Superwahljahr in Tschechien

Es drang aus berufenem Munde zu den Ohren der Millionen Tschechen, die am Neujahrstag um 13:00 den Fernseher eingeschaltet hatten. Der Staatspräsident höchstpersönlich, Vaclav Havel, hatte es gesagt, das Jahr 2002 sei ein Jahr des Umbruchs. Der Grund dafür: Die tschechischen Bürger stehen vor einem Superwahljahr in dem sie, laut den Worten des Präsidenten, nicht nur über eine neue Regierung, neue Senatoren und Kommunalvertreter zu befinden haben, sondern auch über den künftigen Charakter ihrer Republik. Was also dran ist an diesem so titulierten Superwahljahr, dass erfahren Sie in diesem Schauplatz von und mit Olaf Barth.

Um Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, einen kleinen Überblick zu verleihen, was dem tschechischen Wähler in diesem Jahr bevorsteht, erst einmal eine kleine Chronologie der zu erwartenden Urnengänge:

Im Mai oder im Juni - der genaue Termin steht noch nicht fest - wird man hierzulande über die neue Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und somit auch der neuen Regierung entscheiden. Nur eines scheint dabei bisher sicher, Milos Zeman wird wohl nicht mehr Premier werden, denn er hat bereits mehrmals seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.

Im Herbst dann sollen die Wähler ihre Kommunalvertretungen delegieren und in einem Drittel der Wahlkreise finden zwei Runden Senatswahlen statt. Die Bürger einiger Prager Bezirke haben des weiteren die Aufgabe, ihre Regionalvertreter zu wählen - wohl dem, der da noch den Überblick behält.

Der tschechische Präsident Vaclav Havel fühlte sich wohl auch deshalb genötigt, in seiner Neujahrsansprache auf die Herausforderungen hinzuweisen, die auf die Bürger 2002 warten. Nicht nur dies, er ermahnte sie auch, sich gut zu überlegen, wo sie ihr Kreuzchen machen. Auf dass nicht fortwährend die selbe Bruderschaft die politische, ökonomische und mediale Macht in ihren Händen halte.

Der Herr Präsident habe zwar niemand namentlich genannt, aber es sei wohl unstrittig, dass seine Kritik auf die Interessengemeinschaft rund um den Oppositionsvertrag zwischen den regierenden Sozialdemokraten und der von Vaclav Klaus geführten oppositionellen ODS abziele, urteilte der Politologe Bohumil Dolezal stellvertretend für viele andere.

Wie sieht der Politologe Robert Schuster vom Institut für internationale Beziehungen diese Formulierung Havels?

"Was diese pointierte Aussage über die Bruderschaft, die die Tschechische Republik kontrolliert angeht, so muss man sagen, dass dies in gewisser Weise gerechtfertigt ist. Denn tatsächlich ist es so, dass die Sozialdemokraten und die ODS nach den letzten Wahlen versucht haben, quasi das politische System des Landes zu verändern. Sie haben versucht, per Verfassungsänderung die Kompetenzen des Präsidenten einzuschränken, des weiteren, ein neues Wahlgesetzt durchzudrücken, das die Chancen der kleineren Parteien, also ihrer Konkurrenten, reduziert hätte. Das ist ihnen nicht gelungen. Ich schätze, dass Havel aus den Versuchen dieser beiden Parteien geschlossen hat, dass sie nicht nur auf der politischen Ebene versucht haben ihre Macht in geltendes Recht umzusetzen, sondern auch in wirtschaftlicher Sicht. Sprich, dass sich die beiden Parteien auch die Aufsichtsratsposten von staatsnahen Unternehmen untereinander aufteilen usw."

Und hält Robert Schuster Schuster eine Fortsetzung der Kooperation CSSD-ODS auch über die nächsten Wahlen hinaus für denkbar?

"Ich schätze, dass beide Parteien, sowohl die ODS als auch die Sozialdemokraten, in den letzten 3-4 Jahren Geschmack an diesem Oppositionsbündnis gefunden haben. Die ODS hat, obwohl sie nicht formal an der Regierung beteiligt war, die Möglichkeit bekommen, auf die Regierungspolitik unmittelbar Einfluss zu nehmen ...Und ich denke, dass die ODS für den Fall, dass sie nun nach den Wahlen die Nase vorn haben wird, hofft und erwartet, dass die Sozialdemokraten noch einmal, aber in umgekehrter Richtung zustimmen - also nun eine Minderheitsregierung der ODS tolerieren werden. Und ich denke, dass die ODS oder zumindest Vaclav Klaus meinen, dass dieser Weg wesentlich bequemer ist als sich in einer Koalition mit drei oder vier Partnern immer wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen zu müssen."

