Martin Dzingel – neuer Präsident der deutschen Landesversammlung

Martin Dzingel

Die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien – eine Dachorganisation verschiedener deutscher Verbände Vereine in Tschechien - hat einen neuen Präsidenten. Martin Dzingel ist aber kein Unbekannter. Schon vor seiner Wahl war er als Geschäftsführer in dieser Minderheitenorganisation tätig. Christian Rühmkorf bat Martin Dzingel in die Sendung „Heute am Mikrophon“ und sprach mit über seine Herkunft, den Generationswechsel und die Zukunftsaussichten der Deutschen in der Tschechischen Republik, einer Minderheit von knapp 40.000 Bürgern.

Martin Dzingel
Martin Dzingel, Sie sind Anfang der Woche zum Präsidenten der so genannten „Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien“ gewählt worden. Zuvor waren Sie ihr Geschäftsführer. Die Landesversammlung ist die Dachorganisation aller deutschen Verbände und Kulturvereine in der Tschechischen Republik und setzt sich hauptsächlich für die Rechte der deutschen Minderheit in diesem Land ein. So viel zunächst in aller Kürze. Herr Dzingel, ich glaube, wir dürfen es verraten: Sie sind 35 Jahre alt. Ihre Vorgängerin im Amt, Irena Kuncová, ist - geschätzt - rund doppelt so alt. Kann man also bei der Landesversammlung von einem Generationswechsel sprechen?

„Es stimmt, dass ein gewisser Generationswechsel stattfindet, und das sowohl im Präsidium als auch zum Beispiel – wir hatten diesen Jahr, diesem Monat sogar noch andere Wahlen - in der Jugendorganisation Jukon. – es stimmt also.“

Kann man davon auch eine andere Politik in diesem Fragen erwarten?

„Man muss bedenken, dass die Landesversammlung fast 20 Jahre existiert. Sie wurde 1992 gegründet, aber 1990 wurde schon der Verband der Deutschen in der Tschechoslowakei gegründet. Das heißt, die Gründer sind heute in dem Alter, in dem sie sozusagen in die ´Rente’ gehen. Und es kommen dann Neue, die sich der Arbeit annehmen. Es ist natürlich sehr gut, dass sich neue Leute mit Perspektive in die Minderheit melden und bereit sind, aktiv mitzuarbeiten.“

Ausstellung über den Deutschen in Tschechien
Bevor wir zu Ihrer Person kommen: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf für ihre Amtszeit als Präsident der Landesversammlung?

„Eins müssen wir sehr bald machen, und das ist eine gewisse Belebung der deutschen Minderheit vor allem in den Regionen, das heißt in den Verbänden und in den Begegnungszentren. Wir haben 23 Verbände, wir haben 13 Begegnungszentren in der Tschechischen Republik. In einigen findet eine sehr gute Projektarbeit statt, in anderen wiederum eine nicht so sehr gute. Das ist eine große Aufgabe, die ich mir stelle, diese Verbände und Begegnungszentren in der Projektarbeit zu unterstützen. Und damit hängt auch die Öffentlichkeitsarbeit zusammen, die Sichtbarkeit der Minderheit. Das sind also Dinge, die wir jetzt verfolgen müssen.“

Regierung der Tschechischen Republik  (Foto: www.vlada.cz)
Also Aufwertung der Regionen. Gibt es etwas, was Sie noch vom tschechischen Staat, von der tschechischen Politik erwarten?

„Ja. Selbst die Landesversammlung hat sich in den Jahren davor bemüht, einige Fragen, die eben bis heute noch nicht beantwortet wurden, zu stellen. Es geht vor allem um Eigentumsfragen, aber zum Beispiel auch um die nicht anerkannten Hochschultitel und so weiter. Und ich denke, dass wir auch in dieser Amtszeit diese Fragen der Regierung neu stellen.“

Martin Dzingel  (Foto: http://jukon.net)
Denkt man Vertriebenenverbände und Verbände der deutschen Minderheiten denkt man oft an ältere Menschen, die vielleicht eher in der Vergangenheit verhaftet sind. Sie sind jung, haben die komplizierte deutsch-tschechische Vergangenheit nicht persönlich erlebt und engagieren sich dennoch: Ist das Familien-Raison bei Ihnen, ist das einer grundsätzlich traditionellen Einstellung zu verdanken?

„Ganz sicher ist es so, dass ich von klein auf dieses Minderheiten- oder dieses Nationalgefühl sehr stark besitze, durch meine Mutter und durch meine Oma. Von klein auf haben wir zu Hause deutsch gesprochen. Natürlich dann im Dialekt und leider ohne schulische Ausbildung in der Muttersprache. Das war ja früher nicht möglich. Also die Identität begleitet mich von klein auf. Aber ich denke, es ist auch nötig, dass wir diese Gemeinschaften und auch andere Minderheiten, die auch eine kulturelle Vielfalt in unserem Land, aber dann auch in Europa bilden, pflegen. Und deshalb empfinde ich eine solche Arbeit als sehr wichtig.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Haben Sie einen tschechischen und einen deutschen Pass?

„Ich habe nur einen tschechischen Pass.“

Haben Sie mehr tschechischstämmige Freunde als deutschstämmige Freunde? Wie sieht das aus mit Ihrem Umfeld?

„Ich bin hier in die Schulen gegangen. Und infolge dessen habe ich wahrscheinlich mehr tschechische Bekannte und Freunde. Aber ich habe auch Freunde in Deutschland und aus der deutschsprachigen Minderheit. Aber wahrscheinlich sind es mehr Tschechen, muss man sagen.“

Martin Dzingel  (Foto: www.sozialwerk-ag.de)
Glauben Sie, dass die Jüngeren – und somit auch Sie als Präsident der Landesversammlung – eine grundsätzlich andere Umgangsweise mit der Vergangenheit pflegen als die Älteren?

„Natürlich ist es so, dass die jüngere Generation etwas andere Ansichten hat als die ältere. Die jüngere Generation hat das alles nicht erlebt und denkt nicht so sehr subjektiv wie die, die das hautnah erlebt haben. Natürlich werden wir die Interessen der ganzen Gemeinschaft vertreten, also nicht nur der jüngeren Generation sondern auch der älteren. Es ist es allgemein bekannt, dass bei den Minderheiten – und bei der deutschen Minderheit eben auch – die ältere Generation überwiegt. Und deswegen ist unser Ziel, auch jüngere Mitglieder und Mitarbeiter zu gewinnen.“

Haben deutsche Verbände, deutsche Kulturverbände und damit auch die Landesversammlung der Deutschen in Tschechien eine Zukunft?

„Ich bin davon überzeugt, dass sie eine Zukunft haben. Wir können nicht erwarten – wenn nicht ein Wunder geschieht – dass wir in einem, zwei oder drei Jahren 100.000 mehr werden. Aber wir existieren. Wir haben einen Verband. In den 18 Jahren hat die Landesversammlung sehr viel erreicht. Und wir haben auch eine hundertjährige Tradition hier im Lande. Und ich glaube, was geschehen wird und muss, ist, dass sich die Minderheit ein neues Konzept überlegt, wie sie arbeiten will und in welchem Rahmen. Und dass wir uns auf Projektarbeit vor allem im Sinne der deutsch-tschechischen Beziehungen konzentrieren, und dass wir eben auch mit weniger Leuten, aber dafür umso Aktiveren und Engagierteren die Volksgruppe – also die deutsche Minderheit – hier am Leben erhalten.“

Martin Dzingel, der neue Präsident der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien – herzlichen Dank für das Gespräch.