Cítoliby

Kein Zweifel besteht daran, dass auf der musikalischen Karte Tschechiens dem kleinen Ort in Mittelböhmen, Cítoliby, eine besonders hervorragende Stellung gehört. Markéta Maurová und Olaf Barth laden Sie nun nach Cítoliby ein.

In die Geschichte der Gemeinde Cítoliby, die im 20. Jahrhundert mit der Stadt Louny verschmolzen ist, griff besonders prägend das Adelsgeschlecht von Schützen ein, das sich dort Mitte des 17. Jahrhunderts niederlassen hatte. Die von Schützens sorgten für den barocken Umbau des Schlosses und der Kirche sowie die Errichtung eines Schlossparks, wobei sie zur künstlerischen Ausschmückung ihres Sitzes die führenden Künstler jener Zeit mit Matthias Braun, V. V. Reiner und Peter Brandl an der Spitze berufen hatten. Stauten aus der Werkstatt Brauns zieren den Schlosspark sowie die Kirche, an deren Wand wir zwei allegorische Figuren des "Glaubens" und der "Zeit" bis heute finden.

Den von Schützens lag nicht nur am Aussehen des Schlosses, sie widmeten sich auch mit großer Aufmerksamkeit dem musikalische Leben darin. In diesem Bereich machten sich aber vor allem ihre Nachfolger, die Herren Pachta von Raihofen verdient. Das bemerkenswerteste Mitglied dieser Familie war in dieser Hinsicht Graf Johann Josef Pachta, der sich noch am Anfang des 19. Jahrhunderts eine bekannte Kapelle in Prag hielt, sich an der Gründung des Konservatoriums beteiligte, selbst Klavier spielte und komponierte. Außerdem war er mit Myslivecek, Mozart und Richard Wagner persönlich bekannt. Jan Josef konnte jedoch schon den Weg gehen, den seine Vorgänger geräumt hatten: Johann Joachim und besonders Ernst Karl der ein bedeutendes Zentrum der barocken Musikkultur aus Cítoliby schuf.

Nichts kann uns die Atmosphäre der alten Zeiten besser vermitteln, als die Aussage eines Augenzeugen. Ein solches Zeugnis liegt uns vor. 1982 hatte der deutsche Archivar Werner Frese bei Ordnungsarbeiten im Archiv des Freiherrn Droste zu Senden zwei kleine Oktavhefte gefunden, die in gleichmäßig schöner Schrift Zeile für Zeile und fast ohne jeglichen Absatz auf 105 Seiten beschrieben waren. Ein fließendes Lesen wurde durch die nur rudimentäre Zeichensetzung, die eigenwillige Grammatik und Orthographie stark beeinträchtigt. Doch bei einer gründlicheren Erfassung wurde festgestellt, dass es sich um das Tagebuch eines aus Böhmen stammenden Lakaien, Johannes Commenda handelt, der nach 1744 über drei Jahrzehnte lang in Westfalen diente. Für unsere Erzählung sind seine Notizen aus dem Jahr 1746 interessant, als er mit seinem Herrn v. Droste Böhmen, besonders den Sommersitz dessen Verwandten von Ledebur in Perutz besuchte. Der Sommer- und Herbstaufenthalt auf Perutz wird von Commenda als eine ununterbrochene Folge von verschiedenen Unterhaltungsaktivitäten geschildert: Besuche der Nachbarn - und dabei gerade auch drei Besuche in Cítoliby, Jagd, und nicht zuletzt Musik und Tanz.

Hansel Commenda selbst zeichnete sich - ähnlich wie andere Diener in seiner Umgebung durch seine Musikalität aus. Er beherrschte die Violine, das Waldhorn und den Dudelsack, konnte Noten schreiben und schließlich besorgte und kopierte er neue französische Tänze für die Adeligen.

"Zu Perutz, da gehe ich zu Dudlack und lehrne ich den Dudelsack blasen. Ich habe baldt darauf gelert. Ich habe ihn abgekaufft für zwei Gulden. Ich habe unterschüllige Wiolinisten, die mich zu den Dudelsack gespielt haben: baldt wahr Joannes Negdley, Michel, Joseph, Canter. Meine pestendickste wahr alte Jürgen, wahr Jäger, der wahr mit mir geduldig, wann sein einige gewesen, die daß Geschrey und Brumel haben nicht von den Dudelsack hören mögen. So sacht mich mein alte getreyer Jürcka als Wiolinist: "Joannes, komm lieber werden wir in Busch gehen und spiellen, solang als wir wolte. Der gärne hert, wird schon kommen zu uns."

Einen besonderen Eindruck machte auf Hansel das Schloss Cítoliby, welches dem Grafen Pachta gehörte und nur 10 km von Perutz entfernt lag. In seiner Darstellung schildert er jedoch weniger das hohe Niveau der dortigen geistlichen Musik, als vielmehr die schöne Gräfin von Pachta und das dortige Vergnügen:

Es ist ein Thun, ob ist im Jullio oder im August gewesen sein gefart nach Citolib zur Graff Bachta und zu die schöne Graffin, lustige Dame. Da seindt auch Musicanten gewesen. Ist da auch nicht traurich gangen.