Nicht nur der Ausgang der Wahlen wird, wie der Politologe Schuster es schon andeutete, also bis zum letzten Moment offen sein, sondern auch die Frage möglicher Koalitionen zur Regierungsbildung. Zwischen den drei großen Gruppierungen - also CSSD, ODS und der bürgerlichen Viererkoalition - sind eigentlich alle Kombinationen denkbar. Inklusive der genannten Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Drängt sich da nicht alles programmatisch zu sehr in der Mitte, gibt es da noch wesentliche Unterschiede, haben die Parteien überhaupt noch Konturen?

Robert Schuster erklärt, dass die Parteien hierzulande traditionell zur Mitte drängten. Das sei schon zu Zeiten der 1. Republik so gewesen. Die Wähler wollten keine zwei getrennten Parteiblöcke, etwa nach angelsächsischem Vorbild. Nach den Wahlen sollten vielmehr alle Parteien für das Gemeinwohl zusammenarbeiten. Selbst Vaclav Klaus, der häufig polarisiere, sei trotz allem ein Konsenspolitiker, der im Falle eines Falles stets bemüht sei, alle in ein Boot zu holen, meint Schuster und führt aus:

"In den letzten Wahlkämpfen war es sehr oft so, dass die Parteien auch sehr ideologisch agiert haben. Von den Sozialdemokraten waren klassenkämpferische Töne zu hören...Die Parteien werden von den Wählern eben über diese Spitzenpolitiker wahrgenommen. Aber was die gesamte Programmatik angeht, da denke ich ist es nicht der Fall. Die Bereitschaft der Wähler hierzulande, die Programme zu lesen und demnach zu wählen ist eher gering. Es ist also nicht so, dass es rein programmatische Konturen gebe oder dass von Seiten der Politiker versucht würde, die Konturen aufzuzeigen."

Der gern polarisierende Klaus ist ja auch als EU-Kritiker bekannt. Wollen wir also mal spekulieren! Was würde denn seine Rückkehr in das Premierministeramt für die EU-Integration der Tschechischen Republik bedeuten? Vier Wahlen werden dieses Jahr also stattfinden, besteht da nicht die Gefahr einer Wahlmüdigkeit und dass die ohnehin nicht allzu hohe Wahlbeteiligung weiter schwindet? Dazu Robert Schuster:

"Das kommt ganz darauf an. Ich denke, die Wahlen zum Abgeordnetenhaus werden ja im Frühjahr stattfinden und dann im Herbst werden wahrscheinlich an einem Tag Senats-, Kommunal- und in Prag noch die Regionalwahlen abgehalten. Schon durch diese Koppelung mit den Kommunalwahlen, die ja allgemein als die wichtigsten Wahlen verstanden werden, weil dort die Bürger über jene abstimmen können, die sie persönlich kennen, also durch diese Koppelung versucht man die Wahlbeteiligung bei den Senatswahlen in die Höhe zu treiben. Aber auch eine Wahlbeteiligung von 30% ist zwar nicht eine große, aber sie ist legitim und man muss das dann halt so nehmen, wie es kommen wird."

Die Viererkoalition macht sich dafür stark, den Staatspräsidenten demnächst direkt wählen zu lassen. Dann müssten die Tschechen im Frühjahr 2003 zu Präsidentenwahlen ran. Doch Robert Schuster kann alle Wahlmüden beruhigen:

"Ich halte diese Möglichkeit eher für unwahrscheinlich, denn dazu müsste es eine Verfassungsänderung geben und dazu bedürfte es entsprechender Mehrheiten in beiden Parlamentskammern und die gibt es einfach nicht. Vor allem im Abgeordnetenhaus halte ich es für fast ausgeschlossen, dass es eine Verfassungsänderung für eine Direktwahl geben könnte. Deswegen meine ich, dass es sich hier eher um Wunschdenken handelt."

Auch so haben die Tschechen einige Aufgaben zu bewältigen. Wie meinte Präsident Havel doch in seiner Neujahrsansprache: Erst jetzt, 12 Jahre nach dem Fall des Kommunismus, werde man über den zukünftigen Charakter des Staates entscheiden. Mit diesen Worten möchte ich mich für heute von Ihnen verabschieden. Am Mikrophon war Olaf Barth.

Autor: Olaf Barth
abspielen