Die Erweiterungsdebatte als Katalysator bilateraler Beziehungspflege: Tschechien, Österreich und die EU

Wien

Radio Prag hat bereits davon berichtet: Vor etwa einer Woche fand an der Prager Karlsuniversität ein Symposion über die österreichisch-tschechischen Beziehungen statt. Diese waren ja vor allem in letzter Zeit nicht immer ganz komplikationsfrei gewesen. Hinsichtlich des mittlerweile nahezu gewissen EU-Beitritts der Tschechischen Republik tun sich jedoch auch hier neue Perspektiven auf. Zum sehr nahen, aber wohl auch deshalb schwierigen Verhältnis zwischen Tschechien und Österreich hören Sie den folgenden Schauplatz von Gerald Schubert:

Wer die Debatte um die Erweiterung der Europäischen Union in den letzten Monaten einigermaßen mitverfolgt hat, dem drängt sich möglicherweise ein eher unliebsamer Gedanke auf: Nämlich, dass diese immer wieder auch als Projektionsfläche, wenn nicht gar als Katalysator für politische Querelen und Querelchen herhalten musste. Gerade der bevorstehende EU-Beitritt Tschechiens war da für manchen etwas aufbrausenden Debattenbeitrag gut. Die ohnehin unscharfe Trennlinie zwischen sachlicher Diskussion und dem Spiel mit Emotionen wurde hier bisweilen gehörig verwischt.

Was das Verhältnis zwischen Tschechien und Deutschland betrifft, so kann man sich dort jedoch noch leichter zurechtfinden als in dem zwischen Tschechien und Österreich. Denn in ersterem wurden vor allem die historischen Altlasten rund um die Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland und die darauffolgende Vertreibung der Sudetendeutschen zum Inhalt der Auseinandersetzungen. Blickt man aber nach Österreich, so stellen sich die bilateralen Beziehungen um einiges komplizierter dar. Die Jahrhunderte lange Koexistenz in der Habsburgermonarchie wird hier zum Gegenstand unterschiedlichster Theorien über Gemeinsames und Trennendes. Und meist glaubt man dabei festhalten zu müssen, dass eben gerade das Gemeinsame das Trennende sei. Psychologismen über Geschwisterliebe und Geschwisterhass werden da ausgekramt, und zu den auch Österreich betreffenden Fragen der sogenannten Benes-Dekrete kamen aktuell noch die Konflikte um das südböhmische Kernkraftwerk Temelin hinzu.

Abseits der Wortwechsel mancher Politiker und vor allem abseits der Boulevardpresse gibt es jedoch eine gewaltige Menge von Initiativen, die das nachbarschaftliche Verhältnis auszubauen verstehen. Zahlreiche Regionalpartnerschaften, Austauschprogramme im universitären Bereich oder der Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen seien hier als Beispiele genannt. Die Liste lässt sich fortsetzen. Gerade jetzt etwa gibt es in der Österreichischen Nationalbibliothek eine große Ausstellung, die die ineinander verwobene Entwicklung der Städte Prag und Wien präsentiert. Und eben erst vor wenigen Tagen fand an der Karlsuniversität Prag eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion statt, deren Thema lautete: "Möglichkeiten tschechisch-österreichischer Zusammenarbeit im Rahmen der EU".

Vielleicht, liebe Hörerinnen und Hörer, haben einige von Ihnen den Kurzbeitrag über jene Diskussion gehört, den wir am Mittwoch in unserem "Tagesecho" gesendet haben. Wenn nicht: Hier haben Sie die Möglichkeit, mehr von den Gesprächen zu erfahren, die Radio Prag am Rande der Veranstaltung mit zwei Teilnehmern geführt hat. Beginnen wir mit einem Vertreter Tschechiens, dem liberalen Parlamentsabgeordneten Karel Kühnl. Kühnl hat selbst jahrelang in Österreich gelebt, und in der Diskussion hatte er das Verhältnis zwischen den beiden Staaten immerhin als "verkrampft" bezeichnet:

Radio Prag: "Herr Abgeordneter, können Sie für unsere Hörer erklären, worin Ihrer Meinung nach die Gründe für dieses etwas verkrampfte Verhältnis zwischen Österreich und der Tschechischen Republik bestehen und wie sich dieses verkrampfte Verhältnis in der künftig gemeinsamen Europäischen Union verbessern könnte?"

