Die Doppelgebärde der Welt - zum 90. Geburtstag des Lyrikers Joseph Hahn
Krieg, Verfolgung und Flucht - das europäische Trauma des 20. Jahrhunderts. Wer sein Leben retten konnte, hat dafür im Exil zumeist die Sprache verloren. Für viele Schriftsteller das Ende einer oftmals kaum erst begonnenen Laufbahn. Einer, der es geschafft hat, seinem schwierigen Lebensweg ein schmales, aber ausdrucksstarkes Werk abzuringen, ist der Lyriker und Zeichner Joseph Hahn, einer der letzten deutsch schreibenden Autoren aus Böhmen. Heute lebt er in den USA, geboren aber wurde er am 20. Juli 1917 im südböhmischen Bergreichenstein, dem heutigen Kasperske hory. Am vergangenen Montag ist Joseph Hahn 90 Jahre alt geworden.
Apokalyptische Visionen, Sorge und existentielle Verzweiflung sprechen aus der Lyrik und Graphik von Joseph Hahn, aber immer wieder auch Hoffnung und die Ergriffenheit vor aller Schöpfung. Seine Graphiken liegen in der Wiener Albertina, die Gedichte sind erst spät in vier schmalen Bändchen gesammelt. Das Werk von Joseph Hahn entstand unter schwierigsten Lebensumständen: 1939 die Flucht ins Exil, der Tod der Eltern in Theresienstadt und Auschwitz, dann in den USA die jahrzehntelange verzehrende Krankheit der geliebten Frau. Erst 2004 besuchte Joseph Hahn erstmals wieder seine ferne Heimat Böhmen.
Bohemia, heidelbeerblaues Verhängnis, zwischen Traum und Vergessen glüht noch dein Grün. Bohemia, irrlichtende Sühne, die Tränenkrüge schöpften dich leer. Bohemia, verhüllt in die Maie, neben den Uhrenpuppen zu Prag dreht sich mit seinen zwölf Enterbungen das hämisch fortgewendete Los. |
Sie sind nach 65 Jahren zum ersten Mal wieder hier in Tschechien - ich stelle mir das nicht einfach vor, nach so langer Zeit wieder zurückzukommen. Sie wirken aber vollkommen gelöst.
Die Rückkehr war für mich keine Schwierigkeit. Ich suche hier nur das Schöne, das immer hier war - zum Beispiel der Altstädter Ring. Den habe ich mir jetzt noch einmal bei Nacht angeschaut, und das war ein Märchen! Da bin ich also zu einem Märchen zurückgekommen. Das war überhaupt keine Schwierigkeit.
Was ist Böhmen heute noch für Sie? Ihre Heimat? Das Land ihrer Jugend?
Ich bin ein Weltbürger - ganz einfach. Ich will es nicht eingestehen, dass ich noch Bezug zu meiner alten Heimat habe, denn die ist ganz verwüstet. Ich will nicht Bezug zu einer furchtbaren Wüste haben. Mein Geburtshaus wurde zerstört, dort ist nur noch eine Grube im Gras übrig geblieben. Das ist keine Heimat."
Auf blutroten Horizonten speit im Astralgesirr der Grausamkeit der stahlhäutige Drache Krieg. Kummerblass klagen die Mütter vor ihren erschlagenen Kindern: Enggewoben ist das Prachtgewand das Gottes Gleichgültigkeit verbirgt. Doch ständig spricht ein Rispenmund: Selbst im schlichtesten Halm erschließt sich der lebendige Geist. Finsternis und Strahl sind eine Gebärde der Lebendigkeit. Über dem Abgrund vollzieht sich ihr Tanz. Auch Du musst ihn vollbringen. |
"Es ist offensichtlich, dass Poetik inmitten des gegenwärtigen unerbittlichen Gewoges von Gier und Geistesentgleisung sich nicht von der weltweiten Tragik der Menschen und Geschöpfe abwenden soll. Das heißt aber nicht, dass die heutige Lyrik nur tragisch sein soll. Sie muss immer wieder die Doppelgebärde von Herrlichkeit und tödlicher Finsternis des Daseins neu erschaffen. In der Tragik jedoch vollbringt sie ihre derzeit wichtigste Aufgabe durch die Auflehnung gegen die weltweite Epidemie der Lebensverneinung."
