Feuilleton
Von Jahr zu Jahr habe ich immer mehr das Gefühl, dass echte Weihnachten nur noch in der Erinnerung existieren. Nicht vielleicht deshalb, weil das Auge des Kindes die Dinge größer sieht, als sie sind. Denn mit diesem, dem Auge des Kindes gesehen war auch das Stück Butter einst größer. Und auch nicht deshalb, weil gerade der Zauber in der Erinnerung gut erhalten bleibt.
Von Jahr zu Jahr habe ich immer mehr das Gefühl, dass echte Weihnachten nur noch in der Erinnerung existieren. Nicht vielleicht deshalb, weil das Auge des Kindes die Dinge größer sieht, als sie sind. Denn mit diesem, dem Auge des Kindes gesehen war auch das Stück Butter einst größer. Und auch nicht deshalb, weil gerade der Zauber in der Erinnerung gut erhalten bleibt. Denn heute müssen wir nicht mit Kinderaugen sehen, damit Weihnachten uns groß erscheint. Weihnachten ist allzu groß, ja fast ungeheuer.
Schon in den Jahrzehnten der Not waren Weihnachten eher eine Schau von Wohlstand als Feiertage der Freude und des Friedens, und es störte mich, welch hohen Preis wir dafür bezahlten. Die verschwitzte Jagd nach Dingen und Essen, die während des Jahres Mangelware waren - und plötzlich war etwas davon in den Läden, bei weitem jedoch nicht für alle. Die törichte Sehnsucht, zumindest ein paar Tage so zu leben, wie wir es uns für immer wünschen würden! Für irgendeine Botschaft blieb keine Zeit übrig.
Im letzten Jahrzehnt hat sich hierzulande vieles verändert. Der Konsum verschluckte Weihnachten fast zur Gänze, sowie den Advent auch. Doch auch damit hat er nicht genug. Das Geschäft schiebt die Weihnachten gegen den Strom der Zeit in den November hinein. Kaum fallen leise die Blätter von den Bäumen hinab, schon hängt der Konsum Weihnachtslichter auf die kahlen Äste, in die Schaufenster stopft er die Illusion der Weihnachtstage und Gott weiß, wo der Konsum Halt machen wird. Die Freude am Schenken geht verloren, wird zynisch missbraucht, denn das eindringliche Angebot kann nicht verstecken, was dahinter ist. Die Geschäfte wollen ihre Lager schnell leer haben, um Platz für neue, alt werdende Ware zu haben. Das Geschäftsrad dreht sich von Saison zu Saison, immer schneller, immer eindringlicher, und Weihnachten geht darin verloren, es bleiben nur noch einige Symbole übrig. Was sie aussagen, ahnt kaum jemand. In dem Konsumwirrwarr geht die freudige Botschaft unter. Wir drängen uns durch die Markthändler zum Dom, dem einzigen von Markthändlern befreiten Ort, um der schwächer werdenden Aussage der Botschaft zu lauschen.
Wovon aber spricht eigentlich jene freudige Botschaft? Dass ein kleinerer Teil der Welt im Wohlstand, mit dem es nichts anzufangen weiß, ertrinkt, und dass die meisten Menschen heute in Armut leiden, die Gewalt und Tod zu Folge hat? Tausende Kinder vor Hunger sterben, und wir die Augen nicht mehr schließen können, nur weil es weit ist und uns nicht betrifft? Dass der reiche Teil der Menschheit nur rechnen und nicht anders denken kann als entweder ausbeutend oder als Verkäufer überflüssiger Ware, und nur ausnahmsweise auch philanthropisch? In dem Gedanken an diese sinnlose Aufteilung der Welt sehe ich die heutige, im dringendere weihnachtliche Botschaft. Ich glaube nicht, dass wir nicht imstande sind, damit zurecht zu kommen. Die Beweggründe sind in einer Welt, die von Tag zu Tag kleiner wird, nicht mehr nur noch humanistisch oder von Mitleid getragen. Sie bedeuten Selbsterhaltung. Sonst kann die Zukunft ihre Weihnachten verlieren.
Eine freudige Botschaft wüsste ich allerdings. Zu heurigen Weihnachten sind wir auch de jure ein Bestandteil Europas geworden. Der reichere Teil Europas nahm die ärmeren unter sich. Es möge sich darin ein guter Anfang abzeichnen, nämlich dass der Egoismus in der Welt sich zurückzieht.