Leben mit Risiko: Explosionen in Fabriken kein Einzelfall in Tschechien

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Tschechien ist eine Industrienation. Und eine explosive obendrein, denn die Herstellung von Waffen und Sprengstoff gehört zu den Aushängeschildern der Wirtschaft. Da bleiben Unfälle nicht aus. Die Häufung von Explosionen, wie sie die Industrie in den jüngsten Tagen und Wochen verzeichnete, ist indes sehr ungewöhnlich.

Sellier & Bellot  (Foto: ČTK)
Die Munitionsfabrik Sellier & Bellot im mittelböhmischen Vlašim gehört zu den traditionsreichsten Firmen in ihrem Sektor. Von der ursprünglichen Herstellung von Zündern im 19. Jahrhundert ist das mittelständische Unternehmen schrittweise zur Produktion von Munition aller Art übergegangen. Nach wie vor werden dort Kugeln und Schrotpatronen hergestellt. Leider gingen Unfälle bei der Produktion der Munition nicht immer glimpflich aus: Im November 1967 wurden bei einer Explosion acht Menschen getötet, im Jahr 2003 gab es einen Toten. Nach der jüngsten Detonation, die sich am Montagmittag ereignete, sind drei Todesopfer zu beklagen. Bestätigten Meldungen zufolge kam es zu der Explosion, als ein Angestellter der Firma einen Initialsprengstoff in einem Becher von der Produktionshalle in ein Zwischenlager brachte. War das ein Verstoß gegen die strengen Sicherheitsvorschriften in einer Munitionsfabrik? Der ehemalige Sprengstoff-Experte der Polizei, Karel Koubík, weist solche voreiligen Schlüsse zurück:

Karel Koubík  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Der Becher kann durchaus ein Sicherheitsbehälter gewesen sein, der für diesen Vorgang bestimmt war. Auf der anderen Seite aber kann es sich auch um einen Verstoß gegen die Vorschriften gehandelt haben, der zu diesen fatalen Folgen geführt hat.“

Dies wird gegenwärtig von der Polizei untersucht. Nach Aussage von Koubík aber ist ein Initialsprengstoff ein Gemisch, das bereits bei kleinen mechanischen oder thermischen Einwirkungen eine Explosion hervorrufen kann.

Am Tag des Unglücks wurde der Unfallort in einem Umkreis von 200 Metern abgesperrt, die Arbeit in den anderen Produktionshallen wurde jedoch fortgesetzt. Das hat bei den Beschäftigten unterschiedliche Reaktionen ausgelöst:

Luděk Jeništa  (Foto: Archiv TOP 09)
„Im Werk gehen Menschen zur Arbeit, die die Gefahren kennen, und insgesamt ist doch alles nur halb so schlimm“, sagte eine ältere Frau.

Eine jüngere Frau bangte indes um ihren Freund, der für Sellier & Bellot arbeitet: „Er ist bei der Explosion direkt vor Ort gewesen, hat aber überlebt. Jetzt ist er jedoch völlig fertigmit den Nerven.“

Nach Aussage des Bürgermeisters von Vlašim, Luděk Jeništa, aber haben die meisten Einwohner der Stadt über die Jahre gelernt, mit der ständigen Gefahr zu leben:

„Die Munitionsfabrik feiert in diesem Jahr bereits ihr 190-jähriges Jubiläum. Zur größten Blüte der Firma haben hier 5000 Beschäftigte gearbeitet. Aber auch heutzutage ist Sellier & Bellot mit zirka 1500 Angestellten der eindeutig größte Arbeitgeber in unserer Region. Einige Menschen arbeiten dort ihr ganzes Leben lang, und ich muss sagen, das Verhältnis der Einwohner zu dieser Fabrik ist durch und durch positiv.“

Zuckerfabrik Dobrovice  (Foto: ČTK)
Auch in anderen böhmischen Städten scheint man sich daran gewöhnt zu haben, dass Betriebsunfälle in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zum kalkulierbaren Risiko dazugehören. Zum Beispiel in Litvínov / Leutensdorf, wo vor fünf Wochen im Chemiewerk von Unipetrol ein Großbrand ausgebrochen war. Das Ausmaß der Schäden wird bis heute ermittelt. Die Einwohner der mittelböhmischen Stadt Dobrovice dagegen wurden am Dienstagmorgen das erste Mal gehörig aufgeschreckt: In der am Stadtrand gelegenen Zuckerfabrik ist es zu einer Explosion gekommen, bei der 14 Menschen verletzt wurden, davon zwei schwer.

Atomkraftwerk Temelín  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Im südböhmischen Temelín aber, wo ein umstrittener Atommeiler steht, will man sich ein solches Szenario gar nicht erst ausmalen. Dennoch bereitet man sich hier immer wieder auf einen möglichen Ernstfall vor. So findet zurzeit noch bis zum Donnerstag eine weitere Notfallübung statt, es ist schon die sechste in diesem Jahr. Dazu erläutert der Direktor der Feuerwehr des Kreises Südböhmen, Lubomír Bureš:

„In der gefährdeten Zone heulen die Sirenen und mahnen die Einwohner an, möglichst in der Mitte ihres Hauses einen improvisierten Unterschlupf aufzusuchen, zum Beispiel im Keller. Sie müssen zudem Jod-Kalium-Tabletten schlucken und die öffentlich-rechtlichen Medien verfolgen, um über alles Weitere informiert zu sein.“

Dorf Temelín  (Foto: Japo,  Wikimedia Public Domain)
Nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima wurden die Notfallübungen in Temelín noch einmal verdoppelt. Die Einwohner des Ortes hoffen jedoch, dass der Ernstfall nie eintreten wird.