Berührungsängste, gutes Essen und ein Blick nach vorn – Unterwegs im Grenzgebiet um Železná Ruda und Bayerisch Eisenstein

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Ein Bahnhof, zwei Länder: Auf der einen Seite der Eingangstür zur Bahnhofshalle hängt der böhmische Löwe, auf der anderen Seite der Bundesadler. Es gibt wohl keinen besseren Ort als die Region um Bayerisch Eisenstein und Železná Ruda, um zu sehen, wie sehr Deutsche und Tschechen zusammengewachsen sind, 20 Jahre nach Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung.

Charly Bauer und Regina Kaml  (Foto: Vojtěch Berger)
Der erste Halt bei der Rundfahrt durch das Grenzgebiet ist nur wenige Meter vom geteilten, aber gemeinsamen Bahnhof entfernt. Und zwar im Rathaus von Bayerisch Eisenstein. Bürgermeister Charly Bauer kann aus seinem Büro nicht ganz den Großen Arber sehen, auf jeden Fall aber die Hauptstraße nach Tschechien.

Eine Verbindung zum Nachbarn ist ihm auch seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren wichtig. Das ist jedoch manchmal so schwer wie ein Aufstieg auf den Velký Javor, wie der höchste Berg des Bayerischen Walds auf Tschechisch heißt:

„Die Kontakte zum Nachbarn sind da, aber leider nur noch vereinzelt. Die meiste Bewegung ist auf Vereinsebene, da treffen sich die Leute und gestalten miteinander etwas. Ansonsten beschränken sich die Nachbarschaftsaktivitäten fast nur noch auf Feste. Mir persönlich ist das zu wenig.“

Pfarrkirche St Johannes von Nepomuk in Bayerisch Eisenstein  (Foto: Jik jik,  CC BY-SA 3.0 DE)
Besonders im Tennisverein und Kirchenchor von Bayerisch Eisenstein seien viele Tschechen, so Charly Bauer. Aber auch bei den Wandergesellschaften beteiligten sich immer mehr Bürger von der anderen Seite der Grenze, vor allem durch eine erst kürzlich beschlossene regionale Kooperation. Genauso besteht politisch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen. Diese sollte aber noch besser werden, so Charly Bauer.

Ressentiments spielen laut dem Bürgermeister im gemeinsamen Dialog immer weniger eine Rolle. Zwar gebe es auf beiden Seiten immer wieder Stimmen, die auf das geschehene Unrecht hinwiesen und dies auch zu ihrem Motto machten. Doch diese Menschen würden rein demografisch nach und nach verschwinden, so Charly Bauer.

Foto: Strahinja Bućan
Wer sicher keine Vorbehalte hat, sind Menschen, die sich für ein Leben auf der anderen Seite der Grenze entscheiden. Regina Kaml leitet das Einwohnermeldeamt der Grenzgemeinde:

„Es gibt viele Zuzüge von Tschechien nach Bayerisch Eisenstein, in die andere Richtung weniger. Meist sind das dann auch Tschechen, die wieder zurückgehen in ihre Heimat. Momentan haben wir einen Anteil von zwölf Prozent an tschechischen Staatsangehörigen in der Gemeinde. Bei 1047 Einwohnern sind das 130 tschechische Mitbürger“.

Foto: Vojtěch Berger
Schwer zu erfassen sind die Ehen zwischen Tschechen und Deutschen in der Region. Bürgermeister Bauer kennt allein zehn Paare, die sich hier gefunden haben in den vergangenen Jahren. Die meisten Tschechen kommen aber auch nicht zum Heiraten auf die deutsche Seite, sondern vielmehr aus unternehmerischen Gründen. Gerade das für Bayerisch Eisenstein überlebenswichtige Gastgewerbe ist teilweise fest in tschechischer Hand.

Tschechische Exotik im Bayerischen Wald

Foto: Offizielle Facebook-Seite des Restaurants Utaty
Um zu einem dieser Betriebe zu kommen, muss man etwas sportlich sein. Das Ehepaar Klement hat auf einer Anhöhe über dem Ort Bayerisch Eisenstein ein Restaurant aufgemacht, das aber etwas untypisch ist für den Bayerischen Wald

Denn es ist ein veganes Restaurant. Gekocht wird hauptsächlich südasiatisch und stark gewürzt. Antonín Klement leitet den Betrieb mit seiner Frau Helena. Mit ihrem Angebot zielen sie auf einen bestimmten Kundenkreis:

„Etwa 90 Prozent unserer Kundschaft kommt aus Deutschland. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass man hier offener veganem Essen gegenüber ist als bei uns in Tschechien.“

Foto: Offizielle Facebook-Seite des Restaurants Utaty
Erfolg haben die Klements auf jeden Fall mit ihrem Konzept. Bereits neun Jahre sind sie mit ihrem Restaurant in Bayerisch Eisenstein, auch dank eines angeschlossenen Online-Gewürzhandels. Mittlerweile hat sich das Ehepaar ebenso privat gut eingelebt. Sie haben deutsche Freunde, und ihre Tochter hat die Realschule in Zwiesel besucht. Probleme mit den Einheimischen hätten sie bisher kaum gehabt, so Helena Klementová:

