Die leichte schwere Revolution
Auch fünfzehn Jahre nach den Ereignissen tun sich die Tschechen schwer, ihre eigene Revolution und den plötzlichen Zusammenbruch des Sozialismus in den Novembertagen des Jahres 1989 zu verstehen. Zu leicht, zu widerstandlos war alles in diesem Winter, und zu viele der Hoffnungen aus den Umsturzwochen blieben später auf der Strecke. Der junge Historiker Jiri Suk hat versucht, die Geschichte dieser bewegten Zeit nachzuzeichnen und zu analysieren - in seinem Buch "Labyrintem revoluce", zu Deutsch etwa "Durch das Labyrinth der Revolution", und im Gespräch mit Radio Prag. Mehr von Thomas Kirschner.
"Die damaligen Revolutionäre wollten zunächst die Macht gar nicht ergreifen, sie haben sich dafür nicht kompetent gefühlt. Ich glaube, es waren eigentlich eher Reformer, viele aus der Zeit von 1968, und sie wollten eine sozialistische Reformregierung und erst später freie Wahlen."
Rückblickend kann es damit fast erscheinen, als ob der Sturz des Regimes eher mit jahrzehntelanger Geduld ersessen als während der Revolution erkämpft worden wäre. Handelt es sich bei dem November 1989 also überhaupt um eine Revolution? Nochmals der Historiker Jiri Suk.
"Einige Phänomene waren ganz sicher revolutionär: die Menschenmengen auf den Straßen, der Sturz der Regierung, und es ging um einen Systemwechsel, der ja auch vollendet wurde. Für mich bin ich letztlich zu der paradoxen Auffassung gekommen, dass es eine Revolution ohne Revolutionäre war. Das ist natürlich keine ganz befriedigende Antwort, aber ich wollte ja auch keine simplen Schlüsse ziehen."
Die scheinbare Mühelosigkeit des Umsturzes in Tschechien gibt auch immer wieder Nahrung für Verschwörungstheorien, denen zufolge die Revolution ein Werk von KGB und Staatssicherheit gewesen sei. Suk räumt ein, dass in der Tat viele Angehörige der alten Nomenklatur den Sprung ins neue System gut geschafft haben. Allerdings:"Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand einen so komplizierten, dynamischen Prozess steuern könnte oder schon im Vorhinein kalkulieren, dass diese und jene Leute das Staatseigentum in ihren Besitz bringen können. Und es gibt auch Nachrichten, dass ein Teil der Nomenklatur sehr unzufrieden mit dem damaligen Regime war und sich selbst Änderungen gewünscht hat."
Immer noch scheint es, als ob viele Tschechen ihrer Geschichte nicht trauen. Es fehlt noch an einer breiten Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit wie auch mit der Revolution. Mit seinem Buch Labyrintem revoluce / Durch das Labyrinth der Revolution, das als Buch des Jahres 2004 den renommierten Literaturpreis Magnesia Litera erhielt, möchte der junge Historiker Suk eine solche Diskussion anstoßen.
"Ich glaube, das Vermächtnis aus dieser Zeit ist, dass es uns gelingen sollte, eine alte Tugend wiederzufinden, und zwar die, sich von der Tyrannei zu befreien. Ich glaube, das ist den Tschechen und den Slowaken gelungen, wenn auch fünf Minuten nach zwölf. Und das ist eine Sache, an die wir in der Zukunft anknüpfen können."