Das Habsburger Jahrhundert
"Das Habsburger Jahrhundert" lautet der Titel einer Ausstellung, die derzeit in Prag zu sehen ist. In dieser wird mit einigen Vorurteilen im Verhältnis der Tschechen zu ihren Habsburger Herrschern aufgeräumt. Katrin Bock besuchte die Ausstellung im Prager Clam Gallas-Palast und stellt Ihnen im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte Ihnen gemeinsam mit Martin Lothar einige der Erkenntnisse vor, zu denen die Ausstellungsmacher gekommen sind.
So schrieb der angesehene Dramatiker der tschechischen Nationalbewegung, Josef Kajetan Tyl einen feierlichen Einakter für die Hochzeit Kaiser Franz Josefs mit Sissi, der romantische Nationaldichter Karel Hynek Macha und weitere tschechische Poeten des 19. Jahrhundert verfassten ruhmvolle Gedichte auf ihre Herrscher, der Vater der tschechischen Sprachwissenschaft Josef Dobrovsky kämpfte freiwillig im österreichischen Heer gegen Napoleon und Bedrich Smetana komponierte nicht nur eine Krönungsmesse für den Monarchen sondern auch eine triumphale Symphonie basierend auf Motiven der österreichischen Kaiserhymne, die das Geschichtskapitel musikalisch begleitet.
In wohl keinem böhmischen Haushalt fehlte damals ein Souvenir mit der Abbildung eines Mitglieds der Kaiserfamilie. Seien es nun Gläser, Sammeltassen oder einfache Drucke, die anlässlich von Krönungsjubiläen oder Geburtstagen herausgegeben worden waren. Zu runden Jubiläen hatten die böhmischen Glashütten stets Hochbetrieb und stellten massenweise Gläser und andere Souvenirs her.
In Wien munkelte man Ende des 19. Jahrhunderts sogar bereits, dass die Tschechen treuere Untertanen seien als die Deutschböhmen, die allzu oft über die Grenze ins Deutsche Reich schauten. In der Tat sollen die deutschen Bewohner der Böhmischen Länder nach 1871 eher Bismarck als Franz Josef verehrt haben.
Immer wieder gab es Momente, in denen der österreichische Patriotismus der Tschechen zum Vorschein kam. Dies war z.B. während der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts der Fall, als alle Nationen der Monarchie an einem Strang gegen die Armee Napoleons zogen. In den Böhmischen Ländern meldeten sich Tausende freiwillig zur österreichischen Armee. Für das Wiener Herrscherhaus hatten die Napoleonischen Kriege einen positiven Nebeneffekt: es entstand so etwas wie ein gesamt österreichischer Patriotismus, bei dem auch die Tschechen keine Ausnahme bildeten.
Ein ähnlicher Patriotismus für Österreich und seinen Herrscher entstand während des preußisch-österreichischen Kriegs von 1866. Erneut standen die tschechischen Untertanen treu hinter ihrem Wiener Herrscher. Auch in Nordböhmen, das vom Krieg schwer heimgesucht wurde, unterstützte man die kaiserlichen Truppen. Doch diesmal wurden die Tschechen enttäuscht. Für ihre Treue erhielten sie nicht die seit langem geforderte Königskrönung Franz Josef I. Im Gegenteil, 1867 ließ sich der Monarch zum ungarischen König krönen, aus der Habsburger Monarchie wurde die k.u.k. Monarchie, doch auf eine k.u.k.u.k. Monarchie warteten die Tschechen vergebens.Die Königskrönung war für die Tschechen von besonderer Bedeutung, bestätigte sie doch die Sonderstellung und Selbständigkeit des Böhmischen Königreichs innerhalb der Monarchie. Ließ sich ein Wiener Herrscher zum böhmischen König krönen, so konnte er sich der Beliebtheit bei den Tschechen sicher sein. Dies erlebte 1790 Leopold II., als er sich zum böhmischen König krönen ließ und bei der Feier sogar alle erforderlichen traditionellen Formulierungen in Tschechisch erklingen ließ. Kurz darauf - 1792 - errichtete der Habsburger sogar an der Prager Universität den Lehrstuhl für tschechische Sprache und Literatur - den ersten überhaupt. Damit legte er einen der Grundsteine für die tschechische Wiedergeburt und Nationalbewegung, die das gesamte 19. Jahrhundert an Größe und Stärke zunehmen sollte.