„Ganz einfach: Gute und schlechte Menschen gibt es überall. Die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen kommen auch von beiden Seiten. Meist aber nur von Leuten, die die ganze Sache oberflächlich sehen.“

Foto: Dominik Jůn
Ab und an seien die Erfahrungen mit den Deutschen auch positiver als mit den eigenen Landsleuten, so Helena Klementová. Das sehe man beispielsweise auf den Ämtern, wo die Mitarbeiter oft sehr hilfsbereit seien. Wie es aber tatsächlich auf der anderen Seite des Grenzstreifens ist, weiß man erst nach einer fünfminütigen Autofahrt.

Wurzeln schlagen und Ängste abbauen

Eigentlich sieht man nicht mehr wirklich, wo die Grenze ist. Ein Casino und die sogenannten Asia-Märkte mit billigen Textilien und Gartenzwergen zeigen aber doch, dass man in Tschechien ist.

Leider könne man dagegen nichts machen, so Michal Šnebergr (Bürgerdemokraten). Er ist bereits seit zehn Jahren Bürgermeister von Železná Ruda. Die Grundstücke und Immobilien mit diesen und anderen Geschäften seien allesamt in Privatbesitz, so Šnebergr. Das sei ein Relikt der Neunziger, als man schnelles Geld machen wollte. Auch das sei aber in einem viel weiteren Kontext zu sehen, der einen starken Einfluss auf die Beziehung zum Nachbarn im Westen hat:

Michal Šnebergr  (Foto: Vojtěch Berger)
„Die Gesellschaften beiderseits der Grenze sind nicht unbedingt kompatibel. Die grenzüberschreitenden Beziehungen sind untrennbar mit dem Wesen der Grenzregion verbunden. Und von Aš bis Mikulov ist dieses drastisch vom Eisernen Vorhang beeinflusst worden, genauso wie davor von der Vertreibung der Deutschen. Die Menschen auf tschechischer Seite haben eigentlich keine Wurzeln in der Region.“

Die Bevölkerung in Železná Ruda setze sich vor allem aus Grenzern zusammen. Daher ist eine gute Beziehung zum Nachbarn sehr schwierig – jenseits der Grenze saß ja der Feind. Und auch nicht alle Erwartungen in den Wandel nach dem Zusammenbruch des Kommunismus haben sich in Tschechien erfüllt. Besonders was eine wirtschaftliche Annäherung an Deutschland angeht. Trotzdem sieht Michal Šnebergr einen Trend zum Positiven:

Großer Arber  (Foto: Deconstruct,  CC BY-SA 3.0)
„Die Zeiten haben sich geändert. Und die Entwicklung, die wir hier erleben, ist sehr interessant in Anführungszeichen. Nach der Revolution haben wir eigentlich erwartet, dass die Deutschen uns aufkaufen und uns irgendwie schlucken. Das Gegenteil ist aber eingetreten: Wir Tschechen besiedeln einen großen Teil von Bayerisch Eisenstein, wir fahren über die Grenze zum Einkaufen und auf den großen Arber zum Skifahren. Und auch als Wanderer schaut man sich Bayern einfach gerne an.“

Gipfel der Freundschaft und Wander-Separatismus

Großer Arber  (Foto: Dirk Schmidt,  CC BY-SA 3.0)
Ob der Sport tatsächlich verbindet kann man auf dem Großen Arber sehen. Auf jeden Fall stehen vor dem Eingang zur Bergbahn viele Autos mit tschechischen Kennzeichen. Und selbstverständlich wird Tschechisch gesprochen am Sessellift.

Das hat auch einen Grund: Aufgrund der Nähe zum Nachbarland bemüht sich die Leitung des Skigebiets seit Jahren um tschechische Kunden. Thomas Liebl leitet den Betrieb im Areal:

„Über den Winter liegt der Anteil unserer tschechischen Gäste bei ungefähr 35 bis 40 Prozent. Das ist sehr hoch. In den letzten Jahren kommen auch verstärkt junge Familien mit ihren Kindern, besonders in unser Arber-Kinderland. Wir sind also ein Berg ohne Grenzen und ein Gipfel der Freundschaft.“

Skigebiet am Großen Arber  (Foto: YouTube)
Man mache gezielt Werbung in Tschechien, so Liebl. Pilsen sei ja näher als jede andere Großstadt auf deutscher Seite. Zudem organisiert das Skigebiet am Großen Arber zahlreiche gemeinsame Events mit tschechischen Ski-Vereinen oder kommerziellen Sportanbietern.

