Sportreport

Ahoi und herzlich willkommen zum Sportreport von Radio Prag. Am Mikrofon begrüßt Sie Lothar Martin.

Als vor genau drei Wochen der 25-jährige Russe Vladimir Kramnik seinen Landsmann und Lehrmeister, den 15 Jahre lang ungeschlagenen Garry Kasparow vom Thron stürzte, da hatte der internationale Schachsport seine Sensation. In dem auf 16 Partien anberaumten WM-Duell in London - von denen nur 15 ausgetragen wurden - gab sich der Zwei-Meter-Riese aus Tuaps am Schwarzen Meer im Gegensatz zu Kasparow keine Blöße und bezwang sein Idol mit 8,5:6,5 Punkten.

Ein neuer König über die 64 Felder ist also geboren. Doch nur wenigen wird bekannt sein, dass zu Beginn, als die Schach-Weltmeisterschaft für Einzelspieler aus der Taufe gehoben wurde, ein Prager das Verschieben der je 16 Figuren auf dem schwarz-weißen Quadrat am besten beherrschte. Genau betrachtet war es ein in der Moldaumetropole lebender Deutscher - ein sogenannter Prager Deutscher, nämlich Wilhelm Steinitz, der sich 1886 als erster Schachspieler mit der WM-Krone schmücken durfte. Steinitz dominierte danach noch acht Jahre das populäre Brettspiel, ehe auch er - 1894 - seinen Meister fand. Dies und noch vieles Interessantes mehr erfahren Sie auf der Ausstellung "Das schwarz-weiße Königreich - Tausend Jahre Schach in Böhmen", die vor kurzem im tschechischen Museum für Körpererziehung und Sport im Prager Tyrs-Haus eröffnet wurde. Und darüber wollen wir Ihnen in den nächsten Minuten einen Einblick vermitteln.


"1000 Jahre Schach sind auch ein Beispiel für einen Bestandteil der jahrhundertealten Kultur unseres Volkes. Das Schachspiel steht also nicht etwa nur für die Domäne von Einzelnen oder kleineren Gruppen, sondern es ist ein Bestandteil unserer Kultur, und das ist wesentlich."

Mit diesen Worten wusste der Vorsitzende der Böhmisch-Mährischen Schachföderation, Dr. Vlastimil Sejkora, die Jahrhunderte währende Tradition des beliebten Brettspiels in den Ländern der böhmischen Krone und den Nachfolgestaaten zu würdigen. Und Sejkora weiß, wovon er spricht. Denn die Anfänge des Schachspiels in den böhmischen Ländern gehen auf das Jahr 1015 zurück, was durch ein zeitgenössisches Schachbrett aus Klatovy belegt wird. Danach erfreute es sich hierzulande einer ständig wachsenden Beliebtheit unter Jung und Alt, Arm und Reich. Im 15./16. Jahrhundert war zum Beispiel der litauische Fürst und spätere böhmische König Wladislaw Jagiello in das Spiel vernarrt. Aber auch geistige Größen ihrer Zeit wie Petr Chelcický, Jan Hus und Jan Amos Komenský frönten dem Duell der weißen und der schwarzen Steine. Im 19. Jahrhundert hielt das Schachspiel Einzug in den Prager Kaffeestuben, worum sich besonders die nationale Elite um Frantisek Palacký, Ladislav Celakovský und Josef Kajetán Tyl verdient machte.