Karel Kühnl: "Die Gründe sind teils historisch, teils aktuell. Wenn wir über die letzten vierzehn Jahre sprechen, dann glaube ich, dass auf tschechischer Seite viele Fehler gemacht worden sind, aber auch auf österreichischer Seite war nicht alles in Ordnung. Auf tschechischer Seite haben wir nach 1989 von Anfang an den Fehler gemacht, dass wir die Hauptpartner nur in Washington, London oder Paris gesehen haben, dass wir unsere Nachbarn vernachlässigt haben, dass wir sie nicht ernst genug genommen haben. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern betraf zum Beispiel auch Polen. Und das hat sich nicht ausgezahlt, das ist ganz klar. Unser Verständnis von Österreich hat nicht dem entsprochen, was Österreich für uns wirklich bedeutet. Von österreichischer Seite mussten wir umgekehrt mit ansehen, wie vor allem nach dem EU-Beitritt Österreichs dieses Land mit den eigenen Problemen so belastet war, dass es die Probleme der Nachbarn nicht mehr so wahrgenommen hat wie früher. Österreich hat es versäumt, sich selbst zum Fürsprecher für die mitteleuropäischen Kandidatenländer zu machen. Als das dann vor etwa zwei Jahren versucht worden ist, mit dem Vorschlag, eine strategische Regionalpartnerschaft zu kreieren, da war es einfach zu spät. Es war nicht mehr glaubwürdig, oder nicht glaubwürdig genug. Die Glaubwürdigkeit der Bereitschaft - nicht nur Österreichs, sondern auch der anderen mitteleuropäischen Länder - wirklich zusammenzuarbeiten, muss sich erst in der Europäischen Union zeigen. Und ich bin absolut davon überzeugt, dass sich zeigt, dass wir, die kleineren mitteleuropäischen Länder, viele gemeinsame Interessen haben, und dass wir zwangsläufig zusammenarbeiten werden. Im eigenen Interesse. Im Interesse Österreichs, Tschechiens, der Slowakei, Sloweniens - auch Polens, obwohl Polen doch in eine andere Kategorie gehört. Ich bin also optimistisch. Ich glaube, dass wenn wir einmal am gleichen Tisch sitzen werden, all diese Verkrampfungen, die aus der Vergangenheit herrühren, verschwinden."

Nach dieser optimistischen Prognose von Karel Kühnl hat sich Radio Prag auch an den österreichischen Vertreter der Diskussionsrunde gewandt, nämlich den Presseattaché der österreichischen Botschaft in Tschechien, Gregor Schusterschitz:

Radio Prag: "Wir haben heute eine Diskussion vor allem über die zukünftige Gestaltung der tschechisch-österreichischen Beziehungen im Rahmen der Europäischen Union erlebt. Aber worin bestehen denn Ihrer Meinung nach die Gründe für das - wie es der Herr Abgeordnete Kühnl genannt hat - verkrampfte Verhältnis zwischen Österreich und Tschechien? Oder ist es gar nicht so verkrampft?"

Gregor Schusterschitz: "Ich glaube, dass das Verhältnis eigentlich weniger verkrampft ist, als man gemeinhin annimmt. Gerade die letzten Monate zeigen eine so starke Dynamik in den bilateralen Beziehungen, dass man sehen kann: dieses Verhältnis ist zumindest janusköpfig. Es kann natürlich auch Probleme geben, aber auf der anderen Seite auch sehr enge Beziehungen."

Radio Prag: "Jetzt steht dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik nichts mehr im Wege, die letzte formale Hürde ist gefallen. Wie ist jetzt das Gefühl in den diplomatischen Kreisen? Gibt es da ein gewisses Aufatmen, etwa in dem Sinne, dass man meint, jetzt vernünftiger miteinander reden zu können, oder war das jetzt ein technischer Schritt auf dem Weg zu den nächsten technischen Schritten?"

Gregor Schusterschitz: "Dazu muss man festhalten, dass ja noch der Österreichische Nationalrat über die Erweiterung der Europäischen Union abstimmen muss, und man sich hier auch noch innenpolitische Diskussionen in Österreich erwarten darf. Aber ich glaube schon, dass der Zug eher in Richtung Zusammenarbeit abgefahren ist. Gerade die Vorkommnisse der Jahre 2001 und 2002 haben eigentlich deutlich gezeigt, wie sehr viel leichter es ist, alles kaputt zu machen, als vernünftige Dinge miteinander aufzubauen. Es gibt natürlich immer Probleme im bilateralen Verhältnis, und es wichtig, auch über diese Probleme zu reden. Und wo eine Seite glaubt ein Problem zu haben, muss man auch versuchen, ehrlich zu einer Lösung zu kommen. Aber es ist eigentlich völlig egal, was die Gründe dafür sind, warum man zusammenarbeitet. Wichtig ist, dass man gar nicht daran vorbeikommt. Selbst wenn wir nicht wollten, müssten wir mit der tschechischen Seite zusammenarbeiten - und umgekehrt: Selbst wenn die Tschechen mit uns nicht zusammenarbeiten wollten, müssten sie es tun. Weil wir einfach gleich große Staaten im gleichen geographischen Raum Europas sind, mit der gleichen Rechtstradition, den gleichen Verkehrsproblemen und so weiter. Es ist also eigentlich gar nicht möglich, hier einer Zusammenarbeit auszuweichen. Aber wie gesagt: Staaten, die Probleme miteinander haben, müssen natürlich ehrlich darüber diskutieren. Das wird auch immer möglich sein, und immer möglich sein müssen. Auch in einem vereinten Europa."