Doch die Region Böhmerwald-Bayerischer Wald lebt längst nicht vom Wintersport allein. Die sanfte Hügellandschaft lädt genauso zum Wandern ein. Das weiß auch Milan Sklenář. Er betreibt eine Pension in Železná Ruda und organisiert Wanderungen, mit Stiefeln im Sommer und Schneeschuhen im Winter. Die Tschechen fahren laut Sklenář gerne auf die andere Seite und gesellen sich zu den deutschen Wandervereinen. Bei von Tschechen organisierten Veranstaltungen sieht es aber etwas anders aus:

Wanderung in der Region Böhmerwald-Bayerischer Wald  (Foto: Safranek-interia.eu,  CC0 1.0)
„Wir bemühen uns, auch deutsche Wanderer für unsere Routen zu begeistern. Das hat eigentlich vor zehn Jahren begonnen, als ich meine Pension aufgemacht habe. Der Bürgermeister hat sich damals beschwert, dass es keine gemeinsame Wanderbewegung gibt. Dagegen wollte ich etwas mit meinem Verein machen: Wir haben Plakate geschrieben, auf deutschen Webseiten inseriert und so weiter. Es kam aber nie irgendjemand von der deutschen Seite. Warum, weiß ich nicht. vielleicht liegt es am deutschen Patriotismus.“

Ansonsten bewertet Sklenář das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen als gut, Probleme gebe es keine soweit. Und das Trotz der viele sozialen Unterschiede und der grundverschiedenen Mentalität, besonders bei den Rentnern.

Zusammenleben als Kinderspiel

Foto: Strahinja Bućan
Wer sich bestimmt noch keine Sorgen macht über die tschechisch-deutschen Beziehungen, sind die Kleinsten. Hier im Kindergarten Sankt Nikolaus in Bayerisch Eisenstein spielen und singen deutsche und tschechische Kinder gemeinsam.

Denn viele Eltern aus Železná Ruda schicken ihre Kinder in den Kindergarten des bayerischen Nachbarortes, damit sie von klein auf Deutsch lernen. Die Gruppe ist bunt, neben deutschen und tschechischen Kindern sind hier mittlerweile auch zwei syrische Flüchtlingsmädchen. Geleitet wird der Kindergarten von einem deutschen Erzieher und seiner tschechischen Kollegin. Markus Holzbauer kümmert sich seit drei Jahren liebevoll um den Nachwuchs:

Kindergarten St. Nikolaus in Bayerisch Eisenstein  (Foto: Bene16,  CC BY-SA 3.0)
„Hier vermischt sich alles relativ schön. Die deutschen Kinder spielen oft mit den tschechischen und umgekehrt. Oft bilden sich aber auch Grüppchen. Wir geben dann ab und an einen Anstupser und sagen: Kinder, spielt doch einmal zusammen.“

Die Eltern zumindest sind begeistert, was die Arbeit des Kindergartens angeht. Heidi Mühlbauer hat eine Tochter hier:

„Wir sind so nah an der Grenze. Es ist daher gut, dass schon die Kleinen etwas Tschechisch lernen. Sie machen es spielerisch, zum Beispiel mit Liedern. Ich finde das schon gut.“

Auch Tomáš Pech bringt seinen Sohn jeden Morgen nach Bayerisch Eisenstein:

Bernd Sibler  (Foto: Michael Lucan,  CC-BY-SA 3.0)
„Das ist hier ganz einfach perfekt. Mein Sohn kann mittlerweile auch Deutsch, auch wenn wir ihn nicht gezielt darauf vorbereitet haben.“

Tomas Pech findet es aber schade, dass es nicht tschechisch-deutsch weitergeht nach dem Kindergarten. Ein gemeinsames Schulprojekt der Grenzkommunen ist im vergangenen Jahr gescheitert. Deutsche Kinder wären in Železná Ruda unterrichtet worden, da die Schule in Bayerisch Eisenstein 2011 schließen musste. Was schiefgegangen ist, erklärt Bernd Sibler telefonisch aus München. Er ist Staatsekretär beim bayerischen Kultusministerium:

„Wir haben sehr intensiv an dem Thema Bayerisch Eisenstein-Železná Ruda gearbeitet. Wir hatten auch keine schulrechtlichen Probleme in der Angelegenheit. Alle relevanten Fragen, die man lösen hätte müssen, sind auch geklärt worden. Das einzige Problem ist, dass in beiden Gemeinden schlicht zu wenige Kinder sind. Es wären keine relevanten Klassen zustande gekommen.“

Helmut Kohl und Václav Klaus unterschreiben die Deutsch-Tschechische Erklärung  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Doch die Flinte will man bei der grenzüberschreitenden Bildung nicht ins Korn werfen. Laut Bernd Sibler sind weitere Kooperationen geplant, und auch Austauschprogramme nach deutsch-französischem Vorbild wären erwünscht. Genau das ist auch wichtig, denn gerade die nachfolgenden Generationen, könnten die Deutsch-Tschechische Erklärung auch tatsächlich mit Leben füllen. Vor allem das war ja vor 20 Jahren das Anliegen der Unterzeichner.