Die Tschechen und ihre Vorliebe für Märchen

Aschenputtel

Liebe Hörerinnen und Hörer, die Welt dreht sich auch an den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr weiter und so haben wir auch heute für Sie eine weitere Folge von "Im Spiegel der Medien", der Mediensendung von Radio Prag vorbereitet. Am Mikrophon begrüßen Sie diesmal recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.

Dennoch wird unsere heutige Sendung nicht dem traditionellen Schema entsprechen, das Sie vielleicht schon gewohnt sind. Abseits von jeglicher politischer Aktualität mit ihren Kommentaren und Analysen in den Zeitungen, wollen wir nämlich diesmal einen Blick auf ein, wie wir meinen, interessantes Phänomen werfen: Eine nicht gerade geringe Anzahl von Tschechen verbringt die Tage zwischen Heiligabend und Silvester vor ihren Fernsehgeräten. Das wäre an sich vielleicht nicht sonderlich erwähnenswert, wenn es da nicht eine spezielle Vorliebe für Märchen geben würde, die Generationen übergreifend zu beobachten ist. Neben dem traditionellen Karpfen, dem Kartoffelsalat und den Plätzchen scheinen also die Fernsehmärchen, verfilmt nach den Vorlagen bekannter Schriftsteller wie Bozena Nemcová, Karel Jaromír Erben oder zeitgenössischer Autoren, zu richtigen tschechischen Weihnachten dazu zu gehören.

Über dieses Phänomen sprach Radio Prag mit dem Soziologen und Verhaltensforscher Bohuslav Blazek und fragte ihn nach seinen Wurzeln.

So können seiner Meinung nach auch die Erwachsenen zumindest für kurze Zeit in die heile Welt der Kinder eintauchen und für einen Moment die Probleme des Alltags vergessen. Die Märchen erfüllen so die Aufgabe einer Art Ersatzmythologie, die in jedem Volk tief verwurzelt ist und ale eine Klammer dienen.

Kein Wunder, dass sich auch die kommunistischen Ideologen der Wichtigkeit solcher Ersatzmythologien für das Leben der Durchschnittsbürger bewusst waren und sich daher bemühten, als überkommen oder gar reaktionär abgestempelte Motive gerade zu Weihnachten aus der Fernsehunterhaltung zu verbannen und Gegenmodelle aufzubauen, welche mit der kommunistischen Ideologie in Einklang zu bringen wären. In der bunten Welt der Fernsehmärchen, die während der Feiertage ausgestrahlt wurden, spielte dabei vor 1989 das russische Märchen vom "Väterchen Frost" eine zentrale Rolle. Die Erzählung sollte, gemäß des sowjetischen Vorbilds, das Weihnachtsfest aus seinem christlichen Rahmen herausreißen.

Nach der Wende ist jedoch zum Erstauen vieler dieses Märchen nicht vom weihnachtlichen Sendeplan genommen worden und als dies von den Programmverantwortlichen eine zeitlang versucht wurde, waren hunderte von Protestbriefen an das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Folge. Weihnachten ohne "Väterchen Frost" waren also zumindest auf dem Bildschirm nicht durchzusetzen. Wodurch ist diese unerwartete Entwicklung zu erklären?

Der Soziologe Bohuslav Blazek meint weiter, dass gerade in der Endphase des realen Sozialismus, in der das ganze System gelähmt schien und mit Hilfe der Kraft der Gewohnheit am Leben blieb, viele Tschechen in eine Art innere Resistenz übergingen, die es ihnen ermöglichte, Nischen für das eigene Überleben zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein essentielles Charaktermerkmal der Tschechen, wie Blazek abschließend erläutert:

Und damit sind wir, verehrte Hörerinnen und Hörer, am Ende unserer heutigen Sendung angelangt. Für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse bedanken sich Silja Schultheis und Robert Schuster.