„Prost, ihr Säcke!“ – Der Sauftourismus und die letzten Einwohner der Prager Altstadt
Auch an diesem Silvester werden wieder mehrere Tausend Touristen nach Prag reisen, um sich für möglichst wenig Geld volllaufen zu lassen. Der Alkoholtourismus ist aber nicht nur zum Jahreswechsel ein Problem. Radio Prag International ist dem Phänomen in einer Sondersendung nachgegangen. Hören Sie rein!
Gruppen von Männern, die betrunken durch die Prager Altstadt ziehen – das gehört mittlerweile genauso zu Prag wie der Hradschin oder die Karlsbrücke. Die Sauftouristen machen dabei nicht nur eine Menge Unordnung, sondern auch viel Lärm, was wiederum die Bewohner der Innenstadt um ihren Schlaf bringt. Nicht wenige haben deshalb bereits ihre Wohnung im Zentrum aufgegeben. Unter ihnen ist auch die Schriftstellerin Iva Procházková. Sie lebte über 25 Jahre lang in der Prager Altstadt und sagt heute:
„Die Stadtmitte hat für uns den Reiz, den sie am Anfang hatte, irgendwie verloren.“
Auch Procházkovás Mann, der Filmregisseur Ivan Pokorný, ist glücklich über die Entscheidung, weggezogen zu sein. Wer wolle schon freiwillig im Disneyland leben, fragt er im Interview. Die Alkoholtouristen hätten ihn nicht nur regelmäßig geweckt. Sie hätten auch immer wieder sein parkendes Auto beschädigt:
„Das war so ein Sport. Drei oder vier Rückspiegel im Jahr waren normal. Jetzt wohnen wir außerhalb, und seit zwei Jahren habe ich immer noch die gleichen Spiegel. Das ist für mich neu.“
Die Hoffnung, dass sich an der Situation etwas ändert, hat Pokorný mittlerweile verloren. Anders sieht das Petr Městecký. Er lebt noch immer in seiner Wohnung im Zentrum. Und er hat eine Bürgerinitiative gegründet. Sie heißt „Snesitelné bydlení v centru Prahy“ („Erträgliches Wohnen im Zentrum von Prag“) und kämpft gegen die bei den Sauftouristen beliebteste Unterbringungsform an, die Kurzzeitunterkünfte, die etwa über Airbnb vermittelt werden. Ein Drittel aller Besucher sei illegal untergebracht, schätzt Městecký. Dadurch entgingen der Stadt nicht nur Einnahmen, sondern auch der Wohnraum für die Prager werde knapp, sagt er.
Aus einer anderen Perspektive blickt Barbora Scherf auf das Phänomen. Sie ist die Pressesprecherin von Prague City Tourism. Im Interview erläutert sie, dass man die Alkoholtouristen, die etwa nur für Junggesellenabschiede anreisen, keinesfalls in der Stadt wolle. Stattdessen ziele man auf eine wohlhabende und gebildete Klientel ab.
Aber kann Prag sein Image als billige Alkoholmetropole loswerden? Der YouTuber Janek Rubeš, der auf seinem Kanal „Honest Guide“ über Touristenfallen aufklärt, hat da seine Zweifel. In einer der wenigen noch verbliebenen urigen Kneipen im Prager Zentrum sagt er beim Bier:
„Die Stadt sollte kein Hosenscheißer sein, sondern mit der Hand auf den Tisch hauen. In Prag ist es verboten, Alkohol auf der Straße zu trinken. Eine entsprechende Verordnung gibt es schon lange. Wenn die Polizisten den betrunkenen Touristen Strafen von mehreren Hundert Euro aufbrummen würden, würde ihnen vermutlich eines Tages klarwerden, dass das verboten ist.“
Wer sind die jungen Männer, die nach Prag reisen, um sich die Kante zu geben? Wer sind die letzten Mieter, die nicht weichen wollen? Und können neue Regelungen, wie das vor Kurzem beschlossene Verbot von Pub crawls, etwas ändern?
Unser Redakteur hat zum Sauftourismus in Prag recherchiert und ist dabei auch mit einigen Betrunkenen aus Deutschland ins Gespräch gekommen. Und er hat das Selbstexperiment gewagt und ist für mehrere Monate ins Zentrum der Hauptstadt gezogen. Ist die Lage wirklich so schlimm ist, wie überall berichtet wird?
Die gesamte Sendung zum Alkoholtourismus in Prag hören Sie in der Audioversion des Beitrags.