Die deutschsprachigen Sendungen in der Tschechoslowakei IV.
Thema des letzten Teiles unserer Sendereihe über den deutschsprachigen Rundfunk in der Tschechoslowakei sind die Jahre 1938 und 1939.
Am 1. Mai 1938 begann der deutschsprachige Sender Melnik regelmäßig sein Programm auszustrahlen. Damit hatte sich der Wunsch der Sudetendeutschen nach einem eigenen Rundfunksender erfüllt. Bereits kurz nach der Gründung des tschechoslowakischen Rundfunks im Mai 1923 war zum ersten Mal die Forderung nach einem eigenen deutschsprachigen Programm zu hören gewesen. 1925 begann man zwar, ein deutsches Programm zu senden, doch sprach dieses nicht die Mehrheit der deutschen Minderheit an. Außerdem war es zu kurz. Die rund 20prozentige deutsche Minderheit erhielt nur 7,5 Prozent der Sendezeit. Nach der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich nahm die Propaganda der dortigen Sender für die Sudetendeutschen zu. Nicht zuletzt dank dieser gewann die Sudetendeutsche Partei die Parlamentswahlen 1935 haushoch. Die Prager Regierung hoffte, durch den neuen Sender die deutsche Minderheit besser erreichen und sie in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Aber auch die Sudetendeutsche Partei bemühte sich, Einfluss auf den neuen Sender auszuüben. Forderungen ihrerseits wurden stets mit dem Argument zurückgewiesen, dass in der Tschechoslowakei keine Parteien Rundfunk betreiben dürfen. Die Erkennungsmelodie des deutschen Senders Melnik war im Sommer 1938 nur für einige Monate zu hören.
Eine über 60köpfige deutsche Redaktion hatte ab Mai 1938 ihren Sitz im ehemaligen Nationalhaus im Prager Stadtteil Karlin. Hier befanden sich neben einigen Studios auch zwei große Konzertsäle. Verbreitet wurde das Programm durch den neu gebauten Sender Melnik, der dieses auf Mittel- und Kurzwelle ausstrahlte. Gegen die deutschen Sendungen hetzte die Henlein-Partei. In ihrer Parteizeitung war im Mai 1938 zu lesen:
"Der gestrige Schulfunk des Prager Senders wurde von den Nichtariern A.Schmerzensreich, Adolf Schaumann und Maximilian Wolf moderiert. Auch das geschäftstüchtige Kaffeehausunternehmen Winler-Reichenberg und das jüdische Hotelunternehmen Richmond-Karlsbad tragen mit ihrer Tanzmusik zum Programm bei."
Die Mitglieder der Henlein-Partei übten zudem Druck auf deutsche Künstler aus, nicht im Prager Sender aufzutreten.
Unterdessen ging die Propaganda der Reichssender weiter. Im September 1938 konnten die Bewohner der Sudetengebiete u.a. diese Nachrichten hören:
"Die Deutschenjagd geht trotz aller internationaler Proteste weiter. Am Sonnabend wurden sämtliche Geschäftsstellen der Sudetendeutschen Partei besetzt und von tschechischer Soldateska regelrecht ausgeplündert. Die Papiere wurden zusammengepackt und den Polizeibehörden überliefert, das gesamte persönliche Eigentum ließen die Nachkommen der Hussiten mitgehen."
Zur gleichen Zeit, als die Reichssender mit Meldungen dieser Art die Sudetendeutschen ansprachen, sendete der Prager deutsche Rundfunk eine Reportage über den in Prag stattfindenden internationalen PEN-Kongress im Sommer 1938:
"Meine verehrten Damen und Herren, wir haben gestern von dieser Stelle aus den Prager Waldsteingarten beschrieben, als wir die Aufführung des neuen deutschen Theaters von Mozarts Oper "Gärtnerin aus Liebe" übertrugen. Heute sind wir wieder im Waldsteingarten, der in den Junitage sozusagen im höchsten Kurs steht. Wir sind nämlich bei einer Gartenparty die der Minister für Unterricht und Volkskultur, Dr. Franke, im Waldsteingarten gibt und zwar zu Ehren des Kongresses des Pen-Clubs. Wir sind also, meine Herrschaften, vom Waldsteinplatz durch die herrliche Barockausstellung gegangen und jetzt sind wir im Garten, wo schon eine ganze Anzahl Besucher versammelt hat. Hier steht Minister Franke, der seine Gäste in liebenswürdiger Weise begrüßt. Ich sehe da eine ganze Anzahl von Persönlichkeiten aus tschechischen auch aus der deutschen kulturellen Welt Prags."
