Tschechiens Sozialdemokraten im Präsidentendilemma
Als letzte Partei hat in der vergangene Woche die tschechische Sozialdemokratie (CSSD) ihren offiziellen Bewerber für die Nachfolge Vaclav Havels als Präsident nominiert. Mehr über das lange Suchen der Sozialdemokraten nach einem geeigneten Kandidaten erfahren Sie nun im folgenden Schauplatz von Silja Schultheis und Robert Schuster.
Je näher der 15. Januar 2003 rückt, also jener Tag, an dem die Abgeordneten und Senatoren einen neuen Staatspräsidenten wählen werden, desto größer wird die Anspannung in den Zentralen von Tschechiens Parteien, die nun versuchen, die beste Ausgangslage für ihre eigenen Bewerber zu schaffen. Obwohl die Namen von Kandidaten wie Vaclav Klaus (er tritt für die oppositionellen Rechtsliberalen an) oder Petr Pithart von den Christdemokraten schon länger im Gespräch waren, richtete sich das Hauptaugenmerk von Beginn an auf die Kandidatenkür der größten tschechischen Regierungspartei, der Sozialdemokraten von Ministerpräsident Vladimír Spidla. Dort bewarben sich seit Ende September fünf Kandidaten, unter ihnen Ex-Regierungschef Milos Zeman, um die offizielle Nominierung. Die Führung der CSSD entschied sich dafür, nicht nur die knapp 15 000 Mitglieder einzubeziehen, sondern auch allen anderen interessierten Bürgern die Teilnahme an der Befragung zu ermöglichen.
In der vorvergangenen Woche lief die diesbezügliche Frist ab und man begann mit der Stimmenauszählung. Insgesamt nahmen dabei etwa 27 000 Bürger an der Abstimmung teil, was aber deutlich unter den ursprünglichen Erwartungen der Sozialdemokraten blieb. Warum hat es eigentlich nicht den erhofften Zulauf gegeben? Das fragte Radio Prag den Journalisten Alexander Mitrofanov von der Tageszeitung Právo, der wie wohl kein anderer das Innenleben der tschechischen Sozialdemokraten verfolgt und kennt:
"Ich glaube, dass es hier zwei Gründe gibt, über die man in diesem Zusammenhang sprechen sollte. Als erstes würde ich sagen, dass viele potentielle Interessenten gewisse Befürchtungen hatten, die - wie ich meine - nicht ganz unbegründet waren, wie verbindlich ihr Votum für die Parteiführung sein wird, denn da wurde von Seiten der Parteiführung bewusst eine gewisse Hintertür offen gelassen, um das Abstimmungsergebnis als völlig unverbindlich zu deklarieren. Zum anderen wurde versäumt, Vorkehrungen zu treffen, um z.B. mehrfaches Abstimmen für den einen oder anderen Bewerber zu verhindern, wobei Kollegen aus einigen anderen Zeitungen nachgewiesen haben, dass es tatsächlich zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Diese beiden Gründe zusammen waren, denke ich, ausschlaggebend dafür, dass die Beteiligung so gering war."Kann aber die geringe Beteiligung an der Kandidaten-Vorauswahl der Sozialdemokraten nicht als ein Widerspruch zum Wunsch vieler Tschechen gesehen werden, die sich verschiedenen Umfragen zufolge bereits seit langem wünschen, den Präsidenten künftig direkt zu wählen - ähnlich wie in der Slowakei, Österreich oder Polen. Alexander Mitrofanov widerspricht aber dieser Sichtweise und hat dafür folgende Erklärung parat:
"Das Stigma der Parteilichkeit war sehr stark und schwebte von Beginn an über dieser Abstimmung. In der tschechischen Gesellschaft gibt es jedoch traditionell einen sehr starken Widerstand gegen alles, was nur den Geruch einer reinen Parteiaktion hat. Könnte aber der Präsident direkt vom Volk gewählt werden, wäre das eine Wahl im Interesse des ganzen Volkes, unabhängig von dem Willen der einen oder anderen Partei. Zudem wäre, denke ich, - gerade beim erstenmal - die Wahlbeteiligung bedeutend höher."
Für weit mehr Aufsehen als die geringe Beteiligung an der Mitgliederbefragung sorgte aber die Platzierung einzelnen Bewerber. Die meisten Stimmen - etwas mehr als 12 000 - erhielt nämlich Ex-Premier Milos Zeman, also jener Kandidat, den sich die offizielle Parteiführung unter Premier Vladimir Spidla und Innenminister Stanislav Gross am wenigsten gewünscht hat. Beide Politiker fürchten, dass Zeman, der in der Vergangenheit in der politischen Auseinandersetzung oft polarisiert hatte, nicht mit der Unterstützung durch die anderen Parteien rechnen kann und der CSSD somit eine empfindliche Niederlage drohen würde.
