Hörerforum

Das Programm von Radio Prag in dieser Woche steht ganz im Zeichen der Samtenen Revolution von 1989, die sich am Mittwoch zum 15. Mal jährt. Deshalb lädt Sie Thomas Kirschner heute auch zu einer Sonderausgabe des Hörerforums ein, in der Ihre Erinnerungen an die Wendezeit 1989 im Mittelpunkt stehen sollen.

Zwei Wochen sind, für Sie hoffentlich glücklich, vergangen, und ich begrüße Sie, liebe Hörer, zu einer neuen Ausgabe des Hörerforums - diesmal mit Ihren Rückblicken auf das Jahr 1989 und einer deutsch-tschechischen Liebesgeschichte über den Eisernen Vorhang hinweg. Zunächst aber möchte ich mich wieder im Namen der ganzen Redaktion für die zahlreich eingelangte Post und die Empfangsbestätigungen bedanken, die in den vergangenen Tagen so international wie selten waren. Ganz besondere Grüße daher an unsere Hörer Walter Gräf in Frankreich, Joé Leyder in Luxemburg, Peter Ködel in Dänemark, Ingolf Svensson in Schweden, Hannu Kiiski in Finnland und Sammer Ahmed in Jordanien - eine schöne Bestätigung dafür, wie weit die Kurzwellen und das Interesse an unserem Programm reichen.

Vor 15 Jahren, am 17. November 1989, läutete eine Demonstration der Prager Studenten auch in Tschechien das Ende des sozialistischen Regimes ein - ironischerweise eine genehmigte Demonstration, denn der 17. November ist in Tschechien der Studententag, an dem Hochschüler an den Mord am Studenten Jan Opletal und die Schließung der tschechischen Universitäten durch die Nationalsozialisten 1939 erinnern. Die Kundgebung zum 50. Jahrestag dieser Ereignisse schlug freilich schnell in eine machtvolle Demonstration gegen das Regime um, das an diesem Tag zum letzten Mal versuchte, seine Macht mit Härte zu bewahren. In den letzten Sendungen hatte ich gefragt, welche persönlichen Erinnerungen Sie, liebe Hörer, an diese bewegte Zeit haben. Andreas Mücklich aus dem damaligen Ost-Berlin schrieb uns am Jahrestag der Revolution in Deutschland - für ihn weit mehr als nur ein historischer Termin:

"Heute vor 15 Jahren, in der Nacht zum 10. November 1989, fiel die Mauer zwischen Ost- und Westberlin. Wenn ich daran zurückdenke, dann scheint es mir, als ob es gestern gewesen wäre. Dieser Tag war der Abschluss von mehreren Monaten voller Dramatik."

Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1989 hatte ihm eine Freundin erklärt, im Sommer die Flucht über Ungarn versuchen zu wollen, und Andreas Mücklich selbst stellte trotz der Angst vor den Konsequenzen einen Ausreiseantrag. Im Sommer begann der Exodus der DDR-Bürger; zu den ersten Flüchtlingen gehörte auch die Freundin. Es folgten die Botschaftsbesetzungen und, als letzter Stein der Selbsteinmauerung der DDR, die Schließung der Grenzen zur damaligen CSSR.

"Das war für mich eine persönliche Niederlage, da ich wieder einmal nach Prag fahren wollte. Die Tickets, die ich schon gekauft hatte, musste ich zurückgeben. Denn ich musste damit rechnen, dass ich kein Visum bekommen werde, da ich ja einen Ausreiseantrag laufen hatte. Dabei wollte ich überhaupt nicht in die westdeutsche Botschaft, sondern einfach durch Prag bummeln. Doch das hätten mir die DDR-Behörden bestimmt nicht geglaubt. Ich hatte damals das Gefühl, absolut eingesperrt zu sein, da es kein Land mehr gab, in das ich visafrei fahren durfte. Es fehlte nur noch das Dach und das Gefängnis wäre komplett gewesen. Hätte mir jemand gesagt, dass kurze Zeit später die Mauer fällt, dann hätte ich ihn ausgelacht."

Die meisten von uns hätten zu dieser Zeit wohl bitter mitgelacht. Auch wenn viele Hoffnungen des Jahres 1989 später nicht in Erfüllung gegangen sind, würde es uns allen daher nicht schlecht anstehen, uns öfter an die ungläubige Freude der ersten Wendetage zu erinnern.

In die letzten Jahre des Kalten Krieges geht Matthias Herold aus Waldkirch im Breisgau in seinen Erinnerungen zurück. Aufgewachsen ist er in Rehau bei Hof, also im letzten Zipfel Westdeutschlands, im bayrisch-böhmisch-sächsischen Dreiländereck.