Und einige Zeilen weiter können wir lesen:

"Die große Taffel wahr bereit zum Essen. Nach die Taffel die Musicante schon bereit angefangen zu spillen. Der Ball ist angegangen und die gantze Nacht verhahret. Da kombt alle Augenblick Graff Bachta oder Baraon Casper von Ledebur herauff wie auch die gnädige damesen, genennt die schöne gnädige Graffin Bachta wie auch die hochwohlgebohren Freylein Sophia von Ledebur, Freylein Wigerle und viele andere alle Augenblick zugesprochen. Und ich habe eine Notenbuch bey mir gehabt, wie noch dato habe, mit die franschesische Tantzen; die habe ich die Musicanten geben zu spielen. Vorher hatt die schöne, lustige Graffin von Bachta getanzt; zu Perutz mich beckert abzuschreiben. Seindt 24 Tantze gewesen. Des Morgens wahr Ball vorbey. Ich bekombt mein Conter-Tantzbuch wieder und schreibe 24 Tantz für die Graffin auß zu Perutz. Sie ist zweite oder dritten Tag zu Perutz kommen, zu vernehmen, wie mit gnädiger Herr geth. Unterthesen habe ich die Tantzen fertig gehabt. Ein Ducat bekommen."

Graf Ernst Karl Pachta von Raihofen hatte eine enge Beziehung zur Musik und zum Hausmusizieren. Diese Vorliebe spiegelte sich auch bei der Anstellung seiner Diener und Beamten wieder. Der Komponist Zdenek Sestak beschrieb diese Praxis in seiner Studie über die Musik von Cítoliby folgendermaßen:

"Die Berichte aus den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts sprechen darüber, dass die meisten Leute beim Pachta-Hof Musiker waren, vom Hofmeister, dem gräflichen Sekretär, Hofkaplan, Stallmeister bis zu Lakaien. Es war eine typische Dienerkapelle des 18. Jahrhunderts, die wohl von Zeit zu Zeit je nach der Bedeutung des Auftrittes ergänzt wurde, und zwar nicht nur aus den Reihen der Kantoren und Präzeptoren, sondern auch der Beamten, lokalen Priester, Forstmeister, Braumeister, Röhrmeister und anderer Handwerker überhaupt, die beim Hof von Cítoliby angestellt waren."

So ähnliche Verhältnisse herrschten nicht nur in Cítoliby. Im nahen Perutz war es nicht anders, wie wir bei Hans Commenda erfahren können.

"Ich schreibe und bekönne, daß mich die Zeit zu Perutz nicht lang worden, indem alle Tage früsche Fürenderung. Da ist alles musicalisch gewesen, nur allein der alte Joannes Schneider nicht und Frantz Koch auch nicht."

"Die Ersuche um Arbeitsstellen bei Pachta zeigen am besten, dass bessere Aussichten der hatte, wer ein fähiger Musiker war. Der sich um eine Anstellung in der Brauerei von Cítoliby bewerbende Braumeister, vergisst nicht zu bemerken, er sei ein guter Klarinettist mit Praxis. Wenn wir im Nachlass des Stallmeisters einen Druckband von Corellis Geigensonaten finden, unter denen sich auch die berühmte La Folia befindet, können wir uns ganz konkret und unübertrieben vorstellen, wie hoch die dortige Musikkultur war. Ebenso der erhaltene Vertrag über die Anstellung des Stallmeisters spricht klar und eindeutig von dessen Pflicht, sich aktiv an der Schloss- und Kirchenmusik zu beteiligen", schreibt Zdenek Sestak.

Dieses günstige Milieu schuf Voraussetzungen dafür, dass in Cítoliby begabte und vielseitige Musiker, und sogar Musikfamilien leben konnten, in denen das Spiel, aber auch die Funktion eines Kapellmeisters und Chordirektors vererbt und weitergeben wurde. Das schönste Beispiel bietet die Familie Kopriva, deren Mitglieder das musikalische Leben in Cítoliby während des geamten 18. Jahrhunderts prägten.

Der erste war Vaclav Jan Kopriva, Sohn eines Müllers aus dem nahen Dorf Brloh. Die ersten musikalischen Kenntnisse bekam er von seinem Paten Martin Antonin Kalina, der Kantor und Repräsentant einer anderen bedeutenden Musiker-Familie in Cítoliby war. Eine weitere Ausbildung erlangte Vaclav Jan in Prag, wo er beim Organisten der Kreuzherrenklosters und Komponisten Dollhopf studierte. Kopriva hinterließ eine Menge bemerkenswerter geistlicher Kompositionen, in denen er typische Merkmale des Barock mit pastoralen Volksweisen vereinigte.

An das Werk des Vaters knüpfen zwei seiner Söhne, Jan Jachym und Karel Blazej, an. Besonders der letztgenannte erfreute sich einer besonderen Begabung, er starb jedoch im Alter von nur 29 Jahren an Tuberkulose, ohne sein - schon frühklassizistisches Werk - vollenden zu können.

Die Koprivas waren jedoch nicht die einzigen Musiker und Komponisten in Cítoliby. Auch Jan Adam Kalina und sein Vorgänger Jan Janousek als Direktoren der Schlossmusik machten sich an der Entwicklung des musikalischen Lebens in Cítoliby verdient, ebenso wie der Musiker und Komponist Jakub Lokaj. Der Sohn eines Dorffiedlers Jan Vent vollendete seine in Cítoliby gestartete Karriere in der Schwarzenberger Kapelle und sogar beim kaiserlichen Hof in Wien.

Autoren: Olaf Barth , Marketa Maurova
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