Begegnungen in Böhmen: Edmund Sterns Anleitung zum Kennenlernen des Nachbarn

Edmund Stern, 'Begegnungen in Böhmen'

„Begegnungen in Böhmen“ heißt ein Bildband von Edmund Stern. Sein Ziel ist es, den Nachbarn und seine Eigenheiten besser kennenzulernen. Der Autor hat sein Buch im November beim Festival „Šumava Litera“ in Vimperk / Winterberg vorgestellt. Dort traf auch Martina Schneibergová mit Edmund Stern zusammen.

Herr Stern, Sie haben im Rahmen des Festivals „Šumava Litera“ feierlich Ihr Buch „Begegnungen in Böhmen“ vorgestellt. Sie beschreiben spannende und ungewöhnliche Begegnungen, die Sie bei Ihren Reisen nach Böhmen erlebt haben. Seit wann besuchen Sie Böhmen?

Edmund Stern | Foto: Martina Kožíšek Ouřadová,  Šumava Litera

„1968 war meine erste Begegnung mit dem Nachbarland. Das war ausgerechnet im Sommer, kurz vor der Invasion. Natürlich waren dann die Reisen nicht mehr so leicht. Und erst nach 1989 waren richtige, intensive Begegnungen möglich.“

In Ihrem Bildband stellen Sie viele Menschen vor, darunter Künstler, Kommunalpolitiker und einfach interessante Leute. Wie ist es Ihnen gelungen, so vielen besonderen Menschen zu begegnen?

„Ich hatte einfach Glück, sagen wir es so. Mit dem Fahrrad sind die meisten Begegnungen möglich, denn aus dem Auto heraus hat man schlecht Kontakt zu den Leuten. Aber mit dem Fahrrad kann man riechen, was gekocht wird, oder man kann über den Gartenzaun miteinander sprechen. Es kommen echte, schöne Begegnungen zustande.“

Haben Sie aus diesem Grund Tschechisch gelernt, oder wie kam es dazu?

Edmund Stern,  'Begegnungen in Böhmen' | Foto repro: Hana Slavická,  Radio Prague International

„Ich wollte Tschechisch eigentlich nicht verstehen, weil die Transparente in der totalitären Zeit für mich ätzend waren. Darum bin ich auch nicht in die ehemalige DDR gefahren, die verstand ich ja. In der Tschechoslowakei sprachen die Leute in der Grenznähe meistens Deutsch. Und zum Bier oder Essen zu bestellen reichte zum Beispiel Englisch. Aber nach der Wende hatte ich zufällig die Gelegenheit, mit dem ehemaligen Außenminister Jiří Dienstbier ein Bier zu trinken. Und dabei, am Tag der offenen Grenze im Februar 1990, wurden in Železná Ruda dann Adressen getauscht. Ich hatte ihn direkt angesprochen, um Schulkontakte möglich zu machen.“

Waren diese dann möglich?

„Ja, sie wurden schnell realisiert. Ich kam mit vielen Leuten zusammen. Und ich merkte plötzlich, dass die tschechische Seite mehr oder weniger gut Deutsch spricht und ich gar nichts konnte. Das war irgendwie ein Ehrgeiz, ob ich das schaffe oder nicht.“

Edmund Stern,  'Begegnungen in Böhmen' | Foto repro: Hana Slavická,  Radio Prague International

An Ihrem Buch ist sehr zu schätzen, dass Sie bestimmte tschechische Eigenheiten entdeckt haben, die für die Deutschen oft völlig unbekannt sind – wie zum Beispiel die eingelegten Würstchen, die „utopence“ genannt werden…

Edmund Stern,  'Begegnungen in Böhmen' | Foto repro: Hana Slavická,  Radio Prague International

„Genauso ist es. Es ist sehr interessant, wie man ,Ertrunkene‘ essen kann – denn ,Utopenec‘ heißt ,Ertrunkener‘. Oder auch die kleinen Mehlspeisen ,Rakvičky‘ und ,Věnečky‘, die wortwörtlich ,Särglein‘ und ,Kränzchen‘ heißen. Auch beim Bier gibt es Unterschiede. Die Tschechen haben ein Zehner- und ein Zwölferbier. Die Deutschen oder die Bayern meinen dann, das wären zehn- und zwölfprozentige Biere. Das ist aber nur die Stammwürze. “

Sie stellen im Buch beispielsweise auch den Fotografen Jan Kavale vor, der auf Tschechisch ein „tramp“ ist. Wie würden Sie das übersetzen?

Tramps | Foto: Irena Šarounová,  Tschechischer Rundfunk

„Ja, diese Tramps. In Deutschland haben wir ja die englischen Ausdrücke nicht übersetzt. Dies war eine florierende Subkultur in der totalitären Zeit, die eine kleine Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag bedeutete. Die Songs waren ursprünglich englisch-amerikanisch. Und eines der interessanten Lieder dieser Bewegung war ,Cesta na západ je dlouhá‘, auf Deutsch ,Der Weg in den Westen ist lang‘. Das war von den Geheimdienstlern nicht gern gehört und gesehen.“

Sie haben bei Ihren Reisen auch eine interessante Persönlichkeit getroffen – František Hadrava…

„František Hadrava ist ein sehr interessanter Mann. Sein Hobby ist nämlich der Nachbau von alten Militärflugzeugen aus dem Ersten Weltkrieg. Er hat einen Dreidecker à la Richthofen nachgebaut und auch für uns geflogen.“

In Ihrem Bildband befindet sich ein schönes Foto von einer Ausstellung, die an einer Bushalterstelle stattfand. Haben Sie sie mitorganisiert?

Edmund Stern,  'Begegnungen in Böhmen' | Foto repro: Hana Slavická,  Radio Prague International

„Der Künstler Václav Fiala hatte das organisiert. Er ist Bildhauer und lebt in Klattau. Er wollte während der Sommersaison eine Ausstellung mit meinen Bildern von den Begegnungen in einer Bushaltestelle machen, die noch in Betrieb ist. Das wäre bei uns in Deutschland nicht möglich.“

Wir treffen gerade beim Literaturfestival in Vimperk zusammen. In Ihrem Buch kommt der Böhmerwald sehr oft vor. Wohin führten Ihre Fahrten oder Reisen außerdem?

„Wir bewegen uns in konzentrischen Kreisen vom Böhmerwald aus, Der Ausgangspunkt ist der Grenzbahnhof in Železná Ruda. Dann trauen wir uns weiter und weiter, bis wir Südböhmen, Příbram, Prag und auch Nymburk besuchen. Ich war sogar in der Brauerei und habe diese Ehrentafel gesucht, von der Bohumil Hrabal schreibt, er wolle keine Gedenktafel und wenn, dann nur in einer Höhe, wo die Hunde hinpinkeln können. Die wollte ich unbedingt sehen, und den Film ,Postřižiny‘ (,Kurzgeschnitten‘, Anm. d. Red.) kenne ich ebenfalls. Ich habe mein Buch auch geschrieben, damit die Deutschen ein anderes Bild von dem Nachbarn bekommen. Es gibt ja so Stereotypien. Man geht fährt rüber zum Tanken, Casinobesuch oder Zigarettenkaufen. Aber das ist sehr wenig. Am Ende des Buches gibt es eine Bücherliste. Dies sind Titel, die ich selbst gelesen habe und die ich empfehle. Und da sind natürlich einige Klassiker dabei.“

Edmund Stern,  'Begegnungen in Böhmen' | Foto repro: Hana Slavická,  Radio Prague International
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