Alexander Mitrofanov von der Právo meint in diesem Zusammenhang gegenüber Radio Prag, dass Zeman selber den Druck noch zusätzlich erhöht hat, in dem er bisher immer wieder betonte, er werde nur dann als Kandidat antreten, wenn es nach den von der Verfassung vorgesehen drei Wahlgängen immer noch keinen neuen Präsidenten geben sollte und die Parteien somit aufgerufen wären, neue Namen zu präsentieren. Laut Mitrofanov ist das durchaus als eine verdeckte Herausforderung für Spidla zu verstehen, bereits im Vorfeld der Wahl die Gespräche mit den übrigen Parteien so anzulegen, dass bereits nach dem ersten Durchgang alles klar ist. Von den beiden sozialdemokratischen Spitzenfunktionären Spidla und Gross sei, wie Mitrofanov meint, vor allem das weitere politische Schicksal des Erstgenannten geradezu davon abhängig, einen Präsidenten Milos Zeman zu verhindern:
"Ich habe stark das Gefühl, dass nicht Gross, sondern eher Spidla mit diesem Erfolg gleich im ersten Anlauf auch seine weitere politische Zukunft verbindet. Innenminister Gross hat nämlich schon durchblicken lassen, dass er unter einem Präsidenten Zeman weiter arbeiten könnte, bei Spidla jedoch ist das aus verschieden Gründen sehr problematisch."
Das gute Abschneiden Zemans führte in den vergangenen Tagen zu verschieden Analysen und Kommentaren, wobei einige darin eine indirekte Aufforderung an Premier Spidla zu sehen glaubten, einen anderen Kurs einzuschlagen und vor allem gegenüber den kleineren Koalitionspartnern der CSSD stärker aufzutreten. Was hält Alexander Mitrofanov von dieser These?
"Ich kann nicht ausschliessen, dass es unter den Anhängern Milos Zemans einzelne gibt, die gegen eine weitere Zusammenarbeit der jetzigen Koalitionsparteien sind, sie sind aber in der Minderheit. Das, was sich jetzt im Vorfeld der Präsidentenwahl abspielt, ist der Ausdruck einer gewissen Nostalgie und Sehnsucht nach der Rückkehr der alten Zeiten, als unter der Führung Zemans alles klarer war, vor allem, wer innerhalb der Partei zu welcher Gruppe, zu welchem Clan gehört. Zeman hat zudem auch persönlich darauf geachtet, dass eine solche Mitgliedschaft von ihm belohnt wurde. Das fehlt heute vielen in der Partei, denn Spidla ist in dieser Hinsicht nicht nur ein ganz anderer Vorsitzender, sondern fast das genaue Gegenteil Zemans. Vielen vermissen an Spidla die Emotionalität Zemans und auch das Gefühl, dass sie vor dem feindlich eingestellten Rest der Welt durch einen starken Führer geschützt sind."
Vielen tschechischen Sozialdemokraten ist also Spidla zu farblos und sie sehnen sich nach der alten Führer-Figur Zeman zurück, der stets eine klare - wenn auch nicht immer richtige Richtung vorgab. Dass es dem jetzigen Parteichef Spidla eben an diesen Fähigkeiten mangelt, zeigte sich laut Mitrofanov gerade in den letzten Wochen, als die Partei lange nicht wusste, welchen Standpunkt die Führung gerade in der wichtigen Präsidentenfrage eigentlich vertrete. Das habe sich, so Mitrofanov, zwar auch in den vergangenen Tagen nicht geändert, aber dennoch komme jetzt Spidla beim gemeinem Parteivolk besser weg, weil er jetzt scheinbar Zemans Rhetorik und die nicht immer gewählte Sprechweise übernommen hat, um die aufmüpfige Basis zu besänftigen und zu disziplinieren.
Die Frage nach dem künftigen Präsidenten hat also die tschechischen Sozialdemokraten offenkundig entzweit. Wäre es also nicht besser gewesen, diesem bereits vorher absehbaren Konflikt aus dem Weg zu gehen und z.B. innerhalb der Regierungskoalition einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen? Abschließend kommt noch einmal Alex Mitrofanov von der Pravo zu Wort.
"Ich denke, dass das gegenwärtig nicht dem Sachverhalt entspricht. Erstens gibt es einfach keinen Kandidaten, der als Bewerber aller drei Regierungsparteien ins Rennen gehen könnte. Zudem müsste so jemand auch bei den übrigen Parteien punkten. Zweitens ist das Präsidentenamt auch eine Prestige-Frage. Die Sozialdemokraten sind sehr stolz darauf, was sie bisher erreicht haben und sehen nun darin eine logische Konsequenz, wenn ihr Kandidat, egal ob Parteimitglied oder nur von ihr nominiert nun auch in die Prager Burg einziehen würde."