstellung jedes Einzelnen. In dieser Hinsicht ist es dann völlig egal, ob der Präsident an einem jener Tage zwanzig oder 200 Orden verleiht."