Christkind, Santa Claus und transatlantische Nagelpflege
Beatles oder Rolling Stones? Slavia oder Sparta? Die Antworten auf die beliebtesten Entscheidungsfragen geben nicht nur Auskunft über Musikgeschmack oder Lieblingsmannschaft. Wer sich freimütig zur Rockband A oder zum Fußballteam B bekennt, der lässt schon mal gerne eine ganze Weltsicht mitschwingen, einen bestimmten Lebensstil, eine quasireligiöse Überzeugung. Den Weihnachtsklassiker unter den Entscheidungsfragen diskutieren alle Jahre wieder die Tschechinnen und Tschechen: Christkind oder Santa Claus?
Dabei geht es – kaum überraschend – auch um eine Auseinandersetzung zwischen dem „Heimischen“ und dem „Fremden“. Gute tschechische Tradition ist demnach das Christkind, hierzulande Ježíšek genannt. Ein kurzer Blick in die Nachbarländer verrät uns, dass das Christkind überdies nicht nur ein tschechisches, sondern ein ganz und gar mitteleuropäisches Wesen ist. Anders ist das bei Santa Claus. Er kommt, so will es das Märchen, mit seinem Schlitten aus dem hohen Norden. In Wirklichkeit aber kommt der neuzeitliche Weihnachtsmann aus Amerika – das satte Coca-Cola-Rot seines Mantels mag uns stets daran erinnern.
Also: Christkind oder Santa Claus? Die meisten Tschechen sagen: Christkind. Viele werden mit Santa Claus wohl auch deshalb nicht so richtig warm, weil er stark an Väterchen Frost erinnert, jenen ungeliebten Gesellen, der einst aus Russland geschickt wurde, um hierzulande profan seine Gaben zu verteilen. Trotzdem ist Santa Claus in der Vorweihnachtszeit präsenter als Ježíšek. Grund: Er lässt sich besser abbilden. Obwohl die Tschechen also eigentlich ihr eher stilles europäisches Christkind lieben, verschafft sich der knallrote Weihnachtsmann mit Ho-ho-ho und amerikanisch-geschäftstüchtigem Durchsetzungswillen locker eine Vormachtstellung im vorweihnachtlichen Stadtbild.
Unwillkürlich drängt sich da eine andere Entscheidungsfrage auf, eine, die sich Tschechien in den vergangenen 20 Jahren, also seit dem Sturz des kommunistischen Systems, immer wieder gestellt hat: Europa oder USA? Für viele Politiker und Kommentatoren lag darin überhaupt kein Widerspruch. Andere aber betonten das „Entweder - Oder“ mehr als das „Sowohl - Als auch“. Während einige
auf eine möglichst rasche Integration in die europäischen Strukturen hinarbeiteten, gab es andere, die Tschechien offenbar am liebsten zum 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika gemacht hätten.Mit der neuen Führung in Washington und der Ratifizierung des Lissabonner Vertrags hat sich diese Diskussion nun einigermaßen beruhigt. „Christkind oder Weihnachtsmann“ wird man dieses Jahr wohl häufiger hören als „Europa oder USA“. Ihrer Zeit voraus waren übrigens die Besitzer des vietnamesischen Maniküresalons neben dem Prager Funkhaus. Auf dem Firmenschild steht schon seit Jahren: EuroNails - American Style.