Wieder ein neues Wahlsystem für Tschechien?

Das Wahlsystem als Wegwerfartikel: droht dies in Tschechien zur Realität zu werden? Mit Ach und Krach konnte sich das Parlament auf eine Novellierung des Wahlsystems für den Urnengang vom Juni einigen, und schon scheint die nächste Anpassung am Horizont zu stehen. Von Rudi Hermann.

Das Gesetz, nach welchem sich ein Land seine Volksvertreter wählt, gehört allgemein zu den wichtigsten Pfeilern der verfassungsmäßigen Ordnung und sollte einen Beitrag zur politischen Stabilität leisten. Meint man. Doch dazu scheinen die Politiker in Tschechien eine andere Ansicht zu haben. Vor vier Jahren produzierte der Wahlausgang mit Sozialdemokraten und Bürgerlichen zwei dominante Formationen, die von Gegnern zu Partnern mutierten. Geeint wurden sie nicht zuletzt durch das Ziel, mit einer Anpassung des Wahlgesetzes ihre Stellung für eine längere Zukunft zu zementieren und kleinere Parteien zu marginalisieren. Unterdessen ist alles anders. Die Sozialdemokraten, die erst gerade noch Hand geboten hatten zum Einbau wesentlicher Elemente des Majorzsystems in das für die Abgeordnetenkammer des Parlaments massgebliche Verhältniswahlrecht, sind nun offenbar plötzlich der Ansicht, dass es nicht zuviel, sondern zuwenig verschiedene politische Kräfte im Abgeordnetenhaus gebe. Im Klartext heisst dies: bei zwei konservativen Blöcken, den Bürgerlichen und der Koalition aus Freiheitsunion und Christdemokraten, befürchten die Sozialdemokraten, in eine Isolation zu geraten und keine Koalitionspartner zu finden. Denn links von ihnen gibt es nur noch die allseits geächteten Kommunisten, und im Zentrum ist eine Zusammenarbeit mit den Christdemokraten durch deren Verbindung mit der liberalen Freiheitsunion schwieriger geworden. Der sozialdemokratische Parteichef Spidla sprach sich deshalb unlängst dafür aus, die Hürde für den Einzug in die Abgeordnetenkammer, die gegenwärtig bei 5 Prozent liegt, zu senken. Denn das könnte den Effekt haben, dass Kleinparteien Mandate erringen, die dann den Unterschied von einer Minderheits- zu einer Mehrheitsregierung bedeuten können. Nachdem es jahrelang geheissen hatte, eine allzu grosse Aufsplitterung des Parteienspektrums bedeute Instabilität, sind die Sozialdemokraten nun offenbar einem weit verästelten politischen System plötzlich wieder auf den Geschmack gekommen.

Nicht so aber die Bürgerlichen. Sie, die langfristig über die am meisten stabilisierte Position in der tschechischen politischen Landschaft verfügen, bevorzugen nach wie vor ein striktes Mehrheitswahlrecht, das nach dem Systém Winner takes all funktioniert. Überraschenderweise hat sich unlängst aber auch die Vorsitzende der liberalen Freiheitsunion, Hana Marvanova, für ein - wenn auch aufgeweichtes - Majorzsystem ausgesprochen, und zwar mit der Begründung, dass dieses die Wahl ausgeprägterer politischer Persönlichkeiten fördere. Ist diese Begründung an sich nachvollziehbar, so ist sie doch aus dem Munde einer Politikerin, deren Partei kaum über die kritische Masse für ein gutes Wahlresultat nach Majorzsystem verfügt, erstaulich.

Man darf nun gespannt sein, welche Veränderungen des Wahlsystems die nächsten die Macht ausübendenden Parteien durchsetzen werden, in der Hoffnung, damit ihre eigene Position zu stabilisieren. Dass diese Rechnung nicht unbedingt aufgehen muss, zeigt indes gerade das Beispiel der Sozialdemokraten.

Autor: Rudi Hermann
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