Nah pocht der Herzschlag der Welt - nach 65 Jahren kehrt der Lyriker Joseph Hahn erstmals wieder in seine Heimat zurück
Zu einem beeindruckenden Abend hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft am Montag in das Prager Goethe-Institut geladen. Der Titel: "Böhmens Dichter deutscher Sprache". Im Mittelpunkt des Abends stand der 87jährige Lyriker und Graphiker Joseph Hahn, der nach 65 Jahren erstmals wieder in seine böhmische Heimat zurückkehrte. Mehr von Thomas Kirschner.
Verfolgte Künste, Künstler im Exil, das ist das Thema des 12. Else-Lasker-Schüler-Forums, das derzeit mit zahlreichen Veranstaltungen in Prag stattfindet - wir haben an dieser Stelle bereits berichtet. In diesem Rahmen hatte die Lasker-Schüler Gesellschaft am Montag Deutsche und deutsch schreibende Dichter aus den böhmischen Ländern zu einer gemeinsamen Lesung eingeladen. Es kamen die in der Nähe von Pilsen gebürtige Barbara von Wulffen und die Pragerin Lenka Reinerová, die mit gewohnter Leichtigkeit von ihrer Freundschaft mit Egon Erwin Kisch berichtete. Im Mittelpunkt des Abends aber stand der Lyriker und Graphiker Joseph Hahn. 1917 in Kasperske Hory / Bergreichenstein in einer jüdischen Familie geboren, konnte er den deutschen Okkupanten ins amerikanische Exil entkommen. Aus New York reiste Hahn nun nach 65 Jahren erstmals wieder in seine böhmische Heimat, um aus seinen Gedichten zu lesen. Vor das Publikum trat ein aufrechter, kleiner Mann mit straffem Körper und wirren weißen Haaren, dessen klare Stimme gar nicht zu seinem Alter passen will. Es ist keine Resignation darin zu finden - wenn er von Tragik redet, dann meint er damit nicht die Tragik seines Lebens, sondern die unserer Zeit. Diese zu zeigen, aber auch die Hoffnung, die ihr gegenübersteht, das sei die Aufgabe der Lyrik.
"Sie muss immer wider die Doppelgebärde von Herrlichkeit und tödlicher Finsternis des Daseins neu erschaffen."
So tut es auch Hahn in seiner Lyrik - etwa in dem kosmischen Gedicht "Nächte. offene Säle":
Nächte, offene Säle,
Es leuchten die Stirnen der Geschöpfe.
Nah pocht der Herzschlag der Welt.
Wem neigt sich das große Gehorch?
Was raschelt das Feuer der Leere?
Und was spricht der Seele leiser Zitterschlag?
Zur Ewigkeit fließt die Zeit,
Zum Ganzen tastet das Menschfragment
Und alle Lebendigkeit.
Dass auch über sechseinhalb Jahrzehnte hinweg die Verbindung Joseph Hahns zu seiner Heimat ungebrochen ist, bewies er auf eine Frage von Frantisek Cerny, dem ehemaligen tschechischen Botschafter in Berlin.
Frantisek Cerny: "Eine einzige Frage - Sie sind nach 65 Jahren zum Ersten Mal wieder in Prag. Was hat Sie überrascht?" Joseph Hahn: "Überrascht hat mich, dass ich hierher gekommen bin. Es ist wunderbar, ich bin sehr froh wieder hier zu sein, besonders in Prag. Ich glaube, es ist die schönste Stadt der Welt."