Der Architekt aus Böhmen, der in die Geschichte Japans einging
Er gilt als einer der Begründer der modernen japanischen Architektur: Antonín Raymond aus der Nähe von Prag. Doch in seiner ursprünglichen Heimat wird er gerade erst neu entdeckt. Dazu beitragen soll eine Ausstellung, die Ende Oktober in der Prager Galerie Jaroslav Fagner eröffnet wurde. Sie stellt stellvertretend nur sieben Projekte von Raymond vor. Der Vernissage vorausgegangen war eine Vortragsreihe über Antonín Raymond. Wer also war dieser in Tschechien vergessene Architekt?
„Raymonds außerordentliches Talent entdeckte bereits sein Lehrer an der Prager Realschule, der Vater des bekannten Malers Cyril Bouda. Er gab ihm eine Empfehlung für die weiterbildende polytechnische Schule. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert studierte Raymond in den Ateliers der renommierten Prager Architekten Josef Schulz, der am Bau des Nationaltheaters beteiligt war, und Jan Koula, einem Verfechter der modernen Kunst. Nach zwei Jahren brach Raymond das Studium jedoch ab.“
„Nach einem Tanzabend des Studentenvereins, in dem er als Kassenwart tätig war, machte er sich aus dem Staub samt der Kasse mit insgesamt 3500 österreichischen Kronen. Das war sehr viel Geld. Moralisch war das natürlich nicht in Ordnung. Nach Meinung damaliger Kunsthistoriker soll deswegen die tschechische Architektur sogar für einige Jahre stagniert haben. Denn in der Vereinskasse befanden sich unter anderem auch Gelder für Stipendienaufenthalte mehrerer Studenten. In den zwei folgenden Jahren konnte keiner der Studierenden ins Ausland gehen.“
Das entwendete Geld scheint auf der anderen Seite dem angehenden Architekten den Start zu einer illustren Karriere erleichtert zu haben.„Über Italien und Chile flüchtet Raymond nach Amerika und landet in New York. Seine künstlerische Spürnase führt ihn zur progressiven Architektur. Vorerst beteiligt er sich jedoch drei Jahre lang an verschiedenen Projekten des bekannten Architekten Cass Gilbert. Der Amerikaner ist durch den Bau des ersten Wolkenkratzers in Manhattan, des sogenannten Woolworth Building, in die Geschichte eingegangen. Antonín Raymond leistet mit seinem von neugotischem Dekor stark geprägten externen Design des Hauses einen Beitrag dazu. Allerdings sind für ihn damals die Lebensumstände in New York keineswegs rosig. Später kommt Raymond zum Schluss, dass die Neugotik nicht der richtige Weg für ihn sei. Schon während des Studiums in Prag war er modernistischen sowie auf den Jugendstil konzentrierten Architekten begegnet. In New York spricht ihn besonders die progressive Architektur von Frank Lloyd Wright an.“
Die Erde bebt, das Hotel Imperial steht
In dieser Phase bricht aber der Erste Weltkrieg aus. Antonín Raymond, damals schon US-Bürger, geht als Offizier des amerikanischen Nachrichtendienstes nach Genf. Dort arbeitet er unter anderem mit einer Gruppe um T.G. Masaryk, dem späteren ersten Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, zusammen. In der dramatischen Situation bei der Gründung der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1918 bringt Raymond das erste Auto des US-amerikanischen Botschafters nach Prag, er selbst kehrt aber nach New York zurück.„Dort nimmt ihn Frank Loyd Wright in sein Atelier auf. Gemeinsam mit ihm projektiert er das Hotel Imperial für Tokio. Während Wright in den USA bleibt, reist Raymond nach Japan, um das Projekt zu realisieren. Das typische Wrightsche Gebäude aus Naturziegeln, reichlich verziert mit Art-Deko-Design, gilt allgemein als das erste Haus moderner Architektur in Japan. Es zeichnet sich durch hohe Bauqualität und exzellent berechnete Statik aus. Im September 1923 übersteht es ein starkes Erdbeben, das fast ganz Tokio zerstört. Ab da genoss das Hotel Imperial einen sehr guten Ruf.“
In den 1960er Jahren wurde das Haus jedoch abgerissen, um einem neuen Hotel für rund 2000 Gäste Platz zu machen. Nach dem Erdbeben stieg in Japan die Nachfrage nach neuen Bauten im modernen amerikanischen Stil stark an. Raymond, der ab 1919 in Japan lebte, war bereits selbständiger Unternehmer, als er sich am Wiederaufbau von Tokio beteiligte. Er wurde von Aufträgen nur so überschüttet.Im Stil des Prager Kubismus