"Von hier aus waren es nur ein paar Kilometer zum ´Eisernen Vorhang´. Wenn ich z.B. mit meinen Eltern in die Pilze ging, mussten wir sehr gut aufpassen, um nicht auf tschechoslowakisches Gebiet zu kommen. Leider war am Grenzzaum für uns der Spaziergang zu Ende, und ich fragte meine Eltern sehr oft, warum es hier nicht mehr weitergeht. Für einen kleinen Jungen war das nicht so leicht zu begreifen."

Den unvoreingenommenen Blick dieses kleinen Jungen hat sich Matthias Herold bewahrt. Gegen alle Widerstände hat er sich auch als junger Mann nicht damit abgefunden, dass an der Grenze, die Europa teilte, auch seine Welt enden sollte. 1984 ist er zwanzig Jahre alt.

"In diesem Jahr lernte ich meine erste große Liebe kennen. In meiner Heimatstadt Hof an der Saale absolvierte ich gerade meinen Zivildienst bei der Bahnhofsmission, wo ich mich um Durchreisende kümmerte, meist ältere Menschen aus der DDR. Eines Abends kam ein junges Mädchen mit einem vollgepackten Fahrrad vorbei, an dem ich gleich erkannte, dass es sich um kein deutsches Fabrikat handelte. Das Mädchen machte einen etwas erschöpften Eindruck, sprach jedoch sehr gut deutsch und bat um eine Übernachtung. Ich war sehr überrascht, als sie mir erzählte, dass sie mit dem Fahrrad von Prag aus nach Deutschland fuhr, um ihren Bruder zu besuchen. Natürlich kümmerte ich sofort um die junge Frau, gab ihr zu Essen und zu Trinken und eine Unterkunft im besten Zimmer, das ich im Übernachtungsheim zur Verfügung hatte. So lernte ich, wie das Schicksal es so will, Zdenka kennen und bald darauf auch lieben."

Zdenka und Matthias werden ein Paar, über den Eisernen Vorhang hinweg. Fünf Jahre lang fährt Matthias Herold regelmäßig so oft er kann nach Prag zu Zdenka.

"Bei ihren Eltern und Brüdern wurde ich nach kürzester Zeit als neues Familienmitglied akzeptiert und es wurde mir eine Gastfreundschaft entgegengebracht, welche ich in meinem Leben niemals vergessen werde. Durch Zdenka lernte ich die Tschechoslowakei und die Stadt Prag erst richtig kennen."

Auch vom Westen in den Osten war das Reisen vor zwanzig Jahren alles andere als einfach. Fälle wie der von Matthias Herold waren da nicht vorgesehen.

"Für jede Reise in die damalige CSSR musste ich bei der tschechoslowakischen Botschaft in Bonn ein Visum beantragen, was ein umständliches Unterfangen war. Ich schrieb damals an die Behörden der CSSR, ob es nicht möglich sei, mir ein Dauervisum auszustellen. Das wurde natürlich abgelehnt, genauso wie der Antrag auf die Bewilligung eines dauernden Aufenthaltes. So blieb mir nichts weiter übrig, als alle ein bis zwei Wochen ein neues Visum zu beantragen, was mich jedesmal 33,- DM kostete. Dazu kam noch der Zwangsumtausch von 30,- DM pro Tag. Aber was macht man(n) nicht alles aus Liebe."

Sowohl Matthias als auch Zdenka sind inzwischen verheiratet, mit anderen Partnern. Ihre Liebe hat nicht bis heute gehalten - wohl aber ihre Freundschaft. Und für Matthias Herold ist Prag bis heute eine Heimat des Herzens geblieben.

"Keine Stadt in Europa hat mir so gut gefallen und es vergeht kein Jahr, in dem ich nicht mindestens einmal die Moldaumetropole besuchen komme. (...) Durch meine damalige Freundin lernte ich viele Leute kennen, mit denen ich bis heute sehr gut befreundet bin und die ich regelmäßig besuche. Auch mit Zdenka, welche jetzt bereits verheiratet ist und in Liberec wohnt, haben wir noch Kontakt."

Mit dieser schönen Geschichte einer Liebe über Stacheldraht und Ideologien hinweg endet für heute die Sonderausgabe des Hörerforums zum 15. Jahrestag der Samtenen Revolution. Auch das nächste Hörerforum in zwei Wochen wird etwas aus dem Rahmen des Gewohnten fallen, denn dann erwartet Sie an dieser Stelle ein Gespräch mit den Gewinnern des Radio-Prag-Hörerwettbewerbs, Helmut und Linda Matt. Bis dahin verabschiedet sich von Ihnen, liebe Hörer, Ihr Thomas Kirschner.