Weihnachten

Auf der Suche nach einem weihnachtlichen Thema für das letzte Geschichtskapitel in diesem Jahr bin ich im Archiv des Tschechischen Rundfunks fündig geworden. Dort haben sich über Jahre einige interessante weihnachtliche Aufnahmen erhalten, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Gute Unterhaltung beim folgenden Ausflug in vergangene Rundfunkzeiten wünscht Ihnen Katrin Bock.

Wir beginnen unseren Ausflug im Jahre 1937, dem letzten Jahr, in dem die junge tschechoslowakische Republik noch in ihren ursprünglichen Grenzen existierte. Doch die Bedrohung des Friedens in Europa war bereits zu spüren. Der tschechoslowakische Rundfunk wollte in dieser unruhigen Zeit ein Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung ausstrahlen und so wurden nach Amerika und Indien Rundfunkbrücken geschlagen. Der tschechische Schriftsteller Karel Capek sandte am Heilig Abend 1937 an den indischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Rabindranath Thakur eine Friedensbotschaft. Im fernen Britisch-Indien waren über Kurzwelle die Worte Capeks zu hören:

"Meister Thakur, harmonische Stimme des Ostens. Wir grüssen Sie aus der Tschechoslowakei, wo gerade Schnee fällt, aus Europa, wo es uns bange ist, aus der westlichen Welt, in der sich noch nicht einmal die entwickelsten Völker die Hände als Brüder reichen können. Und dennoch, trotz der Entfernung unserer Länder und Kulturen reichen wir Ihnen unsere brüderliche Hand, Ihnen und Ihrem gewaltigen Asien, auch dem Teil, der gerade in Waffen liegt, die der Westen erfunden hat. In dieser Zeit, in der im äussersten Westen und Osten unseres grossen gemeinsamen Kontinents Kanonen donnern, ruft Sie am Ende des Jahres eine schwache Stimme der westlichen Demokratie. Es lebe die Welt, aber die Welt der freien und gleichberechtigten Menschen."

Diesen Worten des tschechischen Schriftstellers Karel Capek lauschte der Nobelpreisträger für Literatur Rabindranath Thakur im fernen Indien, sein Ohr an einen Kurzwellenempfänger gedrückt. Antworten konnte er Capek nicht via Radio, doch sandte er ein Telegramm an seinen Schriftstellerkollegen nach Prag, das im Prager Rundfunk am 25. Dezember vorgelesen wurde.

"Freunde in der Tschechoslowakei, in diesem schrecklichen Sturm der hässlichen Gewalt, der die Menschheit ergriffen hat, empfangt einen Wunsch des guten Willens von einem alten Idealisten, der noch immer an das gemeinsame Schicksal des Osten und Westens und der gesamten Menschheit glaubt!"

Eine weitere Friedensbotschaft schwirrte damals, Weihnachten 1937, durch die Luft, diesmal von Prag in die USA. Das greise tschechische Erfindergenie Frantisek Krizik grüsste auf diesem Weg Albert Einstein in Amerika.

"Professor Einstein, von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen Gesundheit und Glück für das neue Jahr. Wir sind uns so nah und doch so fern. Unsere Wissenschaft und Technik hat die Entfernungen dieser Erde verkürzt. Während meines 90jährigen Lebens habe ich einen enormen Fortschritt der Technik erlebt. Das berechtigt mich, an eine weitere, glückliche Zukunft der Menschheit zu glauben. Am Ende wird sie begreifen, dass sie sich gegenseitig achten und lieben muss. Es sind Worte des aufrichtigen Glaubens an die Verständigung und den Frieden zwischen den Menschen guten Willens, die ich Ihnen, grosser Wissenschaftler und Denker, heute mitteilen will."

In Prag wartete man vergebens auf die Antwort Albert Einsteins. Als Einstein in den USA ins Mikrophon sprach tobte über dem Atlantik ein solcher Sturm, dass die Rundfunkhörer in der Tschechoslowakei nur ein Rauschen vernehmen konnten:

Einstein musste seine Botschaft nach Prag telegraphieren, wo sie im Rundfunk verlesen wurde.

"Der weihnachtliche Gruss, den ich aus Prag erhalten habe, richtet sich wirklich an alle diejenigen, denen in dieser Zeit der Verwirrungen der Erhalt der geistigen Werte am Herzen liegt. Sie alle wissen, dass die Tschechoslowakei unter schwierigsten Bedingungen die politischen Freiheiten und Menschenrechte verteidigt und beschützt, ohne die sich kein geistiges Leben entfalten könnte."

Die Bewohner der Tschechoslowakei konnten zu Weihnachten 1937 auch die Worte ihres Präsidenten Edvard Benes im Rundfunk hören. Wie jedes Jahr richtete sich Benes an das Volk mit einer Bilanz über das vergangene Jahr und wagte Prognosen für das neue. Wohl selten lag er mit seiner Interpretation der Zeichen der Zeit so sehr daneben wie 1937.

"Auch in diesem Jahr richte ich eine Botschaft des Friedens an Sie. Das bisher gefährlichste Nachkriegsjahr war das Jahr 1936. Das nun zuendegegehende Jahr war wieder ein Jahr des Kräfteausgleichs zwischen dem autoritativen und demokratischem Lager. Das Jahr 1938 sollte und wird wahrscheinlich ein Jahr der Verhandlungen sein, des Diskutierens, des sich Einigens und schliesslich auch des Abschliessens von teilweisen und vorläufigen Abkommen, die zu definitiven Abkommen führen werden, die wenigstens für Europa den Frieden sichern werden."