Nach dem frühen Tode Leopolds II. erfolgte 1792 gleich die nächste böhmische Königskrönung. Sein Bruder Franz I. übernahm nun die Regierung. Auch sein Nachfolger, Ferdinand I., ließ sich 1836 zum böhmischen König krönen - diese Königskrönung war die erste und zugleich letzte im 19. Jahrhundert. Seine Nachfolger Franz Josef I. und Karl ließen sich nie zu böhmischen Königen krönen, was ihnen die Tschechen nie verziehen haben, doch dazu später.
Die Revolution von 1848 wird in vielen tschechischen Geschichtsbüchern als Kampf gegen die Monarchie und gegen Österreich dargestellt, doch bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass dies in Böhmen nicht der Fall gewesen ist, im Gegenteil. Verbesserungen der politischen und wirtschaftlichen Situation erwartete man vom König selbst und dies im Rahmen der bestehenden Monarchie. Und so endeten die meisten Manifeste jener revolutionären Zeit mit der Parole "Mit Gott, König und Kaiser!" Der bekannte böhmische Patriot und Historiker Frantisek Palacky erklärte damals sogar:"Gäbe es den österreichischen Staat nicht schon längst, müssten wir uns im Interesse Europas, ja der Humanität so schnell wie möglich bemühen, ihn zu schaffen."
Die Revolution brachte auch einen Wechsel auf dem Kaiserthron. Der in Böhmen beliebte Ferdinand I. dankte zugunsten seines Neffen Franz Josef ab - dieser wurde im mährischen Olomouc-Olmütz zum österreichischen Kaiser ernannt. Die Tschechen warteten nun auf die Königskrönung des neuen Herrschers. Doch sie warteten 68 Jahre vergebens.
1871 schöpften die tschechischen Untertanen Hoffnung. In einer feierlich verkündeten Proklamation erklärte Kaiser Franz Josef, er wolle sich zum böhmischen König krönen lassen. In Prag bereitete man sich eifrig auf das Ereignis vor, die Prager Burg wurde auf Vordermann gebracht, Bedrich Smetana komponierte seine "Libuse" zu Ende, die als Krönungsoper gedacht war, und alles fieberte dem Ereignis entgegen, doch vergebens. Der Kaiser hielt sein Versprechen nicht und die Tschechen waren ziemlich sauer - das beweist das wohl kurioseste Ausstellungsstück: die feierliche Proklamation des Kaisers, säuberlich auf Toilettenpapier gedruckt. Ihrem Franz Josef verziehen die Tschechen diesen Verrat nie so ganz, immer wieder wurde auf die Tatsache hingewiesen: auf Porträts des Kaisers ist im Hintergrund stets die böhmische Königskrone zu sehen, Franz Josef wurde immer als böhmischer König betitelt, bei seinen Reisen nach Böhmen hingen an vielen Orten Bilder der böhmischen Königskrone. Zum 60. Thronjubiläum des Kaisers druckte eine Prager Illustrierte ein Photo des leeren Königsthrons auf der Prager Burg mit der Bemerkung: "Vor 60 Jahren hat der letzte gekrönte König diesen Thron verlassen."Keine Frage, die Tschechen waren im 19. Jahrhundert treue Untertanen, es konnte geschehen was wollte, Kriege oder Revolutionen, stets waren sie ihrem Kaiser treu. An Dingen, die kritisiert wurden, waren in der Regel seine Minister schuld. Erst als die Tschechen mit der Zeit einsahen, dass eine politische Reform im Rahmen der Monarchie unmöglich ist, kündigten sie dem Herrscher ihrer Treue. Im Ersten Weltkrieg begingen tausende von Tschechen und Slowaken Fahnenflucht.
Bis 1918 trugen viele Einrichtungen die Namen der Habsburger, die erste Eisenbahnlinie in den Böhmischen Ländern war die Ferdinandbahn, deren Bau Ferdinand I. angeregt hatte. Sein Salonwagen wurde in Prag hergestellt und von böhmischen Künstlern ausgeschmückt. Der Prager Hauptbahnhof hieß bis 1918 Franz-Josef-Bahnhof, ganz zu schweigen von all den Brücken, Straßen und Plätzen, die die Namen von Habsburger Herrscher zierten.
Heute scheint sich das Verhältnis der Tschechen zu den Habsburgern wieder zu normalisieren, ja man stellt sogar wieder die 1918 gestürzten Denkmäler auf. Beliebt sind Bücher über die Habsburger Herrscher, insbesondere über Sissi oder deren Sohn Rudolf, und immer wieder zu Jahrestagen zwängen sich Tschechen freiwillig in die Uniformen der österreichischen Armee und spielen Schlachten der Napoleonischen Kriege oder des Preußisch-österreichischen Krieges von 1866 nach.