Sie schreiben über die "Doppelgebärde der Welt", also die Gleichzeitigkeit von Tragik und Herrlichkeit. Nach dem langen 20. Jahrhundert, das Sie fast ganz miterlebt haben - woher nehmen Sie die Hoffnung oder die Sicherheit, dass die Welt auch Herrlichkeit bietet?
"Die Herrlichkeit besteht noch in der halb zerstörten Natur. Wenn wir die Natur ganz zerstörten, wird es auch keine Herrlichkeit mehr geben. Dann kommen wir näher und immer näher zu einer Mondlandschaft. Ich glaube es ist heute die Pflicht des Künstlers, sich zu denen zu stellen, die immer noch etwas für die Welt machen wollen, und nicht nur jammern."
Missachtest du deinen Engel, dann wird die Erde ein pockennarbiger Mond. Gedenke, gedenke: Das Schicksal reitet die Erde und horcht. |
"Ich möchte etwas sagen über die egozentrische Adoleszenz. Also die Unreife der Menschheit, die noch immer egozentrisch ist. In der heutigen Zeit ist das falsch. Die Welt ist so klein und hängt zusammen - wenn man in so einer Welt nur an sich und seine Familie denkt, dann ist das schon ein Fehler."
"Wenn wir hinausgehen zu einem Bach, einem Wald - die Leute gehen vorbei, damit sie dann zu Hause sagen: wir waren da und da. Aber in Wirklichkeit waren sie gar nicht da! Man kann doch nicht sagen, dass man irgendwo war, wenn man nicht aus seelisch dort war."
Das ist ja eigentlich fast ein misanthropisches Weltbild. Aber so wirken Sie gar nicht...
"Nicht wirklich. Ich bin kein Misanthrop. Aber ich bin ganz gegen die Leute, die keinen Respekt vor der Natur haben. Ich komme immer wieder zu dem ganz einfachen Wort von Albert Schweizer zurück: die Ehrfurcht vor dem Leben. Und wenn man das nicht wirklich hat, und vielleicht nur die Ehrfurcht gegenüber Menschen aufbringt, dann ist das lange nicht mehr genug."
Und immer verschleicht sich die Hydra im finstersten Seelengeschlüpf und längst schon ist die Meduse im Sold des zerkrähten Wahns. Doch zur erlesenen Stunde geraten die Brunnen in helles Gesprudel und über dem Abgrund hallt der Geschöpfe Gejauchz: Lebendigkeit, höchstes der Wunder, blühende Rose des Alls zwischen Nirgends und Nie. |
Sie haben lange Zeit ganz bewusst kein Deutsch gesprochen. Wie kann man in einer Sprache dichten, von man sich zugleich fern halten möchte?
"Ich halte mich nicht geistig fern. Das gewöhnliche Deutsch mundet mir überhaupt nicht. Es erinnert mich noch immer an die Täter, an die Verbrecher. Nicht viel, aber immerhin ist es ihre Sprache. Aber das große Deutsch von Goethe, Heine und Büchner, das ist mein Deutsch, und darin bin ich zu Hause."
Sie mussten - oder konnten - schließlich nach Amerika ins Exil gehen. Das klassische Bild vom ´Schmelztiegel Amerika´ - funktioniert das? Haben sie in Amerika ein zu Hause gefunden?
"Ich schmelze nicht so schnell. Ich habe in Vermont die Natur gefunden - nach 40 Jahren Plage in New York, das ich gehasst habe. In New York musste ich arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber geschmolzen bin ich nirgends. Ich schmelze nur in der Natur."
Zuletzt ist von Joseph Hahn der Band "Die Doppelgebärde der Welt" erschienen - Gedichte, Prosa und Zeichnungen, herausgegeben 2004 von Thomas B. Schumann in der Edition Memoria in Hürth. Das Buch kostet 25 Euro.