Normal?
Im nun folgenden Feuilleton beschäftigt Silja Schultheis das Normalitätsverständnis einiger Tschechen.
"Das normale?", fragt mich die Verkäuferin im Tabakladen, als ich ein Paket Toilettenpapier verlange. "Dieses da in der Auslage", wiederhole ich meine Bestellung und deute in Richtung Schaufenster. "Das gewöhnliche oder das bessere?", insistiert sie und mustert mich dabei forschend. "Das weiße Papier, das Sie dort ausgestellt haben", reagiere ich unwirsch und bekomme, was ich möchte. Ich bezahle und verlasse ärgerlich den Laden.
Normal! Als wenn es normaler wäre, das harte, schmutzig-graue Klopapier - das "gewöhnliche" halt - zu benutzen als weiches weißes.
Ich hasse Haarspaltereien, aber die geschilderte Episode - so banal sie scheinen mag - ist für mich nicht nur ein x-beliebiges Beispiel für unterschiedliches Sprachempfinden. Ich erkenne darin eben jenen Hang zur Gleichmacherei, der einem hierzulande gar nicht so selten begegnet. Hat man als Gast in der Kneipe einen Sonderwunsch, bekommt man mitunter sehr deutlich zu spüren, dass dieses Abweichen von der Norm nicht eben als angenehm empfunden wird. Ein Verhalten, das von dem individualistischen Verständnis vom Kunden als König meilenweit entfernt ist.
Aber um den König geht es nicht. Was mich stört, ist der bequeme Rückzug auf eine konsensfähige, vermeintlich normale Mittelposition, von der aus betrachtet jegliche Abweichung als sonderlich bzw. dekadent bewertet wird.
Vor zwei Jahren zog ich - mitten in der Fernsehkrise, als Zehntausende auf den Prager Straßen für die Medienfreiheit demonstrierten - nach Prag und fragte den ersten Menschen, der mir hier begegnete, neugierig, wie es um das Fernsehen stehe. "Aber ich bitte Sie", winkte der Taxi-Fahrer ab, "den normalen Tschechen interessiert diese Krise doch gar nicht".
Die unhinterfragte, vielfach unbewusste Gleichsetzung von "normal" und "gut" bzw. "richtig" - und vor allem deren Kehrseite - alles, was nicht normal ist, kann per se nicht gut und richtig sein, ist es, die mich stört. Denn so 'normal' diese Gleichsetzung während der "Normalisierung" der 70er Jahre war, so wünschenswert wäre jetzt ihre Hinterfragung.