An allen Projekten arbeitete er zusammen mit seiner Frau Noémi, die er während einer Schifffahrt nach Amerika kennengelernt hatte. Die bildendende Künstlerin schweizerischer Abstammung entwarf für viele Bauten ihres Mannes die Gestaltung der Innenräume einschließlich der Möbel. Allein in der japanischen Hauptstadt gehörte dazu eine Reihe öffentlicher, religiöser und privater Gebäude verschiedenster Größe. So entstand zum Beispiel auch die christliche Schule Seishin Joshi Gakuin, eine ungewöhnlich elegante Fusion unterschiedlicher Baustile. David Vávra:„In ihrem unteren Teil befindet sich ein Kreuzweg, vollständig im hochkonservativen neugotischen Stil gehalten, den man hierzulande von Kirchen mit dem Entstehungsdatum um 1880 kennt. Darüber wölbt sich eine unglaublich leicht wirkende Kuppel im konstruktivistischen Stil, der in einigen Einzelelementen an den Prager Kubismus erinnert lässt. Die darin eingesetzten Fenster würde ich hingegen als eine Reflexion des Stils Frank Lloyd Wrights bezeichnen. Bis heute ist dort alles original erhalten geblieben einschließlich der Handgriffe, geometrischen Geländer und weiterer Details.“
Interessant ist, dass diese katholische Schule eine ältere Vorgängerin hatte, um deren Entstehung sich auch ein tschechischer Architekt verdient gemacht hatte. Es war Jan Letzel, der 1909 eine Baufirma in Yokohama gründete. Von rund 40 Gebäuden, die mit seinem Namen in Japan verbunden sind, ist eines weltweit bekannt geworden. Der von ihm projektierte Industriepalast in Hiroshima überstand dank der Konstruktion aus Beton den Atombombenabwurf im Jahr 1945. Heute gilt das Gebäude als Mahnmal des Friedens. Letzel, den die Japaner „Yokon wasai“, Mann mit europäischem Denken und japanischem Gefühlsvermögen nannten, hat dies aber nicht mehr erlebt. Nach 1923 kämpfte er mit psychischen Problemen und verließ Japan. Zwei Jahre später starb er in einer psychiatrischen Anstalt in Prag.40 Jahre in Japan: 400 Bauprojekte
Raymonds erstes größeres Bauprojekt, das er als selbständiger Architekt in den Jahren 1921 bis 1924 realisierte, war die Tokioter Hoshi Pharmaceutical School. Das Blatt „The Japan Advertiser“ sprach damals davon, es entstehe „das modernste Schulgebäude im Fernen Osten“. David Vávra:„Die Hoshi School ist nach dem Unternehmer Hoshi benant, den man als König der japanischen Pharmaindustrie bezeichnen kann. Der Gesamtkomplex der pharmazeutischen Hochschule ist imposant. Über ein System von Rampen gelangt man zum Hauptsaal und in die einzelnen Etagen. Den zentralen Punkt bildet die Aula für ungefähr 1000 Studenten. Das japanische Wort ‚Hoshi‘ bedeutet ‚Stern‘, und die Decke der Aula ist auch wie ein Stern gestaltet, als symbolische Ehrung des bedeutenden Pharmaunternehmers. Wenn man aber den Fokus auf Böhmen richtet, könnte es auch eine Ehrung des Barockarchitekten Santini oder des tschechischen Kubismus sein.“
1938 flüchtete Raymond aus Japan vor den immer stärker werdenden faschistischen Tendenzen. Auf seiner Reise in die USA machte er einen Abstecher nach Prag. Das letzte Mal sah er dort seine Geschwister. Alle Familienangehörigen wurden im Holocaust umgebracht. Nach Japan kehrte er erst 1948 zurück, um sich am Wiederaufbau des zerstörten Landes zu beteiligen. Nach insgesamt 40 dort verbrachten Jahren hinterließ er rund 400 Bauobjekte. Der Raymond-Stil ist in Japan zu einem Begriff geworden. Bis heute besteht in Tokio ein Architekturatelier, das seinen Namen trägt. Sowohl in Japan als auch in den USA wurde der Tscheche mit hohen Auszeichnungen bedacht. Zwischen den Jahren 1926 und 1937 vertrat Antonín Raymond die Tschechoslowakische Republik in Japan auch als Honorarkonsul. Für die Verdienste um seine Heimat wurde ihm 1928 von Außenminister Edvard Beneš der Staatsorden des Weißen Löwen verliehen. 1973, drei Jahre nach seiner Rückkehr in die USA, verstarb der Architekt im US-Bundesstaat Pennsylvania, er wurde 88 Jahre alt.Seit kurzem bereitet die Prager Galerie Jaroslav Fragner in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Raymond in Tokio ein Projekt vor, das den herausragenden Architekten und sein umfassendes Werk nicht nur in Tschechien, sondern in ganz Mitteleuropa vorstellen soll. Und zwar unter dem Titel: „Antonín Raymond, der weltbekannte Unbekannte“.