Seine Ansprache schloss Präsident Benes mit Wünschen für das neue Jahr:

"Die wunderschöne Weihnachtszeit ruft alle Menschen guten Willens, aller Parteien und aller Nationalitäten zu Zusammenarbeit und Frieden auf. Sie ist auch der Auftakt zu dem Jahr, in dem unsere Republik ihren 20. Geburtstag feiern wird. Wir wünschen uns, dass unser Staat ein Staat des Friedens und der Ordnung bleibt, in dem alle zusammenarbeiten und der all seinen Bewohner nationale und soziale Sicherheit bietet. Ihnen allen, die sie guten Willens sind, wünsche ich frohe Weihnachten und unserem Staat ein schönes Jubiläumsjahr."

Die Wünsche des Präsidenten blieben ungehört - Ihren 20. Geburtstag konnte die Tschechoslowakei nicht mehr feiern. Weihnachten 1938 weilte Edvard Benes bereits im Exil in Grossbritanien. Die Tschechoslowakei existierte nicht mehr in ihren Vorkriegsgrenzen, die von überwiegend Sudetendeutschen besiedelten Grenzgebiete hatte sie an das Deutsche Reich abtreten müssen. Offiziell existierte zwar noch ein Tschechoslowakischer Staat, doch auch dessen Tage waren bereits gezählt. An Weihnachten 1938 wandte sich Emil Hacha an die tschechoslowakische Bevölkerung. Er war nach Beness Rücktritt Anfang Oktober 1938 zum tschechoslowakischen Präsidenten ernannt worden.

"Verehrte Mitbürger! Am Ende des Jahres, das Unruhe und schmerzhafte Opfer brachte, will ich Ihnen anlässlich der Feiertage des Friedens und der Freude einige Worte sagen. Die über Jahrhunderte gepflegte freudevolle Laune der Weihnachtstage sollte uns nicht die Trauer vergessen lassen, die uns alle beklemmt und ich will erst gar nicht versuchen, eine beruhigende Hoffnung für die kommenden Jahre zu wecken. Aber es scheint auch etwas Licht in diese unsere nationale Dämmerung. Wir befinden uns noch immer auf dem Stück Land, auf dem wir schon über 1000 Jahre leben und wir haben noch immer unseren eigenen Staat, der vor einem knappen Viertel Jahrhundert noch nicht existierte."

Am nächsten Weihnachtsfest, 1939, existierte die Tschechoslowakei bereits nicht mehr. An der Spitze des Protektorats Böhmen und Mähren stand weiterhin Emil Hacha. Im Laufe der Jahre änderte sich der Ton seiner Weihnachtsansprachen. 1943 konnten die Bewohner des Protektorats folgende Weihnachtsworte von ihrem Präsidenten hören:

"Ich wünsche mir, dass sie gemeinsam mit mir begreifen, dass uns die Vorsehung ein glückliches Schicksal bereitet hat, indem sie uns in der Zeit der grössten Erschütterungen dorthin gestellt hat, wo wir sind: an der Seite des grossdeutschen Reiches. Wir stehen an seiner Seite und bleiben dort stehen bis zum endgültigen Sieg."

Anderthalb Jahre später feierten die Tschechen die Niederlage des Deutschen Reiches und die Wiedererstehung ihres Staates. Weihnachten 1945 war ein Fest der Freude und Präsident Edvard Benes konnte nach sieben im Exil verbrachten Jahren, endlich wieder zu seinen Untertanen sprechen. In seiner Ansprache führte Benes all die Aufgaben an, die nun zum Wiederaufbau des Landes erfüllt werden müssten, ermahnte die Bewohner des Landes nicht zu sehr zu jammern, da sie den Krieg relativ glimpflich überstanden hätten und forderte alle auf, Opfer für das Gelingen des Wiederaufbaus zu bringen. Seine Ansprache schloss er mit den Weihnachtswünschen:

"Unser Volk, unsere Nation, alle patriotischen Tschechen und Slowaken haben es verdient, das erste Weihnachtsfest nach unseren Sieg in Ruhe und Frieden zu verbringen. Möge dieses Weihnachten wirklich allen Menschen guten Willens in unserer Republik Frieden bringen."

Nur dreimal konnten Tschechen und Slowaken Weihnachten in Ruhe und Frieden so feiern, wie sie es aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gewohnt waren. Dann ergriffen die Kommunisten die Macht im Lande, denen natürlich Weihnachten als Fest der Christen ein Dorn im Auge war. Zum Abschluss können Sie eine besondere Blüte der kommunistischen Propaganda hören. 1952 wandte sich der damalige Regierungsvorsitzende Antonin Zapotocky in seiner Weihnachtsansprache an Kinder:

"Die Zeiten haben sich geändert und auch der kleine Jesus ist gewachsen, älter geworden, es wuchs ihm ein Bart und er verwandelte sich in Väterchen Frost. Er muss nicht mehr barfuss und zerlumpt herumlaufen, sondern ist schön gekleidet und hat sogar einen Fellmantel. Väterchen Frost kommt aus dem Osten zu uns und auch seinen Weg leuchten Sterne. Nicht nur der Stern von Betlehem, sondern eine ganze Reiche roter Sterne auf unseren Bergwerken, Stahlwerken, Fabriken und Baustellen."