Soweit zur Historie. Als amtierender Präsident des hiesigen Schachverbandes ist Sejkora jedoch ebenso stolz darauf, dass der tschechische Schachsport gerade im zu Ende gehenden Jahrhundert auch über viele Erfolge seiner Besten auf der internationalen Spitzenebene verweisen kann. "Also, ganz bestimmt sind wir stolz darauf, dass der erste Weltmeister, Wilhelm Steinitz, aus Prag stammt, auch wenn er ein Deutscher war. Aber die erste Weltmeisterin bei den Frauen, Vera Mencíková-Stevensonová, war eine Tschechin. Weitere Schachgrößen unseres Landes waren die Internationalen Meister Karel Hromádka, Michal Janata und Karel Opocenský, die leider bereits verstorben sind. Zu einer weiteren großartigen Generation gehören die Internationalen Großmeister Ludek Pachman, Vlastimil Hort und Jan Smejkal. Pachman, der seit 1972 in Deutschland lebt, ist zudem BRD-Meister des Jahres 1978. Hort landete 1976 seinen größten Erfolg, als er beim Zonenturnier zur Schach-WM den 2. Platz belegte und somit in den Wettbewerb zur Ermittlung des WM-Herausforderers eingreifen durfte. Unser gegenwärtig größtes Talent wiederum ist der erst 15-jährige David Navara," äußerte Sejkora.

Zu den weiteren Erfolgen tschechischer Schachspieler, auch und insbesondere in der Mannschaftskategorie, sagte Sejkora: "Der Erfolge gibt es viele, zweimal belegten wir bei der Schach-Olympiade, der inoffiziellen Mannschafts-WM, den zweiten Platz, und zwar bei der Olympiade hier in Prag in den 30er Jahren und danach noch einmal 1980 im schweizerischen Lugano. Also Erfolge gab es wirklich genügend und darauf sind wir stolz."

Wichtiger als die internationalen Erfolge im Spitzenschach seien ihm - so Dr. Sejkora - jedoch die große Popularität und Breitenwirkung der Sportart Schach im Lande. Von uns danach befragt, wieviele eingetragene Schachvereine und Spieler es hierzulande gibt, antwortete er: "Ich denke, es ist nicht von Bedeutung, wieviele eingetragene Vereine und Schachspieler wir im Lande haben, wesentlicher ist für mich die Tatsache, dass Schach unter allen in Tschechien betriebenen 92 Sportarten von der Zahl der Beteiligten her den 15. Platz einnimmt."

Aus dieser Sicht heraus wollten wir natürlich auch erfahren, welche großen Schachturniere regelmäßig in Tschechien veranstaltet werden. Dazu noch einmal Dr. Sejkora: "Also die größte Aktion in der Tschechischen Republik ist das alljährlich stattfindende Schachturnier Czech Open in Pardubice. Dies ist ein Schachfestival, zu dem sich stets mehr als 1500 Schachspieler einfinden, womit es zu den größten Schachfestivals dieser Art in der Welt gehört."

Bei all diesen bemerkenswerten Zahlen war der Chef der hiesigen Schachföderation aus gutem Grund auch sehr erfreut darüber, dass die Verantwortlichen des Prager Nationalmuseums die bereits erwähnte Ausstellung im Tyrs-Museum auf der Prager Kleinseite durchführen. Zu den wertvollsten unter den insgesamt 70 dreidimensionalen Exponaten befragt, sagte uns die Kuratorin der Ausstellung, Jitka Beránková: "Ich denke, das wirklich interessanteste Exponat - jedenfalls meiner Meinung nach -, das sind die aus Brotlaib gefertigten Schachfiguren. Diese Figuren wurden unserem Museum zu Beginn der 60er Jahre durch die Ehefrau des ehemaligen tschechoslowakischen Präsidenten Antonín Zápotocký gestiftet. Sie soll Zapotocký angeblich selbst im Konzentrationslager geschaffen haben. Zu den wertvollsten Exponaten der Ausstellung gehören ein Schachspiel aus Halbedelsteinen und ein Schachspiel aus dem Nachbestand von Karel Hromádka, bei dem die weißen Figuren das russische und die schwarzen Figuren das türkische Heer darstellen sollen."

Die Ausstellung ist noch bis Ende Januar 2001 zu sehen, und zwar jeweils donnerstags, samstags und sonntags.

Und mit diesem Hinweis sind wir auch schon wieder am Ende unserer heutigen Sendung angelangt. Falls Ihnen die eine oder andere Information dienlich war, dann schreiben Sie uns doch einmal an folgende Anschrift:

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