Bystre - "Culture Village of Europe" 2001

"Kulturstadt Europas". Dieser Begriff wird wohl nur wenige Leute überraschen. Für die tschechische Metropole Prag war in dieser Hinsicht das Jahr 2000 von großer Bedeutung, als sie gemeinsam mit acht weiteren Städten des Kontinents diesen Titel trug, der seit der Mitte der 80er Jahre vom EG- bzw. EU-Kulturministerrat erteilt wird. Doch es gibt auch "Kulturelle Dörfer Europas" - wie sie im nachfolgenden Kulturspiegel erfahren werden, den Markéta Maurová für Sie vorbereitet hat.

Tommerup in Dänemark, Killingi Nomme in Estland, Mellionec in Frankreich, Ströbeck in Deutschland, Alderburg in Großbritannien, Paxos in Griechenland, Palkonya in Ungarn, Pergine Valdarno in Italien, Wijk aan Zee in den Niederlanden, Porrúa in Spanien und Bystre in Tschechien. Diese elf Gemeinden aus allen Winkeln Europas, die höchstens 2000 Bewohner haben, verbindet ein gemeinsames Projekt. Sie haben sich vor ein paar Jahren vereinigt, eine Bewegung gegründet und die gemeinsame "Charta des europäischen Dorfes" erarbeitet. Ihre Bewohner treffen sich regelmäßig und sie bemühen sich, die gegenwärtigen Probleme des Landes beim Namen zu nennen, bestimmte Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung zu finden und zu verhindern, dass junge Leute die Dörfer verlassen.

Die Tschechische Republik ist dabei durch das ostböhmische Städtchen Bystre vertreten. Ich bat die zwei gewichtigen Einwohner von Bystre und dessen Umgebung ans Mikrophon, denen das Projekt seine Existenz und Entwicklung verdankt: die Bürgermeisterin von Bystre, Hana Sejkorova, sowie den Verwalter der nahen Burg Svojanov, Jiri Ctrnact. Der Letztgenannte erzählt zunächst über die Entstehung der Bewegung:

"Die Geschichte begann im Jahre 1996, als der dänischen Metropole Kopenhagen der Titel Kulturstadt Europas erteilt wurde. Damals erklärte das Dorf Tommerup, das heute ein Mitglied der Bewegung ist, dass dies Unsinn sei. Warum solle die Kultur immer nur mit großen Metropolen verbunden werden, die die Kultur eigentlich kommerziell missbrauchen? Auf dem Dorf stelle die Kultur doch einen Bestandteil des Lebens dar und alle beteiligten sich aktiv daran. Dieses Dörfchen erklärte sich damals zum "Kulturellen Dorf Europas" 1996."

Hana Sejkorova fügt zur Entstehungsgeschichte hinzu:

"Die Leute im dänischen Tommerup fragten sich - warum nur die Städte? Wir, die Dörfer, waren früher da als die Städte, gerade die Dörfer bilden bei uns in Europa die ursprüngliche Besiedlung. Und so wurde das "Kulturelle Dorf Europas 1996" ins Leben gerufen. Aufgrund dieser Idee besuchte der Initiator aus Holland, Bert Kisjes, elf Bürgermeister, elf Repräsentanten der Gemeindeverwaltungen aus elf Ländern Europas und wir begannen die Fragen zu erörtern, die für uns wichtig sind: Was war früher die Provinz, was ist sie heute und was soll sie für die Gesellschaft bedeuten. Auf dieser Grundlage entstand das Projekt "Culture Village of Europe": 1999 wurde Wijk aan Zee zum kulturellen Dorf Europas erklärt, 2000 Mellionnec in der Bretagne und im Jahre 2001 unser Städtchen Bystre."

Die Dörfer treffen sich regelmäßig einmal pro Jahr, in dem jeweiligen Dorf, das gerade den Titel trägt. Die Holländer haben 1999 die Veranstaltung so konzipiert, dass sie jeden Monat ein beteiligtes Dorf für ein Wochenende eingeladen haben. Mellionec entschied sich, das Festival auf die ganze umliegende Region auszudehnen. Als die tschechischen Repräsentanten vor einem Jahr aus der Bretagne zurückkehrten, wuchs schon eine klare Idee in ihren Köpfen, wie das nächste Treffen, das in Bystre zu gestalten sei.

"Zu uns kamen die Delegationen aus allen elf Dörfern. Dies war das erste Mal, dass sich wirklich alle auf einmal getroffen haben. Es waren rund 500 Teilnehmer zugegen. Der Stadtring war ein riesiger internationaler Markt, jedes Dorf zeigte und verkaufte dort seine nationalen Speisen und Getränke. Und auf dem Spielfeld hinter der Turnhalle wurde ein Festival veranstaltet, bei dem jede Delegation Kostproben aus ihrer Nationalkultur vorführte. Einzelne Dörfer traten in Trachten auf, zeigten ihre Nationaltänze, spielten Volkslieder. Niemand wollte sich beschämen lassen, so dass das Programm sehr reichhaltig war."

