Politischer Streit um das Handelsrecht
Ein Streit zwischen der zentristischen Viererkoalition auf der einen und den Grossparteien der Bürgerlichen und Sozialdemokraten auf der anderen Seite um das Handelsrecht hat eine politische Dimension angenommen. Ein Abänderungsvorschlag des liberalen Abgeordneten Ivan Pilip zu den Modalitäten des Verkaufs von Staatsbetrieben ist Gegenstand eines Prozeduralstreits zwischen Abgeordnetenkammer und Senat. Nun wird sich sehr wahrscheinlich auch das Verfassungsgericht mit der Angelegenheit befassen müssen. Mehr dazu im folgenden Beitrag von Rudi Hermann.
Sollen Gesellschaften, die im Rahmen von Privatisierungen Mehrheitsanteile an Staatsfirmen erwerben, den Minderheitsaktionären ebenfalls ein Kaufangebot unterbreiten müssen, wie es für die Übernahmen bei nichtstaatlichen Firmen im Handelsrecht vorgesehen ist, oder ist die Privatisierung ein derart ausserordentlicher Akt, dass hier eine Ausnahme vom normalen Prozedere gemacht werden soll? Diese wirtschaftsrechtliche Fragestellung hat in den letzten Tagen Anlass nicht nur zu einer sachbezogenen Auseinandersetzung gegeben, sondern auch das Verhältnis von Abgeordnetenhaus und Senat belastet. Bei der Verabschiedung des Handelsgesetzes ist den Parlamentariern von Sozialdemokraten und Bürgerlichen, also denjenigen beiden Parteien, die de facto die Macht in ihren Händen halten, ein Lapsus unterlaufen. Denn aus Unachtsamkeit trugen sie dazu bei, dass ein Abänderungsantrag aus der Feder des liberalen Oppositionsparlamentariers Ivan Pilip den Weg ins Gesetz fand. Pilip setzte sich dafür ein, dass nicht nur bei der Übernahme einer nichtstaatlichen Firma durch einen neuen Mehrheitsaktionär, sondern auch beim Kauf von staatlichen Mehrheitsanteilen der Käufer auch den Kleinaktionären ein Übernahmeangebot ihrer Aktien zum mit dem bisherigen Mehrheitsinhaber ausgehandelten Preis pro Titel unterbreiten müsse. Der Gedanke dahinter ist der Schutz der Kleinaktionäre. Ein Käufer kann dadurch allerdings in die Lage kommen, dass er mehr Aktien erwerben muss als nur das Paket, das er eigentlich kaufen wollte, und dass ihn die Angelegenheit deshalb etwas teurer zu stehen kommt. Dies wirkt sich wiederum auf das Kaufangebot des Interessenten aus, der seine finanziellen Möglichkeiten abschätzen muss. Auf den Privatisierungsprozess umgesetzt, heisst es, dass der Staat damit letztlich weniger Geld für sein Aktienpaket erwarten kann, weil der Käufer noch Mittel für die Abgeltung verkaufswilliger Kleinaktionäre miteinrechnen muss.
Ist eine Privatisierung nun eine derart ausserordentliche Angelegenheit, dass hier das generelle Handelsrecht nicht gelten und im Gegenteil der Maximalgewinn für die Staatskasse angestrebt werden sollte? Um diese Frage dreht sich der Streit zwischen Liberalen und Bürgerlichen respektive Sozialdemokraten. Im Hintergrund sind natürlich, wie das in der Politik unvermeidlich ist, konkrete Interessen. Die Sozialdemokraten als Regierungspartei möchten so gut wie möglich verkaufen, und weil die Privatisierung von Telekommunikations- und Energiefirmen ansteht, geht es um nicht kleine Beträge. Ausserdem müssen sie die Staatskasse, die nicht im allerbesten Zustand ist, aus der sie vielleicht aber noch Wahlgeschenke verteilen wollen, bestmöglich auffüllen. Die Bürgerlichen als Partei, die die Sozialdemokraten an der Macht halten, spielen dieses Spiel mit; der Opposition hingegen käme eine Verzögerung der Grossprivatisierungen gelegen, weil sie dann bis zu deren Abwicklung selbst an der Macht sein könnte. Ausserdem versprechen sie sich von einem Einsatz für die Kleinaktionäre in ihrem Wählereinzugsgebiet eine positive Wirkung.
Wie es dazu kam, dass die Abgeordneten der Grossparteien aus Unachtsamkeit Pilips Abänderungsantrag zunächst guthiessen, soll hier nicht näher beleuchtet werden. Jedenfalls leiteten die zwei Grossparteien das Gesetz nicht an den Senat weiter, sondern überarbeiteten es nochmals - diesmal in ihrem Sinn. Der Senat will das Gesetz deshalb nicht akzeptieren und das Verfassungsgericht soll jetzt prüfen, welche Version die richtige ist. Bis dahin ist eines sicher: Die Verunsicherung der möglichen Interessenten für die Privatisierungen wird ihren Preis haben.