Hört man diese Reportage, kann man sich kaum vorstellen, dass sie einige Wochen vor dem Münchner Abkommen entstand, zu einer Zeit, als in der Tschechoslowakei Truppen mobilisiert waren und man mit dem baldigen Ausbruch eines Krieges rechnete.
Der deutschsprachige Sender konnte die Entwicklungen nicht aufhalten. Ende September 1938 wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet, Anfang Oktober die überwiegend von Deutschen besiedelten Grenzgebiete der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich abgetreten. Am 10. Oktober 1938 verkündete Konrad Henlein im nordböhmischen Reichenberg-Liberec den Erfolg seiner Partei:
"So kam die Zeit, da der Führer uns heimrief und heimholte in das große deutsche Vaterland. Am 10. dieses Monats ist das ganze sudetendeutsche Gebiet besetzt. Heil!"
Das Ende des Senders Melnik war gekommen, dazu der Rundfunkhistoriker Dr. Frantisek Hrdlicka, der seit Jahren die Geschichte der deutschsprachigen Sendungen erforscht:
"Nach dem Münchner Abkommen, genau ab 18. Oktober 1938 sendete Melnik tschechisch mit einer deutschen Programmstunde. Den Volksbildungsverein Urania beherrschten nun die SdP-Leute. Bald kam der März 1939 mit der Verkündigung des Protektorats Böhmen und Mähren. Deutsch hörte man überall."
Nach dem Münchner Abkommen war die Souveränität des tschechoslowakischen Staates begrenzt. Berlin untersagte dem Prager Rundfunk die Ausstrahlung eines ganztägigen Programms für die Sudetendeutschen. Dieses hätte immerhin eine Konkurrenz zum offiziellen Reichssender darstellen können. Der Sender Melnik strahlte nun über Kurzwelle die Auslandssendungen aus - auch in Deutsch. Die Prager Rundfunkleitung kam den aus Berlin kommenden Forderungen im Großen und Ganzen nach: erste Opfer waren Nichtarier, denen ein weiteres Wirken im Rundfunk untersagt wurde. Ende 1938 verhandelte die Leitung des Prager Rundfunks mit Vertretern des deutschen Reichsfunks. Über das geplante Abkommen teilte der Leiter des Prager Rundfunks, Dr. Sourek, folgendes mit:"Unabhängig von weiteren Verhandlungen bieten wir Berlin den Austausch von Musikprogrammen an. In den deutschsprachigen Sendungen werden wir ganz und gar loyal vorgehen und keine Nichtarier beschäftigen."
Zu den geplanten Verhandlungen zwischen dem Prager und Berliner Rundfunk über eine zukünftige Zusammenarbeit kam es nicht mehr. Am 15. März 1939 überschritt die Wehrmacht die tschechoslowakische Grenze, am folgenden Tag verkündete Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop die Entstehung des Protektorats Böhmen und Mähren im tschechischen Rundfunk.
Der Sender Melnik wurde im Juni 1939 in Reichssender Böhmen umbenannt und strahlte nun ein rein deutschsprachiges Programm für das Protektorat aus. Der Sender war Bestandteil des deutschen Reichsfunks und unterstand somit direkt Berlin. Im November 1941 wurde auch der tschechische Rundfunk Bestandteil des Reichsfunks und unterstand direkt dem Reichsprotektor.
"Sender Böhmen der Sendergruppe Böhmen und Mähren. Das Stadtgericht Prag hat mit Urteil vom 2. Juni 1942 folgende Personen zum Tode verurteilt: ...."
In den Maitagen des Jahres 1945 spielte der tschechische Rundfunk dann eine große Rolle - aus dem Prager Studiogebäude war der Aufruf zum Aufstand gegen die deutschen Besatzer gesendet worden. Bis in der Tschechoslowakei wieder Deutsch im Äther zu hören war, sollte allerdings noch einige Zeit vergehen. Dazu der Rundfunkhistoriker Dr. Frantisek Hrdlicka:
"Nach dem Kriegsende herrschte eine sehr starke nicht nur antinazi, aber leider auch antideutsche Stimmung. Also erst in den 50er Jahren wurden Sendungen für tschechoslowakische Bürger deutscher Nationalität wieder gesendet"
Und diese sind bis heute zu hören, wenn auch derzeit nur 15 Minuten wöchentlich. Und damit sind wir am Ende unserer Sendereihe über die Sendungen für die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei bis 1939.