Um mit dem Titel "Kulturelles Dorf Europas" geehrt zu werden, muss das entsprechende Dorf weder das reichste noch das schönste sein. Es muss jedoch als Inspiration für die umliegende Welt dienen und zur Idee der nachhaltigen Entwicklung des Dorfes beitragen wollen. Was bedeutet für Bystre die Tatsache, das "Kulturelle Dorf Europas" im Jahre 2001 zu sein?

"Es war ein schönes Jahr, das (leider) fast schon vorbei ist. Im Mai trafen sich bei uns die Repräsentanten der Verwaltungen der 11 Gemeinden. Wir haben zwei Tage lang über das Leben unserer Bürger diskutiert. Dass Motto hieß: "Die kulturelle und geistige Dimension des Dorfes". Und im September haben wir das große Festival veranstaltet."

"Für die Bewohner von Bystre war es ein ungewöhnliches Treffen, denn sie haben sich in der Welt gezeigt. Es war für sie von großer Bedeutung, weil sie sich überzeugen konnten, dass sie selbst vieles schaffen können. Alles wurde von den Bewohnern der etwa 15 Gemeinden rund um Bystre organisiert, die sich zum sog. Svratka-Køetinka-Dreieck vereinigten. Jede der Gemeinden war Gastgeber für eine der Delegationen. Die Teilnehmer wohnten bei unseren Familien zu Hause. Und die hiesigen Bewohner schafften es, dieses relativ aufwändige, eigentlich gigantische Unternehmen mit eigenen Kräften zu organisieren. Es half ihnen dabei keine Agentur. Sie konnten sich selbst überzeugen, dass sie etwas schaffen können und nicht da sitzen müssen und warten, bis eine Anregung von außen kommt."

Wir haben 11 Dörfer in ganz Europa genannt. Wie kamen aber gerade diese Gemeinden zusammen, nach welchem Schlüssel wurden sie vor fünf Jahren ausgewählt? Wie haben sich die Beteiligten dem Initiator angeschlossen?

"In jener Zeit haben die Bewohner des holländischen Dorfes Wijk aan Zee einen Kampf gegen die dortigen Unternehmer verloren. Am Rande der Gemeinde wuchs eine riesige Fabrik, die das Dorf von der umliegenden Natur abgeschnitten hat. Und darüber hinaus drohte, dass an der Meeresküste ein Flughafen für große Transportflugzeuge entsteht. Ein Gastwirt in diesem holländischen Dorf - er heißt Bert Kisjes - hat damals die Augen geschlossen, seinen Finger in die Landkarte Europas gebohrt und er suchte sich dort 11 Dörfer aus. Er schrieb an alle diese Dörfer und alle haben geantwortet. Sie trafen sich zur Gründungskonferenz und so entstand die ganze Bewegung."

"Es ist eine unpolitische Initiative, die von unten entstanden ist. Das heißt, niemand wurde gewählt, sondern der Holländer Bert Kisjes aus Wijk aan See besuchte diese Länder und diese Gemeinden, er fragte sie, ob sie sich am Projekt beteiligen wollen. Zum Projekt gehört nämlich auch die Charta, die am 10. Dezember 1999 angenommen wurde. Die Signataren dieser Charta verpflichteten sich, deren Grundgedanken zu erfüllen. Die Charta bietet das Bild der Dörfer, so wie wir es sehen, sie zeigt die positiven Seiten des Dorfes, in dem wir leben wollen. Dies alles entstand spontan und allmählich und unsere Bürger haben diese Idee angenommen."

Die Charta, die auch dem Europa-Parlament vorgelegt wurde, ist eine offene Angelegenheit. Sie hat ihre eigenen Internetseiten, wo sie von Repräsentanten weiterer Gemeinden unterzeichnet werden kann. Bisher haben sich ihr 500 Dörfer angeschlossen.

Im Jahre 2001 spielt Bystre eine besondere Rolle. Wie sieht es mit der dortigen Kultur aber sonst aus. Geht da etwas los, auch wenn gerade kein internationales Festival stattfindet?

"Natürlich, das ganze Jahr über. Und nicht nur bei uns, sondern im Rahmen des ganzen Svratka-Køetinka-Dreiecks und überall auf dem Lande gibt es Vereine. Die Vereinsaktivitäten sind sehr lebendig. Seien es die Feuerwehr, die Jäger und andere. Bei uns wird auch Theater gespielt, wir veranstalten eigene Konzerte, wir haben hier mehrere Kapellen - eine Blasmusikkapelle, eine Country-Band, ein Tanzensemble, und wir haben Gesangchöre. In jedem Dorf ist das ein bisschen anders, jedes Dorf hat seine eigene Identität, aber überall fühlen die Leute das Verlangen, miteinander zu kommunizieren. Und diese Kommunikation ist das wichtigste. Es geht um die aktive Teilnahme, die sowohl dem einzelnen Menschen als auch dessen Umgebung Nutzen bringt. Die Gesellschaft auf dem Dorfe ist lebendig."